Uner­wünschte Arz­nei­mit­tel­ereig­nisse: Erken­nen & verhindern

25.11.2016 | Politik

Uner­wünschte Arz­nei­mit­tel­ereig­nisse sind Ursa­che für zwei bis sechs Pro­zent der sta­tio­nä­ren Auf­nah­men – wer­den aber oft nicht als sol­che erkannt. Bewährte Maß­nah­men ins­be­son­dere auch die elek­tro­ni­sche Fie­ber­kurve könn­ten viele die­ser Ereig­nisse ver­hin­dern und die Medi­ka­ti­ons­si­cher­heit erhö­hen. Von Marion Huber

Über­se­hene All­er­gien, fal­sche Dosie­rung, Pati­en­ten­ver­wechs­lung etc.: Für uner­wünschte Arz­nei­mit­tel­ereig­nisse – oder „Adverse Drug Events“ – gibt es zahl­rei­che Aus­lö­ser. Durch die Viel­zahl der Men­schen, die im Behand­lungs­pro­zess ein­ge­bun­den sind, ergibt sich auch eine Viel­zahl an Feh­ler­quel­len. Der Zeit­druck im Spi­tal­s­all­tag tut das Seine, um dies zu begüns­ti­gen. Umso wich­ti­ger ist es für die Pati­en­ten­si­cher­heit, die Feh­ler und Bei­nahe-Feh­ler zu iden­ti­fi­zie­ren. „Wir Ärzte sind daher auf­ge­ru­fen, inten­sivst an der Medi­ka­ti­ons­si­cher­heit zu arbei­ten“, erklärte ÖÄK-Prä­si­dent Artur Wech­sel­ber­ger bei einer Tagung der „Platt­form Pati­en­ten­si­cher­heit“ zum Thema „Medi­ka­ti­ons­si­cher­heit“ Anfang Novem­ber in Wien. Und er ver­wies auf die Leit­sätze des ärzt­li­chen Han­delns: „nil nocere“ und „Das Heil des Pati­en­ten ist obers­tes Gebot des Handelns.“

Je nach Stu­die wird der Anteil der sta­tio­nä­ren Auf­nah­men nach uner­wünsch­ten Arz­nei­mit­tel­ereig­nis­sen auf zwei bis sechs Pro­zent geschätzt; bei älte­ren Per­so­nen ist der Anteil noch höher. In Öster­reich lie­ßen sich laut einer Stu­die der Med­Uni Wien zum Bei­spiel im Jahr 2006 rund 250.000 Kran­ken­haus­auf­ent­halte auf Dia­gno­sen zurück­füh­ren, die auf uner­wünschte Arz­nei­mit­tel­ereig­nisse hin­wei­sen. 2,3 Pro­zent der Bevöl­ke­rung waren davon betroffen.

Beim Groß­teil der uner­wünsch­ten Ereig­nisse gibt es einen Zusam­men­hang mit einem oder meh­re­ren mensch­li­chen Fak­to­ren wie etwa unzu­rei­chen­des Wis­sen, man­gelnde Sorg­falt oder Unacht­sam­keit. Univ. Prof. Nor­bert Patei­sky, Fach­arzt für Frau­en­heil­kunde und Geburts­hilfe sowie Experte für kli­ni­sches Risi­ko­ma­nage­ment, sieht beson­dere Risi­ko­fak­to­ren, wenn:

  • man sich auf sein Gedächt­nis ver­lässt und sich nicht rückversichert;
  • Über­ga­ben unstruk­tu­riert erfol­gen – spe­zi­ell ange­sichts der stei­gen­den Anzahl der Über­ga­ben durch die Arbeitszeitverkürzung;
  • es wenige Stan­dards gibt;
  • Check­lis­ten und Pro­to­kolle abge­lehnt werden.

Wie Patei­sky betont, „geht es nicht darum, einen Schul­di­gen für die Feh­ler zu fin­den“. Durch eine neue Sicher­heits­kul­tur sol­len poten­ti­elle Feh­ler ver­hin­dert und die Medi­ka­ti­ons­si­cher­heit erhöht wer­den. Oft genü­gen schon ein­fa­che Maß­nah­men, um Risi­ko­quel­len recht­zei­tig zu ent­de­cken. Und wei­ter: „Wir kön­nen zei­gen, dass Schä­den an Pati­en­ten durch den ein­fa­chen Ein­satz von Check­lis­ten und Team­trai­nings um 30 bis 50 Pro­zent zurück­ge­hen.“ Die Pra­xis zeigt auch, dass eine Team­er­wei­te­rung um kli­ni­sche Phar­ma­zeu­ten eine wesent­li­che Unter­stüt­zung zur Erhö­hung der Medi­ka­ti­ons­si­cher­heit dar­stellt. Die Krux liege aber schon darin, dass uner­wünschte Arz­nei­mit­tel­ereig­nisse oft nicht als Grund der Hos­pi­ta­li­sie­rung erkannt und nur teil­weise durch Mel­de­sys­teme erfasst wer­den. In den USA wur­den des­halb soge­nannte „Trig­ger Tools“ ent­wi­ckelt. Dabei wer­den in der Pati­en­ten­do­ku­men­ta­tion indi­rekte Hin­weise auf uner­wünschte Arz­nei­mit­tel­ereig­nisse gesucht. So kann etwa ein plötz­li­ches Abset­zen eines Medi­ka­ments oder die Gabe eines Anti­dots dar­auf hin­deu­ten, dass im Vor­feld ein sol­ches Ereig­nis pas­siert ist. „Mit die­sen Tools konn­ten 50 bis 100 Pro­zent mehr Ereig­nisse gefun­den wer­den als mit klas­si­schen Instru­men­ten“, berich­tet Pateisky.

„Adverse Drug Event“

Als uner­wünsch­tes Arz­nei­mit­tel­ereig­nis („Adverse Drug Event“, ADE) wird jedes uner­wünschte Ereig­nis bezeich­net, das in Ver­bin­dung mit der Anwen­dung von Medi­ka­men­ten steht. Dazu zäh­len sowohl Medi­ka­ti­ons­feh­ler als auch uner­wünschte Arz­nei­mit­tel­wir­kun­gen („Adverse Drug Reac­tion“, ADR).

Beson­de­res Risiko für sol­che Ereig­nisse besteht laut Univ. Prof. Nor­bert Patei­sky bei:

  • Poly­phar­ma­zie
  • mul­ti­mor­bi­den Patienten
  • Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­ble­men
  • mehr­fach betreu­ten Pati­en­ten (Stich­wort „doc­tor shopping“)
  • sehr alten Pati­en­ten und
  • sehr jun­gen Pati­en­ten (Babys, Kleinkinder)

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 22 /​25.11.2016