Konferenz der Ärzte in Ausbildung: „Gestaltet eure Zukunft!“

15.12.2016 | Politik

„Lasst euch nicht in ein System zwängen, das keine patientengerechte Versorgung zulässt. Verändert das System“ – mit diesem Appell richteten sich Spitzenfunktionäre der ÖÄK bei der von der Kurie angestellte Ärzte ins Leben gerufenen Veranstaltung „#wirsinddiezukunft“ an die Jungärzte. Durch neue Herausforderungen und andere Vorstellungen der jungen Generation wird sich das Gesundheitssystem ändern müssen, um zu funktionieren.
Von Marion Huber und Agnes M. Mühlgassner

Ihr seid die Zukunft. Gestaltet sie aktiv mit“ – mit diesen Worten begrüßte ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger die vielen jungen Ärzte bei der „Konferenz der Ärzte in Ausbildung“ Ende November in Wien. Jungärzte aus den verschiedensten Bundesländern – und sogar aus dem Ausland – sind der Einladung der Bundeskurie angestellte Ärzte gefolgt und wollten über die Zukunft des Arztberufs mitdiskutieren. Eines ist klar: Die Vorstellungen der Jungen sind heute anders als vor 20 oder 30 Jahren. Kommt also ein junger Arzt mit seinen Visionen ins Arbeitsleben, stößt er in der Realität bald an seine Grenzen. „Dann gibt es zwei Wege: Entweder man resigniert, oder man krempelt seine Ärmeln hoch und bringt sich ein, um etwas zu verbessern“, sagte Karlheinz Kornhäusl, Obmann der Bundessektion Turnusärzte. Das Gesundheitssystem werde ganz andere Voraussetzungen und Herausforderungen bergen als heute, wandte sich auch ÖÄKVizepräsident Harald Mayer direkt an das junge Publikum: „Sie werden diese Herausforderungen Ihr ganzes Berufsleben lang lösen müssen.“ Dass die Jungen deshalb Vorstellungen einbringen und mitgestalten, ist seiner Ansicht nach besonders wichtig. „Wir werden das der Politik gerne ausrichten.“

Engagement forderte auch Wechselberger von den jungen Ärzten ein: „Lasst euch nicht in ein Umfeld zwingen, von dem ihr glaubt, dass man darin keine gute, patientengerechte Versorgung gestalten kann.“ Frei zu entscheiden, was aktuell am besten für den individuellen Patienten ist – das ist das Privileg und Wesen eines freien Berufs. Eines sollten junge Ärzte laut Wechselberger aber keinesfalls tun: wegen schlechter Rahmenbedingungen ins Ausland oder in einen anderen Beruf wechseln. Stattdessen lautete sein Appell: „Werdet aktiv. Verändert das System und: fordert Änderungen ein.“

Die EU, die Medizinstudenten und die Ärztemigration

„Die EU-Kommission empfiehlt Österreich, die Tragfähigkeit des Gesundheitswesens zu gewährleisten“, berichtete Marc Fähndrich, Berater für wissenschaftspolitische Koordinierung im Europäischen Semester, im ersten Themenblock der Veranstaltung. Was besonders in der Kritik steht: die Spitalslastigkeit in Österreich, die nach Ansicht der EU schlecht ausgebaute Primärversorgung und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Versorgung etwa von chronisch Kranken. Karin Kadenbach, Abgeordnete im Europäischen Parlament, betonte, wie sehr die Gesundheitssysteme der EU zusammenhängen; eine innereuropäische Bewegung gebe es nicht nur bei den Patienten, sondern auch bei Medizinstudenten. „Manche Mitgliedsstaaten lehnen sich zurück und überlassen die Aufgabe der Ärzte-Ausbildung anderen Mitgliedsstaaten, um davon zu profitieren.“ Fähndrich denkt an Deutschland: „Deutschland bildet viel zu wenige Ärzte aus. Das ist ein Skandal!“ Sascha Reiff, Präsident der European Junior Doctors, sprach die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen als Faktor an: Wenn mehr als ein paar Prozent der jungen Ärzte das Land verlassen, „muss man sich fragen, welche Bedingungen sie zwingen, ins Ausland zu gehen“.

Man müsste „sorgsam“ mit den jungen Ärzten umgehen und bessere Bedingungen ermöglichen, „aber da wird zur Zeit überhaupt nichts getan“, kritisierte Mayer. Stattdessen würden die 15a-Vereinbarungen das System nur weiter verschlechtern und die Jungen vertreiben, ist er überzeugt. Die Expertise der Ärztekammer werde ignoriert, die Mitarbeit verweigert und in Diskussionen fehle die Augenhöhe. „Der Politik ist egal, wie die Versorgung der Patienten funktioniert. Sie will nur Kosten reduzieren.“ Damit wird man das Gesundheitssystem und die Versorgung wohl nicht verbessern…

Marc Fähndrich: „Dass in Österreich sehr viel reglementiert ist, ist nicht immer zum Vorteil.“

Karlheinz Kornhäusl, Turnusärzte-Chef der ÖÄK: „Wir können den europäischen Wanderzirkus der Ärzte nicht gutheißen. Auslandserfahrungen sind gut, aber so gehen Österreich Tausende Ärzte an Deutschland verloren.“

Ludwig Gruber, Tiroler Kurienobmann der angestellten
Ärzte:
„Es ist ein Skandal, dass man erst einen Ärztemangel braucht, um Arbeitsbedingungen zu verbessern. Ich bin stolz, dass wir eine junge Ärztegeneration haben, die sich solche Arbeitsbedingungen wie früher nicht mehr gefallen lässt. Es muss doch möglich sein, einen derart hochqualifizierten Beruf so arbeiten zu lassen, dass man Familie und Arbeit unter einen Hut bekommt.“

Die Patientenautonomie, Dr. Google und der Arzt

Die neu gewonnene Autonomie und das Empowerment der Patienten wirken sich in vielerlei Hinsicht auf die Arzt-Patienten-Beziehung aus. Grundsätzlich hat jeder Mensch das Recht, über sein Schicksal selbst zu entscheiden, wie Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt, im zweiten Themenblock feststellte. „Das beinhaltet auch das Recht, aus medizinischer Sicht unvernünftige Entscheidungen zu treffen.“ Als Arzt müsse man den Patienten ausreichend aufklären und informieren – letztlich dennoch die Entscheidungen des Patienten respektieren und akzeptieren. Dr. Google trage dazu bei, dass Patienten oft meinen, informiert zu sein. Im schlechtesten Fall führe Dr. Google aber nicht zum mündigen Patienten, im Gegenteil: „Oft können sie die Informationen nicht richtig einordnen, was schaden kann“, führte Druml aus. Bei all der Autonomie des Patienten müsse auch die Auswirkung der Patientenrolle auf die ärztliche Haftung geklärt werden. Wie ein Arzt mit eHealth, Apps, Dr. Ed & Co umgeht, müsse schon in der Aus- und Weiterbildung vermittelt werden.

Doris Müller, Turnusärztevertreterin aus Oberösterreich: „Kommt ein Patient mit einer vorgefassten Diagnose von Dr. Google, ändert das nichts an meinem Arbeitsverhalten als Arzt. Aber es wird komplizierter, den Patienten zu überzeugen, wenn meine Diagnose nicht mit der Diagnose von Dr. Google übereinstimmt. Wir müssen uns fragen, ob und welche Folgen das für die Compliance hat.“

Aus dem Publikum: „Bevor wir uns fragen, wie wir Jungen den Umgang mit digitalen Möglichkeiten lernen, sollten wir uns fragen, wieso teilweise gar keine Zeit mehr ist, um am Patienten zu lernen.“

Karlheinz Kornhäusl, Turnusärzte-Chef der ÖÄK: „Nur digital – ohne persönlichen Kontakt, kann sicher nicht die Lösung sein. Aber wir müssen uns mit digitalen Möglichkeiten beschäftigen, ansonsten werden wir davon überrollt und haben keine Chance mehr mitzubestimmen.“

Karl Forstner, Präsident der Ärztekammer Salzburg: „Die digitale Revolution, die die junge Generation
treffen wird, wird die Arbeitswelt von Ärzten grundlegend und fundamental verändern. Wir müssen uns dringendst fragen, ob wir junge Ärzte für diese Zukunftssituation überhaupt in den richtigen Qualitäten ausbilden?“

Die Fallen in der Kommunikation und die Führungsposition

Zur Managementfunktion gehört, in der Kommunikation punkten zu können, hielt Tatjana Lackner, Kommunikationsexpertin aus Wien, fest. Denn: 80 Prozent der Führungstätigkeit wird durch Kommunikation erledigt. Und hier ortet die Expertin dringenden Handlungsbedarf, denn ähnlich wie bei Essen gelte auch hier: Die Menschen sprechen zu viel, zu fett, zu wahllos. Was also tun? Lackner dazu: „Es geht darum, effizienter zu reden.“ Fünf Punkte sollten dabei beachtet werden: der Neuigkeitswert, die Meldung sollte ‚smart‘ sein, der Nutzen für andere erkennbar sein sowie einen Appell beziehungsweise einen geeigneten Lösungsschritt beinhalten. Auch gelte es, nicht in die Instinktfalle zu tappen und dann zu bagatellisieren, zu bemitleiden oder zu bewundern – diese seien „die falschen Tröster“. Führungskräfte müssen Zustände „moderieren“, sich überlegen, wie Ist-Zustand und Soll-Zustand („ein Minimum, das zu erreichen ist“, so Lackner) aussehen. Auch die Zusammensetzung des Teams selbst ist nicht unwesentlich: Wenn man sich dessen bewusst ist, wer zur „Verhinderungs-AG“ gehört, von wo Unterstützung kommt, welche Plattformen es gibt, aber auch, wenn man wisse, welche strukturbedingten Reibebäume vorhanden sind, „die auch so bleiben werden“, sei schon viel gewonnen.

Tatjana Lackner: „Fachliche Experten gibt es viel. Den Unterschied in guter Führung macht die Kommunikation.“
„Atmosphäre ist harte Arbeit in der Führung.“

Stefan Ferenci, Obmann-Stellvertreter der Turnusärzte, Ärztekammer Wien: „Wenn ich gute Ärzte haben und halten will, muss ich gute Rahmenbedingungen anbieten.“

Rudolf Knapp, Obmann-Stellvertreter der Bundeskurie angestellte Ärzte: „Wir bekommen ein selektiertes Klientel an Medizinern. Man muss ihnen die Chance geben, sich zu entwickeln.“

Das Arztbild, die Zukunft und der Wandel

„Wer nicht bereit ist, sich selbst zu verändern, wird verändert“ – mit dieser Feststellung machte Turnusärzte-Chef Karlheinz Kornhäusl klar, wohin der Weg geht. Es brauche die Bereitschaft, das eigene Dasein zu verändern – das ist ein „gemeinsamer Kraftakt“, betonte er. Angesichts der bevorstehenden Veränderungen im Gesundheitssystem durch die Art. 15a-Vereinbarungen sieht er die Vertrauensstellung von Ärzten massiv gefährdet und betonte, dass man die Verantwortung als Arzt nur dann wahrnehmen könne, wenn es entsprechende Rahmenbedingungen gäbe. Zur immer wieder vorgebrachten Kritik, wonach die Jungen weniger arbeiten und keine Verantwortung übernehmen wollten, meinte er: „Die jungen Kollegen stellen sich ihre Berufslandschaft einfach anders vor.“ Mittlerweile sei er selbst vom Begriff „Work-Life- Balance“ abgekommen – impliziere er doch zwei Extreme: die Arbeit, die schlecht ist und Freizeit, die gut ist. Angesichts der Feminisierung der Medizin betonte er einmal mehr, dass man sich Gedanken darüber machen müsse, wie man auf diese neuen Bedingungen eingehen wolle. Denn: „Egal, ob die Medizin männlich oder weiblich ist: menschlich muss sie sein, das ist wichtig.“ Zum immer stärker werdenden Wunsch nach Teilzeitmodellen meinte er: „Reine Teilzeitmodelle allein werden vermutlich nicht genügen.“

Johanna Zechmeister, ÖH-Vorsitzende, Uni Wien: „Wir Jungen wollen nicht 60 Stunden arbeiten. Wir wollen leben und arbeiten und nicht mehr: leben, um zu arbeiten.“

Gert Wiegele, Bundesobmann der Sektion Allgemeinmedizin: „Ich hätte mir gewünscht, damals so zu argumentieren und fordern zu können wie die Jungen heute. Es war einfach nicht möglich.“

Karlheinz Kornhäusl, Turnusärzte-Chef der ÖÄK: „Bei einem PHC-Zentrum handelt es sich um eine serielle Einzelpraxis: Man arbeitet wieder nicht miteinander, sondern hintereinander.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2016