Inter­view Rudolf Knapp: Gene­ra­tion Y als Chance für die Spitäler

25.06.2016 | Politik


Gene­ra­tion Y als Chance für Spitäler

Wieso Cli­ni­cal Lea­der­ship künf­tig eine zen­trale Rolle spie­len wird müs­sen und warum er dafür plä­diert, auf die Stärke der Gene­ra­tion Y zu bauen, erläu­tert der stell­ver­tre­tende Kuri­en­ob­mann der ange­stell­ten Ärzte in der ÖÄK und Pri­mar­ärz­te­re­fe­rent Univ. Doz. Rudolf Knapp im Gespräch mit Agnes M. Mühl­gas­s­ner.

ÖÄZ: Wie­viel Ent­schei­dungs­frei­heit hat man als ange­stell­ter Arzt in Öster­reich?
Knapp: Die Rea­li­tät ist, dass die medi­zi­ni­sche Ent­schei­dungs­frei­heit für Spi­tals­ärz­tin­nen und Spi­tals­ärzte im All­tag oft sehr ein­ge­schränkt ist. Es gibt zu viele Vor­ga­ben und Restrik­tio­nen, und es feh­len zuneh­mend auch orga­ni­sa­to­ri­sche Frei­hei­ten, um als Arzt zumin­dest ein gewis­ses Maß an gestal­te­ri­schen Mög­lich­kei­ten zu haben. Von der öko­no­mi­schen Seite sind ja die Fes­seln ohne­hin sehr stark. Viele Spi­tals­ärzte kün­di­gen dann inner­lich – oft schon wäh­rend ihrer Aus­bil­dung oder aber wenn sie als Ober­ärzte keine wei­tere fach­li­che Ent­wick­lungs­mög­lich­keit mehr sehen. Die, die im Spi­tal blei­ben, stump­fen ab, die ande­ren flie­hen in die freie Pra­xis.

Wo muss man anset­zen, um die Situa­tion zu ver­bes­sern?

Wir müs­sen weg von die­ser Indus­tria­li­sie­rung, die wir jetzt gerade erle­ben. Wir sehen, dass die Unzu­frie­den­heit mit die­sem Gesund­heits­sys­tem nicht nur von Sei­ten der Pati­en­ten son­dern auch von Sei­ten der Ärzte mas­siv zunimmt und auch immer stär­ker zum Thema gemacht wird. Wir erle­ben einen noch nie da gewe­se­nen Ärz­te­man­gel, wir haben einen Pfle­ge­man­gel – und das trotz unge­bro­che­ner Attrak­ti­vi­tät der bei­den Berufe. Man muss sich ja nur anschauen, wie­viele zum Medi­zin­eig­nungs­test antre­ten: Allein im Vor­jahr waren es mehr als 10.000 Bewer­ber.

Und trotz­dem feh­len im Spi­tal die Ärzte. Wieso?

Wir haben einen intrin­si­schen Ärz­te­man­gel, also zu wenig Ärzte im Sys­tem. Wir ver­lie­ren zwi­schen dem Stu­di­en­ab­schluss und der Auf­nahme der ärzt­li­chen Tätig­keit rund 500 Ärzte im Jahr. Par­al­lel dazu muss man sich die Ent­wick­lung bei den Kas­sen­ärz­ten anse­hen: Hier hat es zwi­schen 2000 und 2014 einen Rück­gang von vier Pro­zent gege­ben. Im glei­chen Zeit­raum ist aber die Zahl der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte ohne Kas­sen­ver­trag um 89 Pro­zent gestie­gen, die Zahl der rei­nen Wahl­ärzte sogar um 124 Pro­zent. Wir erle­ben hier einen ‚Doc­tor drain‘ vom ange­stell­ten hin zum frei­be­ruf­lich täti­gen Arzt.

Muss sich das Sys­tem ‚Kran­ken­haus‘ neu erfin­den?

Ich glaube, dass wir uns von der alt­her­ge­brach­ten Hier­ar­chie, wie sie in den letz­ten 200 Jah­ren in Spi­tä­lern üblich war, end­gül­tig ver­ab­schie­den müs­sen. Das sind Modelle, die sich ein­fach über­holt haben. Der zen­trale Begriff der Zukunft heißt Cli­ni­cal Lea­der­ship und arbei­ten im Team. Das bedeu­tet, dass der Arzt in sei­nem jewei­li­gen Tätig­keits­be­reich die Steue­rung und Ver­ant­wor­tung für den Gesamt­pro­zess der Gesund­heits­ver­sor­gung über­nimmt. Die Grund­sätze von Cli­ni­cal Lea­der­ship sind Authen­ti­zi­tät, Zusam­men­ar­beit, Leis­tungs­steue­rung, Leis­tungs­ver­bes­se­rung und Rich­tungs­ent­schei­dung. Die Grund­lage dafür stellt ‚Good medi­cal prac­tice‘ dar.

Was heißt das kon­kret?

Nur dia­gnos­tisch und/​oder the­ra­peu­tisch tätig zu sein ist nur ein Teil ärzt­li­chen Han­delns. Wir Ärzte müs­sen auch Sys­tem-Ent­schei­dun­gen tref­fen. Warum? Weil Ärzte auf­grund der Nähe zum Pati­en­ten ganz ein­fach die beste Sach­kennt­nis in ihrem Bereich haben. Das gilt aber nicht nur für Ärzte, son­dern genauso für die Pflege oder alle ande­ren mit Medi­zin befass­ten Berufs­grup­pen für ihren jewei­li­gen Tätig­keits­be­reich. Cli­ni­cal Lea­der­ship ist kein exklu­siv ärzt­li­ches Prin­zip der Füh­rung. Das würde sich auch wider­spre­chen. Es geht viel­mehr darum, die höchste Kom­pe­tenz in jedem Bereich und auf allen Ebe­nen der Gesund­heits­ver­sor­gung auch wirk­sam wer­den zu las­sen. Cli­ni­cal Lea­der­ship bedeu­tet dem­nach auch ver­mehrt Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men, wirkt aber auch sinn­stif­tend. Das ist der Garant für eine befrie­di­gende Tätig­keit und einen erfüll­ten Beruf. Ein wich­ti­ger Bestand­teil von Cli­ni­cal Lea­der­ship ist, dass man die Mit­ar­bei­ter kennt und die eigene Per­sön­lich­keit wei­ter ent­wi­ckelt. Und last but not least: Es geht auch um die Qua­li­tät der Kom­mu­ni­ka­tion. All das bedarf natür­lich einer fla­chen Hier­ar­chie, die auf Zusam­men­ar­beit im Sinne der Pati­en­ten­be­treu­ung abzielt.

Wie passt hier die Gene­ra­tion Y hin­ein?
Im gesell­schaft­li­chen Bereich gibt es gewal­tige Umwäl­zun­gen. Wir sind kon­fron­tiert mit der Gene­ra­tion der Baby Boo­mer, als Ärzte im Über­fluss vor­han­den waren, und nun ins Pen­si­ons­al­ter kom­men. Auf der ande­ren Seite sehen wir die Gene­ra­tion Y mit dem Wunsch nach einer bes­se­ren Work-Life-Balance als frü­her. Ich sehe die Gene­ra­tion Y als Chance, denn die zen­tra­len Ele­mente von Cli­ni­cal Lea­der­ship sind genau die Punkte, die den Ver­tre­tern der Gene­ra­tion Y wich­tig sind: Self­ma­nage­ment, Team­work, Mit­ge­stal­tung. Und sie haben auch kein Pro­blem mit einer Füh­rungs­per­son, wenn sie von die­ser aner­kannt wer­den und die Kom­mu­ni­ka­tion funk­tio­niert. Wir soll­ten auf die Stärke die­ser neuen Gene­ra­tion Y bauen.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 12 /​25.06.2016