Ärztetage Velden: Baby-(Un)glück

15.07.2017 | Medizin

Bis zu 15 Prozent der Frauen sind während der Schwangerschaft und in der Zeit danach in einer psychischen Krise. Die peri- und postpartale Depression bilden einen Themenschwerpunkt bei den diesjährigen Ärztetagen Velden Ende August, die heuer das 20-jährige Jubiläum feiern. Von Christina Schaar

In der Schwangerschaft und nach der Geburt kommt es zu einer großen Lebensveränderung nicht nur bei Frauen. Auch bei den werdenden Vätern kann es in dieser Zeit zu psychischen Krisen kommen. „In dieser Lebensphase wird alles, was es im Leben an Stabilität gibt, in Frage gestellt“, sagt Claudia Reiner-Lawugger von der Spezialambulanz für Perinatale Psychiatrie am Otto Wagner-Spital in Wien. Werdende Mütter sind mit dem Problem der körperlichen Veränderung konfrontiert sowie mit der Auseinandersetzung der bevorstehenden Geburt. Bei Frauen, die an Essstörungen leiden, können diese Veränderungen das generelle Problem des Umgangs mit ihrer Körperlichkeit noch verstärken.

Aus der Life-Event-Forschung ist bekannt, dass große lebensverändernde Ereignisse – in Kombination mit einer Schlafstörung, wie dies nach einer Entbindung der Fall ist – eine hoch vulnerable Phase sind, in der es zu einer psychischen Destabilisierung kommen kann. Diese ist kombiniert mit Schlafstörungen sowie einer Risikoanamnese wie zum Beispiel Depressionen in der Vorgeschichte und kann sich zu einer postpartalen Depression entwickeln. Für die Mütter ist es sehr schwer und traumatisierend, das Gefühl zu haben, nicht für das Kind da zu sein und keine Liebe zu ihm entwickeln zu können (Unterschied zu einer Psychose). Diese depressiven Mütter haben Schuldgefühle und verstehen, dass das, was hier passiert, nicht in Ordnung ist: Sie sollten für das Kind da sein, schaffen es aber nicht, auf seine Bedürfnisse einzugehen. Das kann einerseits eine ganz schwierige Bindungsstörung hervorrufen; andererseits fühlt sich das Kind oft durch das Verhalten der Mutter irritiert, wird unruhig und entwickelt sich oft zu einem „Schreikind“.

Es gibt zwar einen Prozentsatz an depressiven schwangeren Frauen, die bereits eine Vorgeschichte haben: Depressionen, Angsterkrankungen, bipolare Störungen, schizophrene Erkrankungen bis hin zu Borderline-Störungen. Es gibt jedoch auch eine große Gruppe von unsicheren leistungsorientierten Müttern, die alles richtig machen wollen und „wirklich gefährdet sind“, eine postpartale Depression zu entwickeln, sagt Reiner-Lawugger.

Antidepressiva gehören zu einer sehr sicheren Gruppe von Pharmaka, die in der Schwangerschaft verabreicht werden können. „Ich verordne Präparate mit einer kurzen Halbwertszeit häufiger als solche mit einer langen Halbwertszeit“, unterstreicht Reiner-Lawugger. Darüber hinaus gilt: Ist jemand gut auf ein Präparat eingestellt, dann sollte man es dabei belassen. Das Risiko, das man mit einer Änderung der Medikation eingeht, ist größer als das Risiko für das Kind.

Behandlung schwierig und langwierig

Bei Frauen, deren Mütter während der Schwangerschaft an einer Depression gelitten haben und erfahren haben, wie es ist, wenn die Mutter für ihr Kind emotional nicht da sein kann, kann sich die Behandlung eher schwierig gestalten und deswegen mitunter auch langwierig werden. Kommen diese Mütter in die Mutterrolle, spiegelt sich ihre Kindheitsebene: Sie hätten kein inneres Konzept, wie sie als Mutter für ihr Kind da sein sollen, weiß Reiner-Lawugger aus der Praxis. Diese Frauen benötigen sehr viel Unterstützung, oft auch in einem stationären Setting auf einer Mutter-Kind-Station. Reiner Lawugger dazu: „Hier wird deutlich, wie wichtig die Arbeit mit depressiven Müttern ist. Es ist gleichzeitig eine Prävention für die nächste Generation.“

Wenn aus einem Paar eine Familie wird, ändert das auch für das Paar sehr nviel: Mutter und Vater zu werden, die Auseinandersetzung mit der neuen Rolle und die Veränderung im Freundeskreis. „Heutzutage werden Frauen zwischen 15 und 55 Jahren schwanger“, betont Reiner-Lawugger. Es sei nicht oft der Fall, dass zur gleichen Zeit auch eine Freundin schwanger sei – und deswegen gerieten viele Frauen in „soziale Isolation mit ihren Kindern“, weiß die Expertin aus der Praxis. Verstärkt wird dieses Phänomen durch IVF; Erstgebärende werden immer älter, was mitunter den sozialen Druck verursacht.

Dazu kommt eine Entwicklung, die sich seit den 1950er Jahren bemerkbar macht: der Trend zur Ein- beziehungsweise Zwei-Kind-Familie. „Es fehlt an Cousinen und Cousins, mit denen man etwa als Mädchen Babies herumträgt, sie wickelt und so ein kollektives Wissen mitbekommt“, bedauert Reiner-Lawugger. Heutzutage gebe es eine große Zahl an Müttern, die nach der Entbindung zum ersten Mal in ihrem Leben einen Säugling in den Armen halten und völlig verunsichert und ängstlich sind, alles richtig zu machen. Das Bauchgefühl gehe immer mehr verloren, so die Expertin.

Details zum Kongress

20. Ärztetage Velden

Termin: 20. bis 26. August 2017
Anmeldung und Information:
www.arztakademie.at/velden

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2017