Mystery Shopping: Frontalangriff

10.05.2016 | Politik

Mit der Einführung von Mystery Shopping stehen Ärztinnen und Ärzte – ebenso wie Patientinnen und Patienten – künftig unter Generalverdacht. Die ÖÄK lehnt dieses Vorhaben vehement ab – und sieht die Verfassungswidrigkeit durch zwei Gutachten bestätigt.

Künftig sollen sich Spitzel als falsche Patienten mit einer eigens ausgestellten – also gefälschten – E-Card in Ordinationen einschleichen können – und das nicht nur bei einem begründeten Verdacht, sondern auch im Rahmen eines Stichprobenplans, ohne dass es irgendwelche Hinweise auf ein Fehlverhalten gibt. Mit einem einstimmigen Beschluss der Trägerkonferenz am 19. April dieses Jahres hat die Sozialversicherung Richtlinien für die Durchführung, Dokumentation und Qualitätssicherung des „Mystery Shopping“ erlassen. Demnach haben die betreffenden Krankenversicherungen für das jeweils kommende Jahr einen Stichprobenplan zu erstellen, der sowohl die Prüfungsschwerpunkte als auch den Gesamtumfang der Stichproben enthält. Die Gutachten des Wiener Verfassungsexperten Univ. Prof. Heinz Mayer und jenes von Univ. Prof. Alois Birklbauer vom Institut für Strafrecht der Uni Linz sehen die Verfassungswidrigkeit gegeben.

Damit werden die Rahmenbedingungen für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte weiter erschwert. Bekanntlich sollen Mystery Shopping, die Registrierkassenpflicht und die Ausweiskontrollen bei der E-Card als Gegenfinanzierung der im Zuge der Steuerreform 2015/2016 beschlossenen Steuerentlastung rund 200 Millionen Euro bringen.

Bereits bei Bekanntwerden der Pläne zu Mystery Shopping hat die ÖÄK bei ihrer Vollversammlung in Geinberg im Juni 2015 eine entsprechende Resolution verabschiedet, in der die geplanten Methoden zur Bekämpfung des sozialen Missbrauchs in ärztlichen Ordinationen und Spitälern „als völlig unangemessen“ abgelehnt werden. Dazu ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger: „Wir sind zutiefst davon überzeugt und sehen uns darin auch durch die beiden Gutachten bestätigt, dass es dabei um ein verfassungswidriges Vorgehen handelt, wenn – wie in der Richtlinie vorgesehen – Stichprobenpläne erstellt werden, nach denen Ärzte oder andere Vertragspartner, die sich nie etwas zu Schulden kommen haben lassen, so kontrolliert werden.“ Schon jetzt werden Krankschreibungen und auch Medikamentenverordnungen elektronisch gespeichert und somit überprüft; ebenso sei jederzeit eine Überprüfung durch den kontrollärztlichen Dienst der Kassen möglich. Für Artur Wechselberger ist klar: „Die Ärztekammer wird nun den Gang zum Verfassungsgerichtshof beschreiten“.

Für Johannes Steinhart, Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der ÖÄK, ist Mystery Shopping ein „Frontalangriff“ auf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. „Ohne Vertrauen ist keine Arzt-Patienten-Beziehung möglich. Das ist die Basis.“ Steinhart sieht darin auch „die zwischenmenschliche Basis unserer ärztlichen Tätigkeit bedroht. Unsere Ethik, unser Grundverständnis vom Arzt als freien Beruf werden mit den Füßen getreten.“ Der Einsatz von Spitzel im öffentlichen Bereich sei sonst nur in einem klaren rechtsstaatlichen Verfahren zulässig, während hingegen, „die Bespitzelung von Ärztinnen und Ärzten sowie Patienten jeder Abteilungsleiter der kontrollierenden Stelle anordnen darf“. Die Konsequenzen in der Praxis seien absehbar: ein noch stärkerer Trend in Richtung Absicherungsmedizin. Was Steinhart außerdem kritisiert: „Wir sind gegen Sozialbetrug und hier wird aber genau ein solcher mit einer gefälschten E-Card und vorgegebenen Symptomen geschaffen.“

E-Card-Missbrauch: Sieben Verurteilungen

Die Sozialversicherung hat zwischen 2008 und 2013 – bei rund acht Millionen aktiven E-Cards – nach eigenen Angaben 421 Fälle mit Verdacht auf E-Card-Missbrauch durch Versicherte untersucht. Dabei ist es in sieben Fällen zu Verurteilungen gekommen. Der entstandene Schaden betrug insgesamt 101.000 Euro. Und noch im Mai 2015 äußerte sich auch Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser – in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der freiheitlichen Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch-Jenewein eher skeptisch: „Nach den laufenden Erhebungen des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger kann die Zahl der Missbrauchsfälle (…) tatsächlich als sehr gering – geringer als vor Einführung der E-Card bezeichnet werden. Die Missbrauchsfälle stellen keine erhebliche Belastung der Krankenversicherungsträger dar und haben für die Finanzlage der Versicherungsträger keine reale Bedeutung.“

Informationen

Detaillierte Informationen über die von der ÖÄK geplanten Maßnahmen gibt es in der nächsten Ausgabe der ÖÄZ.

Die Gutachten im Detail

Eines der Gutachten stammt vom Verfassungsexperten Univ. Prof. Heinz Mayer; das andere von Univ. Prof. Alois Birklbauer vom Institut für Strafrecht der Uni Linz. Beide kommen zu folgendem Schluss: Sowohl die gesetzliche Grundlage (§32a im ASVG) als auch die Richtlinie des Hauptverbandes stoßen auf massive verfassungsrechtliche Bedenken. Sie verstoßen gegen den in der Menschenrechtskonvention Art. 6 festgeschriebenen Verfassungsgrundsatz der Fairness des Verfahrens. Selbst im Strafrecht gilt der Grundgedanke, dass der Staat in der Strafverfolgung nicht heimlich tätig werden darf und vor allem nicht zu Straftaten verleiten darf. Ausgenommen sind Fälle von begründetem Anfangsverdacht. Doch muss jedenfalls sichergestellt sein, dass ein „Lockspitzel“ nicht zu einer Tat verleitet, die ohne sein Zutun nicht begangen worden wäre. Diese Bestimmungen sind an Beamte der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und der Gerichte gerichtet – also staatliche Organe, die eine ganz konkrete Ausbildung nach bestehenden dienstrechtlichen Vorschriften erhalten haben und einem Disziplinarrecht unterworfen sind. Im Gegensatz dazu ist die Ausbildung der Kassenspitzel, die weder eine spezifische Qualifikation haben müssen oder Verantwortung tragen, nicht detailliert geregelt. Das ist in Anbetracht der im Strafrecht geltenden Voraussetzungen unangemessen. In Ordinationen ist der Einsatz von Spitzeln selbst dann möglich, wenn kein konkreter Tatverdacht gegeben ist. Dieses System wäre selbst zur Aufklärung gerichtlicher Straftaten unzulässig. Das ist laut Mayer unverhältnismäßig und gleichheitswidrig.

Ebenso „massive verfassungsrechtliche Bedenken“ bestehen gegen den uferlosen Anwendungsbereich der Richtlinie. Auch das ist unverhältnismäßig und überschießend, da eine Überprüfung durch gelindere Maßnahmen möglich wäre.

Völlig unangemessen ist eine Bespitzelungsmöglichkeit ohne begründeten Verdacht. Damit würden auch Ärzte getäuscht und zu rechtswidrigem Verhalten animiert, die ihre Aufgaben korrekt erfüllen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2016