Kin­der­chir­ur­gi­sche Ver­sor­gung: Beson­dere Betreu­ung erforderlich

10.11.2016 | Politik

Ein nicht uner­heb­li­cher Pro­zent­satz von Kin­dern und Jugend­li­chen wird in Öster­reich an chir­ur­gi­schen Sta­tio­nen für Erwach­sene ope­riert und ver­sorgt, obwohl deren chir­ur­gi­sche Behand­lung einige Beson­der­hei­ten auf­weist. Das zeigt eine 2013 durch­ge­führte Erhe­bung. Von Ursula Jungmeier-Scholz

Fast jedes zweite Kind unter fünf Jah­ren, das im Jahr 2013 in Öster­reich ope­riert wurde, war Pati­ent einer Erwach­se­nen-chir­ur­gi­schen Sta­tion (46,2 Pro­zent). In der Alters­gruppe zwi­schen fünf und 14 Jah­ren stieg die Zahl auf fast zwei Drit­tel. Wäh­rend bei den Jün­ge­ren viele auf HNO-Abtei­lun­gen ope­riert wur­den, nah­men ab zehn Jah­ren die unfall­chir­ur­gi­schen Behand­lun­gen zu. So lässt sich das Ergeb­nis einer Erhe­bung der Gesund­heit Öster­reich GmbH zusam­men­fas­sen, die der Prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Gesell­schaft für Kin­der- und Jugend­chir­ur­gie und in der ÖÄK-Hoch­schul­re­fe­rent der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Graz, Priv. Doz. Johan­nes Scha­la­mon, beauf­tragt hat. „In mei­ner Tätig­keit als gericht­lich beei­de­ter Sach­ver­stän­di­ger bin ich immer wie­der mit chir­ur­gi­schen Fäl­len kon­fron­tiert, in denen Kin­der ohne Bei­zie­hung einer kin­der­chir­ur­gi­schen Abtei­lung behan­delt wur­den“, erzählt Scha­la­mon. Das sei im Hin­blick auf die Ver­sor­gungs­qua­li­tät keine opti­male Situation.

Eine Frage der Auslastung?

Die Vor­teile einer spe­zi­el­len kin­der- und jugend­chir­ur­gi­schen Behand­lung sieht Scha­la­mon in zahl­rei­chen Fak­to­ren: In der Aus­stat­tung des Ope­ra­ti­ons­saa­les (klei­nere, zar­tere Instru­mente), beim OP-Team mit Kin­der­chir­ur­gen und Kin­der­an­äs­the­sis­ten, der kind­ge­rech­ten Infra­struk­tur der Bet­ten­sta­tion und dem spe­zi­ell aus­ge­bil­de­ten Pfle­ge­per­so­nal bis hin zur 24-Stun­den-Beglei­tung durch die Eltern. „Wir hän­gen ja nicht nur ein Micky Maus-Bild an die Wand und schon ist es eine Kin­der­sta­tion“, sagt Scha­la­mon. Pro­ble­ma­ti­sche Aus­wir­kun­gen habe die aktu­elle Situa­tion auch auf die Qua­li­tät der Aus­bil­dung. „Kein Assis­tenz­arzt darf an einem Früh­ge­bo­re­nen die benö­tigte Fin­ger­fer­tig­keit üben. Wer im neo­na­to­lo­gi­schen Bereich eine Darm-OP durch­führt, muss vor­her 100 Blind­därme bei grö­ße­ren Kin­dern ent­fernt haben.“

Als Ursa­che für die häu­fige chir­ur­gi­sche Behand­lung von Kin­dern in Abtei­lun­gen für Erwach­sene ver­mu­tet Scha­la­mon einer­seits die Bestre­bun­gen peri­phe­rer Häu­ser nach bes­se­rer Aus­las­tung. Auch würde immer wie­der mit der ört­li­chen Nähe argu­men­tiert. „Aber wie oft im Leben wird ein Kind ope­riert? Da sind die Eltern auch bereit, län­gere Anfahrts­wege in Kauf zu neh­men.“ Könne ein Kind nicht von einem Kin­der­chir­ur­gen ope­riert wer­den, weil es einen hoch­spe­zia­li­sier­ten Ope­ra­teur benö­tigt, solle es zumin­dest auf einer Kin­der­sta­tion nach­be­treut werden.

Liste als Lösung

Ange­sichts der aktu­el­len Sta­tis­tik schlägt Scha­la­mon die Erstel­lung einer Liste von Erkran­kun­gen vor. Die­ses Modell könnte ana­log zur Schwei­zer Ver­sor­gung von Men­schen mit sel­te­nen Krank­hei­ten in aus­ge­wähl­ten Zen­tren ein­ge­führt werden.

Kin­der­spe­zi­fi­sche ärzt­li­che Qualifikationen

  • Beson­dere Fer­tig­keit beim Ope­rie­ren auf engem Raum
  • Beson­dere Fer­tig­keit im Umgang mit klei­ne­ren OP-Geräten
  • Die Schmerz­the­ra­pie unter­schei­det sich signi­fi­kant: In der Wahl der Medi­ka­mente wie in der Dosierung.
  • In der prä­ver­ba­len Phase äußern Kin­der Schmer­zen durch Fäus­teln, Gri­mas­sie­ren, den Rücken durch­stre­cken. Wer Babys behan­delt, muss ihre Spra­che verstehen.
  • Die peri­ope­ra­tive Infu­si­ons- und Ernäh­rungs­the­ra­pie ist alters­ge­recht zu adaptieren.
  • Bei Sau­er­stoff­man­gel sinkt die kind­li­che Herz­fre­quenz sofort dra­ma­tisch – ein Spe­zia­lis­ten­team muss greif­bar sein.
  • Opfer von Miss­brauch und Miss­hand­lun­gen benö­ti­gen geschul­tes Per­so­nal, das ver­däch­tige Ver­let­zun­gen deu­ten kann.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 21 /​10.11.2016