Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: Kann schlechte Gesundheitsinformatik töten?

15.07.2016 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Mit dieser provokanten Frage beginnt der deutsche Wissenschaftler Reinhold Haux sein Vorwort zum jüngst erschienenen Buch „Evidence-Based Health Informatics“. Und er beantwortet die Frage eindeutig: Falsche IT-Methoden, fehlerhafte elektronische Informations- und Kommunikationstechnologien oder deren unangemessene Anwendung können Patienten schaden. Er lässt aber auch keinen Zweifel daran, dass moderne Informations- und Kommunikationstechnologien große Chancen bieten, Ärzte unterstützen, Effektivität und Effizienz der Leistungserbringung erhöhen und die Behandlungsqualität verbessern können.

Gesundheitsinformatik betrifft also nicht nur die Effektivität der Behandlung, deren Kosten und den Verbrauch von Ressourcen des Gesundheitssystems sondern beeinflusst oft direkt die Behandlung von Patienten und das Behandlungsergebnis. Somit – argumentieren Herausgeber und Autoren unter Verweis auf die Patientensicherheit – müsse für Anwendungen von e-Health dieselbe wissenschaftliche Untermauerung, müssen dieselben Evidenz-basierten Nachweise von Wirkung und Nebenwirkung gefordert werden, wie dies bei Medikamenten, medizinischen Geräten und Methoden allgemein anerkannter Standard ist.

Es reiche nicht, e-Health-Anwendungen Patientensicherheit und Behandlungsverbesserung einfach zu unterstellen ohne diese zentralen Ziele jeder Investition im Gesundheitswesen auch belegen zu können. Selbst wenn die Prämissen bei der Einführung erfüllt wurden, muss kontinuierliche Evaluation und objektive Validierung sicherstellen, dass bei zunehmender Komplexität der Prozesse dieser Vorteil auch erhalten bleibt. Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Modernisierung im Gesundheitswesen stellen keinen Wert an sich dar, argumentiert etwa die Herausgeberin Elske Ammenwerth, sondern deren Wert kann nur im Kontext zur Verbesserung des Patienten-Outcomes gesehen werden. Ungeprüften Erwartungen, Ansprüchen und Versprechungen fehlt die ethische Grundlage zum Einsatz neuer Technologien. Das gilt in der medizinischen Behandlung ebenso wie beim Einsatz von Informationstechnologien. Der Preis schlechter Technologien sind dabei nicht nur klinische Fehler im Ablauf, Fehlbehandlungen und Abnahme der Patientensicherheit. Auch die Frustration der Nutzer, die Verschwendung von Ressourcen und der Verlust von Patientennutzen schlagen sich negativ zu Buche.

Alles Gründe, die untermauern, warum die Anwendungsorientierung auf das Ziel des Behandlungserfolges ausgerichtet sein muss: Kein e-Health IT-System stehe für sich selbst, weder etwa die Befundübertragung oder Befundspeicherung noch telemedizinische Anwendungen. Design, Auswahl und Umsetzung müssen sich an der Erbringung der Gesundheitsleistung ausrichten. Dabei gilt es insbesondere auch die unterschiedlichen Settings, in denen die Leistungen erbracht werden, zu berücksichtigen. Diese können von Einrichtung zu Einrichtung unterschiedlich sein, vom Versorgungsauftrag, der Größe und der Lage, den Organisationsstrukturen aber auch von kulturellen Einflüssen abhängen.

Schließlich seien sowohl Patienten wie auch Ärztinnen und Ärzte auf Gedeih und Verderb von einmal implementierten IT-Systemen abhängig. Sie sind in der Regel keine Anwender, die wählen dürfen, sondern nicht selten Opfer der Auswahl anderer: der Vertreter der Organisation und der Politik. Somit trifft die Entscheidungsträger eine besondere Verantwortung. Sie dürfen nicht zur Durchsetzung ihrer ökonomischen, organisatorischen oder politischen Interessen die übrigen Stakeholder wie Patienten, Ärzte oder nichtärztliches Personal mit ihrer Entscheidungsmacht einfach übertrumpfen. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die auch für den Befundaustausch in ELGA und die e-Medikation gelten.

Wurde all diesen Erkenntnissen im Vorfeld wirklich entsprochen und alle Beweise, die wissenschaftliche Evidenz in der Patientenbehandlung voraussetzt, beigebracht? Wie wurde der Evaluationsprozess, der die Perspektiven der Patienten und deren Behandler berücksichtigt, aufgesetzt?

Oder ist die Ruhe, mit der im ersten Halbjahr seit dem ELGA-Start 1,3 Millionen Dokumente per Mausklick in die ELGA-Datenspeicher verschoben wurden, Evidenz genug, um unbeirrt diesen Weg fortzuschreiten? – Wohl etwas mager, wenn es um Patientensicherheit geht, die in jeder Neuerung im Gesundheitssystem oberste Priorität haben muss.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2016