ÖÄZ-Round Table: Arbeits­be­din­gun­gen der Zukunft – Fle­xi­bel statt starr

10.11.2016 | Politik

Fle­xi­bel statt starr

Junge Ärzte wol­len in Zukunft fle­xi­bler arbei­ten – ob es Arbeits­zei­ten und Zusam­men­ar­beit betrifft, Fami­li­en­freund­lich­keit oder digi­tale Mög­lich­kei­ten. Aber: Der per­sön­li­che Pati­en­ten­kon­takt wird uner­setz­bar blei­ben – waren sich Tur­nus­ärzte-Ver­tre­ter bei einem von der ÖÄZ ver­an­stal­te­ten Round Table sicher. Von Marion Huber

Genau weiß es kei­ner von uns, wie der Arzt­be­ruf in Zukunft aus­se­hen wird. Was wir aber sehr wohl wis­sen, ist, dass die Vor­stel­lun­gen vom Beruf heute ganz anders sind als noch vor 15 oder 20 Jah­ren“, stellt Karl­heinz Korn­häusl, stell­ver­tre­ten­der Bun­des­ob­mann der ange­stell­ten Ärzte und Chef der Bun­des­sek­tion Tur­nus­ärzte, klar. „Die star­ren Struk­tu­ren, in die Ärzte gezwängt wer­den, bil­den schon heute nicht mehr das Arbeits­um­feld ab, das sich junge Ärzte vor­stel­len.“ Zwei sol­cher Knack­punkte sind etwa Arbeits­be­din­gun­gen und Arbeits­zeit – hier ist Fle­xi­bi­li­tät gefragt. Das gilt für junge Ärz­tin­nen ebenso wie für ihre männ­li­chen Kol­le­gen. Auch wenn oft der stei­gende Frau­en­an­teil als Argu­ment ins Tref­fen geführt wird – immer­hin sind 70 Pro­zent der jun­gen Ärz­te­ge­ne­ra­tion Frauen –; der Wunsch nach mehr Teil­zeit­ar­beit und fle­xi­blen Arbeits­zei­ten betrifft auch die männ­li­chen Ärzte. „Auch wir Män­ner wol­len unsere Kin­der auf­wach­sen sehen – nicht nur auf Fotos im Dienst­zim­mer“, spricht Korn­häusl aus eige­ner Erfah­rung. Auch wenn er die neu-deut­sche Wort­krea­tion „Work-Life-Balance“ nicht gerne ver­wen­det, weil „meine Arbeit auch Teil mei­nes Lebens ist und nicht der Gegen­satz dazu“, for­dert Korn­häusl ein­dring­lich, dass es in Zukunft leich­ter mög­lich sein muss, Fami­lie und Beruf zu vereinen.

Arbeits­zeit: neue Wege

Vor kur­zem war es nach Schil­de­rung von Korn­häusl noch gang und gäbe, dass man als Arzt 50 und sogar 60 Stun­den durch­ge­ar­bei­tet hat. „Dass man in der Arbeits­zeit neue Wege beschrei­tet, ist wich­tig und rich­tig“, spricht er die Novelle des KA-AZG und die Ver­kür­zung der Arbeits­zeit an. Nicht zu ver­ges­sen: Auch die Pati­en­ten­zah­len und Anfor­de­run­gen, die heute in der Arbeits­zeit erle­digt wer­den müs­sen, sind mit frü­her „nicht mehr zu ver­glei­chen“, fügt Ste­fan Ferenci, stell­ver­tre­ten­der Tur­nus­ärzte-Obmann in Wien, hinzu. Trotz der stei­gen­den Anfor­de­run­gen sei der Ver­dienst nicht nach­ge­zo­gen, vie­les wird – trotz der Gehalts­re­form – finan­zi­ell nicht oder nicht aus­rei­chend abge­gol­ten. Ein Punkt, der sich für Ferenci – neben der fle­xi­ble­ren Arbeits­zeit – in Zukunft ändern muss: „Das Gehalt eines Arz­tes muss für 40 Stun­den Arbeits­zeit hoch genug sein, damit nicht mehr die Not­wen­dig­keit besteht, neben­bei etwas dazu zu verdienen.“

„Wenn wir vom Arzt­bild der Zukunft reden, müs­sen wir uns zwangs­läu­fig die Frage stel­len, wie wir künf­tig ver­sor­gen wol­len“, wirft Korn­häusl ein. Ver­sor­gung und Arzt­be­ruf sind untrenn­bar mit ein­an­der ver­knüpft. Da geht es um Zusam­men­ar­beit ebenso wie um Ambu­lanz­ent­las­tung und nie­der­ge­las­sene Ärzte. Es geht um Zusam­men­ar­beit zwi­schen den Ärzte-Gene­ra­tio­nen, zwi­schen nie­der­ge­las­se­nem und sta­tio­nä­rem Bereich und zwi­schen Berufs­grup­pen. „Wir brau­chen eine starke Soli­da­ri­tät inner­halb der Ärz­te­schaft“, for­dert die stell­ver­tre­tende Che­fin der Kurie ange­stellte Ärzte in Wien, Marina Hönig­schmid. Die ältere und jün­gere Gene­ra­tion müss­ten ein­an­der unter­stüt­zen und die Arbeits­be­las­tung teilen.

Wich­tig wird auch die Zusam­men­ar­beit von nie­der­ge­las­se­nen Ärz­ten wer­den, wie die Tur­nus-Spit­zen­ver­tre­te­rin aus Tirol, Doris Peci­val, hin­zu­fügt: „Gemein­schafts­pra­xen, Bereit­schafts­pra­xen und Grup­pen­pra­xen mit ande­ren Berufs­grup­pen – Mög­lich­kei­ten gibt es viele. Auch ihre ober­ös­ter­rei­chi­sche Kol­le­gin Doris Mül­ler kann sich das gut vor­stel­len: Nimmt zum Bei­spiel eine Ärz­tin einen Kas­sen­ver­trag an, hat viel­leicht einen Ehe­mann, der auch Arzt ist oder sie sucht sich eine Kol­le­gin und teilt den Ver­trag 50/​50. „Das ist mit Sicher­heit ein Arzt­bild der Zukunft, bei dem Fami­lie und Beruf gut in Ein­klang zu brin­gen sind“, betont sie. Den­noch sollte es nach Ansicht von Korn­häusl wei­ter­hin „dort, wo es Sinn macht, wo es sein muss und auch gewünscht ist“ ein gewis­ses „Ein­zel­kämp­fer­tum“ geben – etwa in ent­le­ge­nen Regionen.

Die Gesund­heits­ver­sor­gung der Zukunft wird auch neue Schnitt­stel­len zwi­schen nie­der­ge­las­se­nem und Spi­tals­be­reich brau­chen. Heute exis­tie­ren in Wahr­heit zwei Sys­teme neben­ein­an­der, „aber eigent­lich müss­ten die Berei­che viel enger zusam­men­ar­bei­ten“ (Korn­häusl). Ein Bei­spiel: Im Kran­ken­haus ste­hen klei­nere OP-Säle und Endo­sko­pie-Ein­hei­ten ab Nach­mit­tag teil­weise still, aber im nie­der­ge­las­se­nen Bereich war­tet man wochen- bis mona­te­lang auf einen ent­spre­chen­den Ter­min. Wie man es bes­ser machen könnte? „Res­sour­cen, die da sind, müs­sen effek­tiv genutzt wer­den“, for­dert der höchste Tur­nus­ärz­te­ver­tre­ter. „Warum soll es nicht mög­lich sein, dass zum Bei­spiel ein ange­stell­ter Arzt, der neben­bei eine Wahl­arz­tor­di­na­tion betreibt, gewisse Res­sour­cen im Spi­tal anmie­ten und nut­zen kann?“

„Der Arzt der Zukunft muss ein gut aus­ge­bil­de­ter sein“, das steht für Ferenci fest. Auch wenn der Start der neuen Ärzte-Aus­bil­dungs­ord­nung 2015 etwas holp­rig war, wird sich das Pro­ce­dere in den nächs­ten Jah­ren ein­pen­deln. Korn­häusl: „Und dann haben wir den Weg, dass es gut aus­ge­bil­dete Gene­ra­lis­ten gibt und gleich­zei­tig gut aus­ge­bil­dete Spe­zia­lis­ten.“ Vor­sicht sei jedoch gebo­ten, dass die Ärzte in den Ambu­lan­zen nicht ver­bren­nen an „Baga­tell­fäl­len“, die nicht in eine Ambu­lanz gehö­ren. „Wir haben viele gute Ärzte ver­lo­ren, weil sie gesagt haben, dass sie die Aus­bil­dung nicht dafür gemacht haben“, gibt Korn­häusl Berichte von vie­len Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen wieder.

Um die Ambu­lan­zen zu ent­las­ten, wer­den gute Gene­ra­lis­ten gebraucht. So denkt Peci­val etwa an die Option von vor­ge­la­ger­ten Ein­hei­ten im Kran­ken­haus, die den ers­ten Pati­en­ten­strom selek­tie­ren und len­ken. „Wird die Selbst­zu­wei­sung der Pati­en­ten limi­tiert, wer­den Spe­zi­al­am­bu­lan­zen ent­las­tet – und diese Selek­tion kann nur ein Gene­ra­list machen.“ Und wir brau­chen die Gene­ra­lis­ten für die gute Ver­sor­gung in den Haus­arzt-Pra­xen, fügt Mül­ler hinzu: „Als All­ge­mein­me­di­zi­ner hat man den Über­blick, betreut teil­weise ganze Fami­lien, vom Klein­kind bis zu älte­ren und mul­ti­mor­bi­den Patienten.“

Digi­ta­li­sie­rung ver­sus Patientenkontakt?

So sehr neue Medien und digi­tale Mög­lich­kei­ten uns im All­tag schon heute beglei­ten, muss man sich frü­her oder spä­ter auch im Gesund­heits­we­sen mit der Frage der „Digi­ta­li­sie­rung“ aus­ein­an­der­set­zen. Ohne eine Wer­tung abzu­ge­ben, berich­tet Korn­häusl von Bei­spie­len in skan­di­na­vi­schen Län­dern: Auch dort sind Ärzte Man­gel­ware, auch dort muss man Lösun­gen im Sinn einer adäqua­ten Ver­sor­gung fin­den. Bei­spiels­weise gibt es dort Modelle, wo ein Arzt in vie­len Kilo­me­tern Ent­fer­nung per Foto und Sym­ptom­be­schrei­bung über das Smart­phone eine Erst­dia­gnose stel­len kann. „Man kann davon hal­ten, was man möchte, aber wir müs­sen uns zumin­dest mit die­sen Din­gen aus­ein­an­der­set­zen, sonst wer­den wir davon ein­ge­holt.“ Nicht alles was mög­lich ist, ist auch sinn­voll – der per­sön­li­che Kon­takt ist immer der beste – aber „bes­ser vor­her durch­den­ken, als immer hin­ter­her zu hechten.“

Wan­del kaum merkbar

„Manch­mal voll­zieht sich ein Wan­del so leise, dass man es erst merkt, wenn er schon voll­zo­gen ist.“ Was Korn­häusl damit meint? Wenn man eine erfah­rene Kran­ken­schwes­ter, die kurz vor ihrer Pen­sio­nie­rung steht, fragt, kann sie sich gut erin­nern, dass Pati­en­ten frü­her 18 Tage auf der Abtei­lung gele­gen sind, dass der Ober­arzt all ihre Werte und über deren Ver­lauf Bescheid gewusst hat. Heute liegt ein Pati­ent viel­leicht fünf Tage auf der inter­nen Abtei­lung. „Wir kön­nen nicht mehr alle Pati­en­ten in- und aus­wen­dig ken­nen und schon gar nicht ihren Ver­lauf“, argu­men­tiert Hönig­schmid. Damit hat sich das Bild schon dra­ma­tisch gewan­delt. Und des­halb wird es nach über­ein­stim­men­der Mei­nung der Tur­nus­ärz­te­ver­tre­ter „unum­gäng­lich“ sein, neue elek­tro­ni­sche For­men der Daten­samm­lung und des Daten­ab­rufs ein­zu­füh­ren. Ent­schei­dende Fra­gen wer­den dabei sein: Wie schauen Über­ga­ben aus? Wie funk­tio­niert die Informationsweitergabe?

Eines ist für die Tur­nus­ärz­te­ver­tre­ter aber auch klar: „Der Arzt wird immer die direkte Ver­trau­ens­per­son blei­ben“, so Peci­val. Denn: „Die Werte, die elek­tro­nisch gesam­melt und abruf­bar sind, sind das eine; der Arzt, der diese Werte mit dem kli­ni­schen Bild in Ein­klang bringt, ist das andere“, fügt Ferenci hinzu. Und Mül­ler ergänzt: „Als Arzt braucht man alle seine Sinne. Infor­ma­tio­nen, die mit dem Seh­sinn, dem Hör­sinn, dem Geruchs­sinn oder dem Tast­sinn wahr­ge­nom­men wer­den, kön­nen nie mit einem Tablet auf­ge­nom­men wer­den.“ Für Korn­häusl ist immer das per­sön­li­che Gespräch die beste Lösung: „Der per­sön­li­che Kon­takt zum Pati­en­ten ist das Schönste an der Heil­kunst.“ Das war schon vor 2.000 Jah­ren so und wird auch in 2.000 Jah­ren noch so sein…

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 21 /​10.11.2016