Adhä­renz bei Asthma und COPD : Eigen­ver­ant­wor­tung gefragt

25.03.2017 | Medizin

Wäh­rend bei der Medi­ka­tion für Typ 2‑Diabetes die Adhä­renz bei mehr als 60 Pro­zent liegt, beträgt sie bei Asthma und COPD nur knapp über 40 Pro­zent. Noch dazu set­zen bis zu 85 Pro­zent der COPD-Pati­en­ten ihren Inha­la­tor nicht rich­tig ein. Um einen nach­hal­ti­gen Erfolg zu erzie­len, plä­die­ren Exper­ten dafür, den Betrof­fe­nen aktiv in den The­ra­pie­plan ein­zu­be­zie­hen, damit er Ver­ant­wor­tung für seine Erkran­kung über­neh­men kann. Von Irene Mlekusch

Aus Stu­dien ist bekannt, dass eine gute Adhä­renz den Ver­lauf und das Krank­heits­ma­nage­ment von Asthma und COPD posi­tiv beein­flus­sen kann. „Der Begriff der Adhä­renz ist all­ge­mein von gro­ßer Bedeu­tung“, betont Univ. Prof. Otto Burg­hu­ber von der I. Inter­nen Lun­gen­ab­tei­lung des SMZ Baum­gart­ner Höhe/​Otto Wag­ner Spi­tal in Wien. Bei chro­ni­schen Erkran­kun­gen konnte für die Medi­ka­tion bei Typ 2‑Diabetes eine Adhä­renz von mehr als 60 Pro­zent fest­ge­stellt wer­den, wäh­rend sie bei COPD und Asthma nur knapp über 40 Pro­zent liegt; bis zu 85 Pro­zent der COPD-Pati­en­ten set­zen ihren Inha­la­tor nicht rich­tig ein. Univ. Prof. Wolf­gang Pohl von der Abtei­lung für Atmungs- und Lun­gen­krank­hei­ten am Kran­ken­haus Hiet­zing in Wien kann diese Daten durch eine in Hiet­zing durch­ge­führte Unter­su­chung bestä­ti­gen. Dabei stellt sich her­aus, dass mehr als 50 Pro­zent der Asth­ma­ti­ker nicht aus­rei­chend kon­trol­liert sind.

Non-Adhä­renz bei Depres­sio­nen und Angsttörungen

Bestimmte Cha­rak­te­ris­tika des Pati­en­ten beein­flus­sen den Grad der Adhä­renz; dazu zäh­len die Ein­stel­lung, Wis­sen und Erfah­run­gen über die Erkran­kung. „Der Pati­ent soll ein Spe­zia­list sei­ner Erkran­kung wer­den. Des­halb ist eine ent­spre­chende Schu­lung wich­tig“, betont Burg­hu­ber. Kogni­tive Leis­tungs­fä­hig­keit, Pflicht­be­wusst­sein und Kom­or­bi­di­tä­ten – vor allem psy­chi­sche Erkran­kun­gen – sind Pati­en­ten-spe­zi­fi­sche Fak­to­ren, die auf die Adhä­renz ein­wir­ken. Obwohl das Geschlecht in den meis­ten Stu­dien kei­nen ein­deu­ti­gen Ein­fluss zeigte, sind Angst­stö­run­gen und Depres­sio­nen, die mit Non-Adhä­renz im Zusam­men­hang ste­hen, eher bei Frauen anzu­tref­fen. Der behan­delnde Arzt sollte auf Signale wie The­ra­pie­ver­wei­ge­rung oder fal­sche Vor­stel­lun­gen über den Krank­heits­ver­lauf, Befind­lich­keits­stö­run­gen wie zum Bei­spiel im Rah­men von per­sön­li­chen oder fami­liä­ren Kri­sen­si­tua­tio­nen, Depres­sion und demen­ti­elle Sym­pto­ma­tik ach­ten, da diese für gewöhn­lich mit einer schlech­ten Adhä­renz einhergehen.

Zu den sozia­len Ein­fluss­fak­to­ren gehört einer­seits ein sta­bi­les Fami­li­en­um­feld, das sich posi­tiv auf die Medi­ka­men­ten-Adhä­renz aus­wir­ken kann. „Vor allem bei Kin­dern müs­sen die Fami­li­en­mit­glie­der in das The­ra­pie­ma­nage­ment imple­men­tiert wer­den“, merkt Burg­hu­ber an. Das Aus­maß der Zufrie­den­heit des Pati­en­ten mit sei­ner The­ra­pie hängt im Wesent­li­chen auch von einer adäqua­ten Kom­mu­ni­ka­tion zwi­schen Arzt und Pati­ent ab. Diverse Stu­dien gehen davon aus, dass Pati­en­ten kurz nach dem Besuch beim Arzt weni­ger als 50 Pro­zent der ver­mit­tel­ten Infor­ma­tion wie­der­ge­ben kön­nen. Burg­hu­ber sieht in der Stra­te­gie des „keep on going with the pati­ent“ einen grund­le­gen­den Aspekt einer effek­ti­ven Behand­lung und scheut nicht davor zurück, das Pro­blem der Non-Adhä­renz gege­be­nen­falls direkt anzu­spre­chen. „Eine sau­bere und kor­rekte Dia­gnose ist die Grund­vor­aus­set­zung für jede Behand­lung“, ver­deut­licht Pohl und betont die Wich­tig­keit der regel­mä­ßi­gen Über­prü­fung der Medi­ka­men­ten­ein­nahme durch Arzt und Patient.

The­ra­pie an Bedürf­nisse anpassen

Vor allem Asthma-Pati­en­ten, aber auch jene mit COPD bedür­fen einer indi­vi­du­ell auf die jewei­li­gen Bedürf­nisse und das Aus­maß der Erkran­kung zuge­schnit­te­nen The­ra­pie. Ebenso sind aus­rei­chen­des Selbst­ma­nage­ment und ein „action plan“, der defi­niert, wie sich der Pati­ent zum Bei­spiel bei einer Ver­schlech­te­rung der Lun­gen­funk­tion zu ver­hal­ten hat, erfor­der­lich. Um einen nach­hal­ti­gen Erfolg zu erzie­len, muss der Pati­ent aktiv in den The­ra­pie­plan ein­be­zo­gen wer­den und Ver­ant­wor­tung über­neh­men. Die Auf­klä­rung und Schu­lung der Pati­en­ten soll­ten im Ide­al­fall münd­lich und schrift­lich erfol­gen sowie zusätz­lich prak­tisch immer wie­der nach­kon­trol­liert wer­den. Burg­hu­ber rät Asthma-Pati­en­ten, ein Peak­flow-Meter zu ver­wen­den, um den Krank­heits­ver­lauf und die The­ra­pie zu kontrollieren.

Bei der medi­ka­men­tö­sen The­ra­pie kön­nen sowohl Adhä­renz als auch Per­sis­tenz ver­bes­sert wer­den, wenn für die inha­la­tive The­ra­pie jene Medi­ka­mente aus­ge­wählt wer­den, die den Bedürf­nis­sen des Pati­en­ten ent­ge­gen­kom­men. „Die Wahl des Inha­la­tors sollte mit dem Pati­en­ten abge­spro­chen wer­den. Die Sub­stan­zen die zum Ein­satz kom­men, sind durch Gui­de­lines fest­ge­legt“, sagt Pohl. Umfra­gen unter Pati­en­ten mit Asthma oder COPD haben erge­ben, dass Inha­ler, die in der Hand­ha­bung ein­fach und prak­tisch sind, bevor­zugt wer­den. Ebenso soll­ten sie eine rasche und sichere pul­mo­n­ale Depo­si­tion ermög­li­chen. Für einige Pati­en­ten ist der Umwelt­schutz rele­vant und der Wunsch nach wie­der­be­füll­ba­ren Inha­la­to­ren gege­ben. „Inha­la­to­ren mit Feed­back­me­cha­nis­men sind zu bevor­zu­gen“, emp­fiehlt Pohl. Gehört zur jewei­li­gen The­ra­pie die Gabe von meh­re­ren Sub­stan­zen, ist – sofern ver­füg­bar – der Kom­bi­na­ti­ons­the­ra­pie mit einem Inha­la­tor der Vor­zug zu geben.

Asthma-Pati­en­ten, die einen ein­zi­gen Inha­ler ver­wen­den, wei­sen um 17 Pro­zent weni­ger mit­tel­gra­dige bis schwere Exazer­ba­tio­nen auf und haben noch zwölf Monate nach The­ra­pie­be­ginn eine höhere Per­sis­tenz als Pati­en­ten, bei denen ver­schie­dene Inha­la­to­ren zum Ein­satz kom­men. „Grund­le­gend sollte über­prüft wer­den, ob der Pati­ent den Inha­ler rich­tig ver­wen­det“, macht Burg­hu­ber auf­merk­sam und fügt hinzu, dass bei­spiels­weise bei schwe­rer COPD nicht jede Appli­ka­ti­ons­form ver­wen­det wer­den kann, da der inspi­ra­to­ri­sche Fluss nicht aus­reicht. Für diese Pati­en­ten kom­men daher nur Appli­ka­ti­ons­for­men in Frage, die auch bei sehr nied­ri­gem inspi­ra­to­ri­schem Fluss funk­tio­nie­ren wie zum Bei­spiel Dosieraerosole.

Ver­hal­ten unter­schied­lich

Pati­en­ten mit Asthma und COPD unter­schei­den sich in ihrem Ver­hal­ten und somit auch in ihrer Adhä­renz und Per­sis­tenz. Pohl dazu: „Der Asth­ma­ti­ker hat eine varia­ble Erkran­kung. Bei der COPD dage­gen ist die anhal­tende Ein­schrän­kung der Lun­gen­funk­tion vor­ran­gig.“ Asthma-Pati­en­ten zei­gen sich weni­ger adhä­rent als COPD-Pati­en­ten, wobei in bei­den Grup­pen der Typ der unbe­stän­di­gen Non-Adhä­renz vor­herrscht. In der Gruppe der Asth­ma­ti­ker wei­sen eher jün­gere Pati­en­ten eine redu­zierte Adhä­renz auf, wäh­rend bei den COPD-Pati­en­ten jene mit einer bes­se­ren Lun­gen­funk­tion weni­ger adhä­rent sind. In bei­den Grup­pen ist Berufs­tä­tig­keit mit Non-Adhä­renz asso­zi­iert. „Pati­en­ten mit Asthma machen häu­fi­ger Feh­ler in der Ein­nahme der inha­la­ti­ven The­ra­pie bezie­hungs­weise der The­ra­pie­treue. Die Pati­en­ten hören mit der Ein­nahme auf, wenn es ihnen bes­ser geht“, weiß Pohl. Burg­hu­ber bevor­zugt des­halb bei Asthma-Pati­en­ten das SMART-Kon­zept: „Erhal­tungs­the­ra­pie und rasch wirk­sa­mem Bedarfs­me­di­ka­tion sind in einem Prä­pa­rat ver­eint.“ Ver­wechs­lun­gen kön­nen so ver­hin­dert wer­den und eine frühe Inter­ven­tion bei Exazer­ba­tio­nen ist möglich.

Drei ver­schie­dene Typen

In der Lite­ra­tur wer­den drei Typen der Non-Adhä­renz beschrie­ben, die sowohl unbe­wusst, als auch bewusst vom Pati­en­ten ein­ge­nom­men wer­den. Pati­en­ten mit unbe­stän­di­ger Adhä­renz ver­ste­hen ihr The­ra­pie­ma­nage­ment und sind auch damit ein­ver­stan­den; sie haben aber­Pro­bleme, sich kon­sis­tent an die Ver­ein­ba­run­gen hal­ten. Ent­we­der ist der ver­ein­barte The­ra­pie­plan für die Pati­en­ten zu kom­plex oder sie sind ver­gess­lich und des­or­ga­ni­siert. Eine Ver­ein­fa­chung der Behand­lung, regel­mä­ßige Kon­trol­len durch Arzt und Pati­ent sowie ein Selbst­mo­ni­to­ring kön­nen die Pro­ble­ma­tik bei die­sem Typ verbessern.

Bei der unwis­sent­li­chen Non-Adhä­renz gehen Arzt und Pati­ent davon aus, dass die Behand­lungs­schritte ver­stan­den und akzep­tiert wur­den. Oft spie­len hier sprach­li­che Bar­rie­ren oder kogni­tive sowie psy­chi­sche Ein­schrän­kun­gen eine große Rolle. Eine dem Pati­en­ten und sei­nen Ange­hö­ri­gen ange­passte Auf­klä­rung und Schu­lung sowie zusätz­li­che schrift­li­che und visu­elle Instruk­tio­nen kön­nen die Situa­tion verbessern.

Die intel­li­gente Non-Adhä­renz fin­det sich bei Pati­en­ten, die von der ver­ein­bar­ten The­ra­pie abwei­chen oder diese auf­grund von per­sön­li­chen Ent­schei­dun­gen oder sozia­len Umstän­den sogar ganz abbre­chen. Eine neu­er­li­che Schu­lung und Beglei­tung des Pati­en­ten kann ebenso hel­fen wie die Ver­ein­ba­rung von per­sön­li­chen The­ra­pie­zie­len mit dem Patienten.

Non-Adhä­renz

Die Non-Adhä­renz ist ein mul­ti­fak­to­ri­el­les Gesche­hen. Sie wird von Fak­to­ren bestimmt, die vom Pati­en­ten und dem Wesen sei­ner Erkran­kun­gen aus­ge­hen, aber auch durch die gewählte The­ra­pie und die Bezie­hung zwi­schen Arzt und Patient.

Im All­ge­mei­nen ver­steht man unter Adhä­renz, in wel­chem Aus­maß das Ver­hal­ten des Pati­en­ten mit den ver­ein­bar­ten Emp­feh­lun­gen des behan­deln­den Arz­tes über­ein­stimmt. Im Gegen­satz zum frü­her gebräuch­li­chen Begriff der Com­pli­ance, bei der der Pati­ent eine eher pas­sive Rolle über­nimmt, betont die Adhä­renz die part­ner­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit Arzt und Patient.

Die Medi­ka­men­ten- oder The­ra­pie­ad­hä­renz bestimmt also die Bereit­schaft des Pati­en­ten, sich an die Ein­nah­me­emp­feh­lun­gen bezüg­lich Zeit­punkt, Dosie­rung und Häu­fig­keit der Medi­ka­tion zu hal­ten. Da der Behand­lungs­er­folg aber nicht allein dadurch erklärt wer­den kann, wie ver­läss­lich ein Pati­ent sein Medi­ka­ment ein­nimmt, son­dern auch wie lange er die The­ra­pie fort­setzt, steht der Begriff der Medi­ka­men­ten­per­sis­tenz für die Zeit­spanne, über die die The­ra­pie der Ver­ord­nung ent­spre­chend ein­ge­nom­men wird.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 6 /​25.03.2017