Französische Zeichnungen des Barock: Flucht aus der Realität

10.04.2017 | Horizonte

Ob Personen oder Landschaften, Liebensgeschichten oder die antike Mythologie – die Werke des französischen Barock waren meist idealisiert und realitätsfern. Poussin und Lorrain waren in dieser Epoche für Frankreich, was Rembrandt und Vermeer für die Niederlande waren. Von Marion Huber

Sie alle gehörten zu den bedeutendsten Malern des Barock: In den Niederlanden waren es Rembrandt und Vermeer, in Flandern Rubens, in Spanien Velázquez und in Frankreich Nicolas Poussin und Claude Lorrain. Die Albertina in Wien hat aus ihrem Bestand 70 Werke hervorgeholt und eine Schau über die großen französischen Meister des 17. und 18. Jahrhunderts zusammengestellt.

Dabei lebten Poussin und Lorrain eigentlich die meiste Zeit gar nicht in ihrem Heimatland, sondern in Italien – von dort aus verbreitete sich auch das Barock in Europa. Poussin etwa ging schon als junger Maler nach Rom und kehrte erst knapp 20 Jahre später – 1641 – nach Paris zurück. Der französische König Ludwig XIII. wollte es so und Kardinal Richelieu, der Erste Minister, übte massiven Druck aus. Weil sich Poussin am königlichen Hof aber nie wohlfühlte, verließ er Paris schon ein Jahr später wieder Richtung Rom. Dort blieb er und konnte nach dem Tod von Richelieu und König Ludwig XIII. (1642/1643) endlich so arbeiten, wie er es wollte.

Obwohl seine Arbeitsphase in das römische Barock fiel, war Poussin nie ein klassischer Maler dieser Zeit. Die Malerei war damals dem königlichen Willen untergeordnet. Während Barockmaler dem Willen ihrer Auftraggeber nachkamen, sie mit ihren Bildern zu repräsentieren und politische oder religiöse Propaganda zu bedienen, richteten sich Poussins Arbeiten nach den privaten Ansprüchen von Kunstliebhabern und Sammlern. Bei ihm drehte sich alles um antike Mythologie, Religion und historische Motive: Er malte Personen in heldenhaften Posen vor imposanten Landschaften oder der Antike nachempfundene Figuren im Umfeld der antiken Mythologie.

Wie Poussin ging auch Claude Lorrain früh nach Italien und lebte – nach einer kurzen Rückkehr nach Frankreich – bis zu seinem Tod in Rom. Er wurde vor allem durch seine idyllischen Landschaften und Naturschilderungen bekannt. In ihrer ausgewogenen, ruhig und fast majestätisch wirkenden Art wurden sie Inspiration für viele Landschaftsmaler des nachfolgenden Jahrhunderts. So wurde etwa Joseph Mallord William Turner – der wohl bedeutendste englische Maler der Romantik – vom Stil Lorrains beeinflusst.

Der Absolutismus und die Kunst

Unter Ludwig XIV. wurde das von Richelieu vorangetriebene System des „Absolutismus“ vollendet. Ganz nach dem Gedanken des Barock stand die Kunst im Dienste der Verherrlichung des Königs. Im „Grand Siècle“ begründete der „Sonnenkönig“ ein noch nie zuvor gesehenes Mäzenatentum. Auf diese Weise wollte er die gesamte Kunstlandschaft in Frankreich lenken und beauftragte Finanzminister Jean-Baptiste Colbert damit Literatur, Kunst und Wissenschaft zu fördern. Die Akademie für Malerei und Bildhauerei wurde gegründet, der Bau von Schloss Versailles diente zur Zentralisierung der Macht. Es war die Zeit, in der sich auch das Genre des Porträts intensiv entwickelte. Hyacinthe Rigaud war es, der die offizielle französische Porträtkunst begründete und bald Vorbild für die gesamteuropäische höfische Bildnismalerei wurde. Rigaud portraitierte nicht nur Ludwig XIV. und Ludwig XV., sondern auch andere Könige Europas – unter anderem auch König August II. von Polen, gleichzeitig Kurfürst August (der Starke) von Sachsen, und König Friedrich IV. von Dänemark und Norwegen. Als Rigauds wohl bekanntestes Werk gilt dennoch das große Paradebildnis von Ludwig XIV. aus dem Jahr 1701.

Das Rokoko wird geboren

Erst mit dem Tod Ludwigs XIV. im Jahr 1715 wurden die strengen Reglementierungen in der bildenden Kunst aufgehoben und die Malerei des 18. Jahrhunderts entwickelte sich in eine andere Richtung. Das Leben am Hof änderte sich und in ganz Frankreich spielte sich das Leben nun in den Stadtpalästen des Adels und der wohlhabenden Schicht ab. Die Bilder, die man dort als Dekoration verwenden wollte, sollten gemütlicher sein, heiterer und weniger pompös. Das Rokoko war geboren – pastell, zart, weich und hell.

Der vielleicht größte Meister des französischen Rokoko in der Zeit Ludwig XV. war Jean-Antoine Watteau. Wie Francois Boucher war er für die „fête galante“ bekannt. Dort tummelten sich verliebte Pärchen, Tänzer, hübsche Frauen und Hirten in ländlicher Umgebung im Grün der Landschaft. Schlüsselbild dafür war Watteaus „Die Einschiffung nach Kythera“ (1771). Mit ihren irrealen Bildwelten und der Unbeschwertheit fernab der Realität beeinflussten die Werke von Watteau und Boucher auch später Künstler. Boucher war nicht nur der Lieblingsmaler von Madame Pompadour, der Hauptmätresse Ludwigs XV; er war auch Meister darin, eine künstliche Welt der Liebesgötter und der Nymphen zu schaffen. Das zeigt sich am besten in Bildern der Liebesgöttin Venus und der jungfräulichen Jagdgöttin Diana. Jean-Honoré Fragonard – ein Schüler von Boucher – entwickelte dessen Malstil weiter und wandte sich ganz von der historischen Malerei ab. Er nahm sich ein Beispiel am Stil von Watteau und widmete sich thematisch der Erotik, der Leichtigkeit und dem Genuss des Seins.

Inhaltlich in eine ganz andere Richtung ging Jean-Baptiste Greuze: er versuchte mit seinen Motiven den damaligen Vorstellungen von Moral und Religion gerecht zu werden. Nicht umsonst wurde ihm nachgesagt, ein „Maler der Moral, der Güte und der schönen Seele“ zu sein. Dies spiegelte sich allein schon in den Titeln seiner Werke wie „Des Vaters Fluch“ und „Der reuevoll zurückkehrende Sohn“ oder seinem wohl berühmtesten Werk „Familienvater, seinen Kindern die Bibel auslegend“ wider. Mit seinem Stil läutete Greuze bereits den Wandel zum Klassizismus ein. Kunst sollte von da an auch der moralischen Erziehung dienen und Gefühle für Patriotismus, Ehre oder Heldentum auslösen.

Die Art, wie Greuze seine Figuren malte, hatte großen Einfluss auf Jacques-Louis David, der nicht nur zu einem der bedeutendsten Maler des Klassizismus wurde, sondern auch Hofmaler von Napoleon I. Sein beeindruckendes Werk „Die Kämpfe des Diomedes“ (1776) markiert nicht nur den Schluss der Schau in der Albertina, sondern zugleich das Ende des Ancien Régime.

Aktuell auch in der Albertina zu sehen:

Bis 18. Juni 2017: Egon Schiele
Als Auftakt zum Gedenkjahr 2018 zeigt die Albertina schon jetzt in einer großen Schau Egon Schieles Werk. Zu bewundern sind 160 seiner schönsten Gouachen und Zeichnungen.

Poussin bis David: Französische Zeichnungen der Albertina

Bis 25. April 2017

Albertina
Albertinaplatz 1, 1010 Wien
www.albertina.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2017