Arzt-Patienten-Kommunikation: Der „schwierige“ Patient

10.10.2017 | Medizin


Bis zu 20 Prozent aller Patienten in der Ordination eines Allgemeinmediziners werden von den Ärzten aufgrund ihres Verhaltens als „schwierig“ eingestuft. Speziell bei den aggressiv-fordernden Patienten ist die Tendenz steigend. Auch die Elektronifizierung der Medizin erschwert die Kommunikation; unter Umständen wird nicht der Patient, sondern nur seine Akte bearbeitet.
Von Irene Mlekusch

Das Vertrauen zwischen Arzt und Patient hat wesentlichen Einfluss auf den Erfolg einer Behandlung. „Meist sind die Patienten mit der ärztlichen  Kompetenz zufrieden. Bis zu 80 Prozent der Patienten beschreiben allerdings Probleme in der Kommunikation mit dem Arzt“, sagt Univ. Prof. Gerhard Schüßler von der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie an der Medizinischen Universität in Innsbruck. Eine offene Form der Kommunikation wird von den Patienten als wichtigster Aspekt der Beziehung zwischen Arzt und Patient empfunden. Gibt es in der Kommunikation Defizite, kann dies zur mangelhaften Compliance, einem gestörten Vertrauensverhältnis und in letzter Konsequenz zum Arztwechsel führen. Gute kommunikative Fähigkeiten eines Arztes ermöglichen es, die Anliegen des Patienten besser zu erfassen, emotionale Unterstützung zu bieten und Therapieziele mit dem Patienten zu vereinbaren. Univ. Prof. Wolfgang Fleischhacker vom Department für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik und der Universitätsklinik für Psychiatrie I an der Medizinischen Universität in Innsbruck fügt hinzu, dass auch die Elektronifizierung der Medizin die Kommunikation erschwert und unter Umständen nicht der Patient, sondern nur seine Akte bearbeitet wird.

Wandel in der Kommunikation

In den vergangenen 200 Jahren haben die Arzt-Patienten-Beziehung und vor allem die Kommunikation mit dem Patienten einen deutlichen Wandel erfahren. Wenn heutzutage Konzepte wie das dialogische Prinzip oder Shared Decision Making als Grundlage der Arzt-Patienten- Beziehung propagiert werden, gibt es kein Standardrezept für eine gute Beziehung. Faktoren wie die Perspektiven-Divergenz zwischen Arzt und Patient, der weiße Arztkittel als Demarkationslinie, die Verrechtlichung des Arzt-Patienten-Verhältnisses und die fortschreitende Ökonomie der Medizin erschweren eine ausgewogene Balance zwischen Selbst- und Fremdverantwortung des Arztes.

Die Beteiligung der Patienten sehen viele Patienten als Qualitätskriterium für eine gute Arzt-Patienten-Beziehung. „Ärzte müssen akzeptieren, dass Patientenselbstständig und bereits informiert sind“, betont Schüßler. Man müsse sich Zeit nehmen und Geduld haben. Aus der Praxis weiß Schüßler, dass es sich bei den überinformierten Patienten großteils um Patienten bis 50 Jahre handelt. Manche Ärzte empfänden es mitunter als unangenehm, mit einem gut informierten Patienten ein Gespräch zu führen und zögen sich im Verlauf der Unterhaltung immer mehr zurück. Vorteilhaft wäre es dagegen, die weitere Kommunikation mit dem Patienten auf Basis des vorhandenen Wissens aufzubauen. Fleischhacker sieht in diesem Zusammenhang vor allem die zeitliche Restriktion als Problem, da der Patient sehr wohl einen Anspruch auf zeitliche Zuwendung hätte, der Arzt aber unter institutionellem oder wirtschaftlichem Druck stehe. Sinnvoll sei es, den Patienten zu fragen, inwieweit er überhaupt an der Entscheidungsfindung beteiligt werden möchte. Konsequenterweise muss man dem Patienten auch klar machen, dass er die Verantwortung für den Therapieerfolg mitträgt. Zur Vorsicht rät Univ. Prof. Siegfried Kasper von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Wien bei sogenannten Ja-Sagern. „Die eigentlichen Signale, die von diesen Patienten kommen, sind ‚Lass mich in Ruhe‘ und ‚Ich mache, was ich will‘“, betont der Experte.

Doch es ist nicht nur der überinformierte Patient, der bisweilen als „schwierig“ eingestuft wird. Für Fleischhacker ist der Begriff „schwierig“ an sich problematisch, da Störungen in der Kommunikation zwischen Arzt und Patient auch vom Arzt selbst oder der konkreten Situation an sich hervorgerufen werden können. In beiden Situationen gilt es, dass der Arzt neutral bleiben muss und nicht auf den Patienten projiziert, unterstreicht Kasper. Phänomene wie Übertragung und Gegenübertragung spielen eine große Rolle inder Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Und weiter: „Die ganze Palette der menschlichen Emotionen kann sich in der Arzt-Patienten-Beziehung widerspiegeln.“

Kasper erläutert das an einem Beispiel: Eine Ärztin mit unerfülltem Kinderwunsch ist mit einer Patientin konfrontiert, die ständig ungewollt schwanger wird und dies als belastend empfindet. Da persönliche Einstellungen in der Interaktion mit Patienten eine große Rolle spielen, entwickelt die Ärztin unter Umständen eine negative Haltung der Patientin gegenüber. Klischees und Vorurteile von „schwierigen“ Patienten sind nurschwer zu korrigieren, da sie die Wahrnehmung beeinflussen. Verhaltensweisen, die im Umgang mit Patienten als schwierig erlebt werden, sind zum Beispiel intensiver Ärger oder Aggression, theatralisches Verhalten und Gefühlsausbrüche, expressive Selbstdarstellung, demonstratives Schmerzgebaren, aber auch Schweigen und erhöhte Kränkbarkeit.

Bis zu zehn Prozent: aggressiv-fordernd

Bis zu 20 Prozent aller Patienten in der Ordination eines niedergelassenen Arztes werden von den Ärzten aufgrund ihres Verhaltens als „schwierig“ eingestuft. Vor allem bei den aggressiv-fordernden Patienten zeige sich steigende Tendenz. Schüßler dazu: „Waren es früher ein bis zwei Prozent, so sind heute bis zu zehn Prozent der Patienten aggressiv fordernd.“ Oft sind die Ordinationsassistentinnen oder das Pflegepersonal als erste Anlaufstelle mit solchen Patienten konfrontiert. Die Bandbreite des aggressiven Verhaltens reicht von verbalen Angriffen über non-verbale Gewaltandrohungen bis hin zu tätlichen Angriffen; diese kommen jedoch in Österreich seltener vor. Meistens liegen den Aggressionen unbefriedigte oder nicht erkannte Bedürfnisse zugrunde. Fleischhacker rät zur Introspektion: „Woher kommt der Anspruch? Kann ich dem gerecht werden?“ Die Sprache bewusst einzusetzen, rät Kasper und macht darauf aufmerksam, auch auf Tonfall, Mimik und Gestik zu achten: „Ein Fingerzeig auf den Bauch kann beispielsweise bei einer Patientin mit Essstörungen je nach Kontext entweder zur Verstärkung oder Zurückweisung führen.“ Ebenso könne blockendes abweisendes Verhalten durch das medizinische Personal Aggression beim Patienten erzeugen. Kommt es in einem Bereich zum Beispiel ein und derselben Praxis oder Ambulanz öfter zu Problemen mit Patienten, sollte die Struktur hinterfragt werden.

Manchmal wird eine als „schwierig“ erlebte Verhaltensweise nachvollziehbarer, wenn man Hintergrundinformationen über den Patienten hat. „Vor allem bei älteren oder chronischen Patienten hat sich möglicherweise das Umfeld zurückgezogen und die Patienten sind vereinsamt“, weiß Fleischhacker. „Der alte Patient ist im niedergelassenen Bereich immer ein schwieriger Patient, da er Zeit braucht, in der Regel hohe Ansprüche hat, nach sozialem Kontakt sucht und oft multimorbid ist“, bestätigt Schüßler. Problematisch ist auch, dass ältere Patienten immer wieder Therapien einfordern, sich aber nicht daran halten. Schüßler sieht in der Rollenumkehr „junger Arzt – alter Patient“ ebenfalls ein mögliches Störpotential. Ebenso können auch überbesorgte Angehörige oder Eltern bei kindlichen Patienten die Arzt-Patienten-Beziehung erheblich stören.

„Helfersyndrom“

Ein klassisches Problem, dass introspektiv bearbeitet werden sollte, ist das durch überengagiertes Verhalten gekennzeichnete Helfersyndrom. „Es geht hier um Ärzte, die sich aus persönlicher Überzeugung selbst überfordern und nicht um jene, die aus Versorgungs- oder Personalknappheit unter Druck stehen“, meint Fleischhacker. Er gibt zu bedenken, dass es ein zu hoher Anspruch sei, jeden Patienten „mögen“ zu müssen. Zu den problematischen Motiven des Helfers gehört der Wunsch nach einer symbiotischen Beziehung zum Patienten, unrealistische Wünsche in Bezug auf Therapieerfolge, idealistische Motive oder der Wunsch nach Anerkennung. Kasper rät dazu, sich nicht vereinnahmen zu lassen: „Wenn man sich am Abend fühlt wie ein vollgesogener Schwamm, dann hat man etwas falsch verstanden.“ Interessiert man sich als Arzt besonders für einen Patienten, sollte man sich fragen, ob man etwas von sich selbst oder anderen Menschen in diesem Patienten wieder erkennt. Auch in solchen Situationen sollten Projektionen, Übertragung und Gegenübertragung hinterfragt werden. Ursächlich für ein schwieriges Verhalten kann allerdings auch eine Persönlichkeitsstörung sein. Fleischhacker geht davon aus, dass immer wieder Menschen mit Persönlichkeitsstörungen in allen therapeutischen Berufen zu finden sind. „Bei bestimmten psychischen Erkrankungen – vor allem dann, wenn die Patienten nicht in Behandlung sind, die Behandlung nicht annehmen können und/oder eine komorbide Suchtproblematik besteht – sind neben den Angehörigen die Behandler am meisten von einem potentiellen Gewaltrisiko betroffen“, warnt Fleischhacker. Risikoabschätzung und Deeskalationsmaßnahmen sind auch zum Selbstschutz hilfreich und empfehlenswert. „Gerät eine Situation außer Kontrolle, sollte man ruhig und sachlich bleiben und sich nicht auf einen Streit einlassen“, mahnt Schüßler. Notfalls müsse man auch nach Hilfe rufen.

„Die Grenzen zu finden, benötigt Expertise“, erinnert Fleischhacker. Supervision oder der informelle Austausch mit Kollegen könnten neue Erkenntnisse bringen. Kasper empfiehlt die Teilnahme an Balint-Gruppen, da jeder Arzt mit den unterschiedlichsten Gruppen von Patienten zurecht kommen sollte.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2017