Im Gespräch Sonja Ham­mer­schmid: Mensch und Tier: Gemein­same Medi­zin stärken

25.02.2016 | Politik

Mensch und Tier: gemein­same Medi­zin stärken

Die Gesund­heit von Mensch und Tier hängt unwei­ger­lich zusam­men, sagt Sonja Ham­mer­schmid, Rek­to­rin der Vete­ri­när­me­di­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät und Prä­si­den­tin der Uni­ver­si­tä­ten­kon­fe­renz. Im Gespräch mit Claus Reitan for­dert sie, dass Human- und die Vete­ri­när­me­di­zin stär­ker gemein­sam betrach­tet wer­den sollten.

ÖÄZ: Öster­reichs Uni­ver­si­tä­ten for­dern eine höhere Bud­ge­tie­rung, der Rat für For­schung und Tech­no­lo­gie­ent­wick­lung hat in sei­ner aktu­el­len Emp­feh­lung Beträge sowie Argu­mente prä­sen­tiert. Worum geht es aus Ihrer Sicht als Rek­to­rin und als Prä­si­den­tin der Uni­ver­si­tä­ten­kon­fe­renz?
Ham­mer­schmid: Die Uni­ver­si­tä­ten haben 2010 bereits ein Sys­tem für die kapa­zi­täts­ori­en­tierte Finan­zie­rung von Stu­di­en­plät­zen aus­ge­ar­bei­tet und mit Beträ­gen ver­se­hen. Wir sind nun dabei, die­ses erste Modell zu aktua­li­sie­ren und ori­en­tie­ren uns dabei an Betreu­ungs­ver­hält­nis­sen und an der Anzahl prü­fungs­ak­ti­ver Stu­die­ren­der, wie auch im öster­rei­chi­schen Gesamt­ent­wick­lungs­plan des Wis­sen­schafts­mi­nis­te­ri­ums vor­ge­se­hen. Das Zau­ber­wort lau­tet Betreu­ungs­ver­hält­nis. Wir wol­len auf der Basis von Zah­len und Fak­ten dis­ku­tie­ren. Ins­be­son­dere der Wis­sen­schafts­mi­nis­ter, Vize­kanz­ler Rein­hold Mit­ter­leh­ner, ist eine Per­sön­lich­keit, die mit Zah­len umzu­ge­hen versteht.

Öster­reichs Uni­ver­si­tä­ten lie­gen gegen­über der Schweiz und Bay­ern stets deut­lich unter den Ver­gleichs­wer­ten.
Die­ses Bild ergibt sich aus der Zusam­men­fas­sung. Ein nähe­rer Blick zeigt, dass bei­spiels­weise die medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten mit ihren Zugangs­re­ge­lun­gen andere Betreu­ungs­ver­hält­nisse auf­wei­sen als die Uni­ver­si­tä­ten mit einem offe­nen Zugang. Das Betreu­ungs­ver­hält­nis für die Vete­ri­när­me­di­zi­ni­sche Uni­ver­si­tät liegt zum Bei­spiel in einer Band­breite von 1:15 bis 1:20. In kli­ni­schen Fächern müs­sen Klein­grup­pen mög­lich sein, alles andere wäre fatal. In den inter­na­tio­na­len Ran­kings sind die öster­rei­chi­schen Unis schlecht plat­ziert, weil wir gerade bei den Betreu­ungs­ver­hält­nis­sen und der hohen Anzahl von Stu­die­ren­den weit hin­ten lan­den. Die Anzahl Stu­die­ren­der ist in Öster­reich in den Jah­ren 2008 bis 2014 um 25 Pro­zent gestie­gen. Das ist erst ein­mal zu bewältigen.

Die Uni­ver­si­tä­ten und die Wis­sen­schaft ver­wei­sen in jüngs­ter Zeit ver­stärkt auf ihre gesell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung, spre­chen von einer third mis­sion. Wes­we­gen?
Die Uni­ver­si­tä­ten sind über weite Stre­cken durch Steu­er­geld finan­ziert und haben der Gesell­schaft etwas zurück­zu­ge­ben. Die Öffent­lich­keit will zu Recht wis­sen, was an den Uni­ver­si­tä­ten geforscht wird und worin deren prak­ti­scher Nut­zen liegt. Das ist für medi­zi­ni­sche und tech­ni­sche Dis­zi­pli­nen oft­mals leich­ter zu ver­mit­teln, doch auch die Geis­tes­wis­sen­schaf­ten zei­gen etwa in der Inte­gra­ti­ons­the­ma­tik, wie sie durch Exper­tise und Koope­ra­tion zu Lösun­gen bei­tra­gen kön­nen. Uni­ver­si­tä­ten haben jeden­falls offen und trans­pa­rent zu agieren.

In der Öffent­lich­keit wer­den etwa hin­sicht­lich man­cher Ver­fah­ren und Ver­su­che ver­stärkt Aspekte der Moral und Ethik auf­ge­wor­fen.
Wir an der Vete­ri­när­me­di­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät haben uns zum Bei­spiel der Dis­kus­sion über Tier­ver­su­che gestellt. Diese wurde von Nicht-Regie­rungs-Orga­ni­sa­tio­nen vehe­ment ein­ge­for­dert, die Uni­ver­si­tä­ten haben lange Zeit das Thema im Hin­blick auf die Öffent­lich­keit gemie­den. Wir sind an der Vete­ri­när­me­di­zin einen ande­ren Weg gegan­gen, haben die Türen etwa für Medi­en­ver­tre­ter geöff­net. Öster­reich hat seit Jah­ren ein strik­tes, stark regle­men­tie­ren­des Tier­ver­suchs­ge­setz. Anträge für Tier­ver­su­che durch­lau­fen ein mehr­stu­fi­ges Ver­fah­ren, ehe sie geneh­migt wer­den. Trotz aller Mög­lich­kei­ten in den Labors und mit Hilfe von Com­pu­ter­si­mu­la­tio­nen ist es klar, dass medi­zi­ni­scher Fort­schritt ohne Tier­ver­su­che nicht mög­lich ist. Ein Orga­nis­mus reagiert in sei­ner Kom­ple­xi­tät anders als in Model­len und Simu­la­tio­nen. Aber die Dis­kus­sion mit Tier­ver­suchs­geg­nern ist hart, oft­mals extrem emo­tio­nell und belastend.

Was zeigt sich Ihnen, wenn Sie auf das Gesund­heits­we­sen bli­cken?
Stu­dien bele­gen, dass wir ein sehr gut aus­ge­bau­tes Gesund­heits­sys­tem haben, jeden­falls eine der höchs­ten Ärz­te­dich­ten Euro­pas. Öster­reich ver­fügt über eine aus­rei­chende Anzahl an Absol­ven­tin­nen und Absol­ven­ten des Stu­di­ums der Human­me­di­zin. Deren teil­weise Abwan­de­rung in das Aus­land ist ein von den Rah­men­be­din­gun­gen ver­ur­sach­tes Pro­blem. Die jüngs­ten Rege­lun­gen hin­sicht­lich ärzt­li­cher Arbeits­zei­ten und Gehäl­ter könn­ten für junge Ärz­tin­nen und Ärzte eine Ver­bes­se­rung brin­gen. Zusätz­lich wird die Abgren­zun­gen zwi­schen ärzt­li­chen und pfle­ge­ri­schen Tätig­kei­ten ein Thema sein. Dafür gibt es Exper­ten, die das qua­li­fi­ziert beur­tei­len können.

Eine quan­ti­ta­tive Betrach­tung ergibt einen kri­ti­schen Befund?
Der Man­gel an Haus­ärz­ten ist offen­sicht­lich ein Pro­blem. Die­ses wird sich noch ver­schär­fen. Ob die geplan­ten neuen Ver­sor­gungs­zen­tren das zu lösen ver­mö­gen, kann ich nicht beurteilen.

Was ent­steht, wenn man die Digi­ta­li­sie­rung und das Gesund­heits­sys­tem zusam­men betrach­tet: der glä­serne Pati­ent?
Her­aus­kommt jeden­falls ELGA, ein für mich gutes Sys­tem. Ich begrüße es, wenn meine Daten ver­füg­bar sind und etwa idente dia­gnos­ti­sche Unter­su­chun­gen nicht mehr­fach gemacht wer­den müs­sen. Den glä­ser­nen Pati­en­ten befürchte ich des­we­gen noch nicht, da ich auf die ärzt­li­che Schwei­ge­pflicht ver­traue. Pro­ble­ma­tisch wird es immer dann, wenn die Schwei­ge­pflicht ver­letzt wird und Daten wei­ter­ge­ge­ben wer­den bei­spiels­weise an Ver­si­che­run­gen. Oder wenn jemand um seine gene­ti­sche Dis­po­si­tion weiß, die mög­li­cher­weise Risi­ken und Erkran­kun­gen erwar­ten lässt. Der Pati­ent ist dann auf sich allein gestellt.

Löst die Samm­lung von Gesund­heits­da­ten – unter ande­rem über Apps – Besorg­nis aus?
Die Frage ist stets, was geschieht mit den Daten? Die Chan­cen und Risi­ken die­ses The­mas wären auch von Uni­ver­si­tä­ten zu adres­sie­ren. Im Pro­jekt Genom Aus­tria wer­den auch Nut­zen und Chan­cen des Wis­sens um den gene­ti­schen Code einer Per­son und ihrer mög­li­chen Dis­po­si­tio­nen untersucht.

Zu den gesell­schaft­li­chen Lebens­um­stän­den: Man­che mei­nen, unsere Zeit sei krank. Andere sagen, eini­ges an den Umstän­den mache krank. Wie bli­cken Sie dar­auf?
Was sich wirk­lich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ver­än­dert hat, ist die Schnel­lig­keit aller Vor­gänge und Pro­zesse, vor allem im Berufs­le­ben. Diese Ent­wick­lung wird von den neuen Tech­no­lo­gien stark ange­trie­ben. Es kann nicht jeder mit die­sem Tempo und die­ser Dyna­mik mit­hal­ten. Das muss man schon aus­hal­ten wol­len. Die stän­dige Erreich­bar­keit kann belas­tend sein, die Work-Life-Balance ver­än­dert sich. Das bewirkt etwas in Men­schen, und nicht nur Gutes. Bezeich­nend an unse­ren Lebens­um­stän­den ist, dass etwa Bewe­gung und Sport einen gerin­ge­ren Stel­len­wert auf­wei­sen, obwohl sie ein Schlüs­sel zur Gesund­heit sein kön­nen, wie Sta­tis­ti­ken zei­gen. Aber es liegt an der ein­zel­nen Per­son, dies alles aus­zu­ba­lan­cie­ren. Der Ein­zelne bestimmt, was er wie weit zulässt.

Sich und ande­ren Gren­zen zu set­zen, ist gele­gent­lich schwie­rig und fällt schwer.
Es ist eine indi­vi­du­elle Ent­schei­dung und es geht auch um Selbst­ver­ant­wor­tung. Man­che erler­nen es nicht – das sind dann die Burn­out-gefähr­de­ten Kollegen.

Wie emp­fin­den Sie die Dyna­mik und den Druck des Berufs­le­bens?
Ich kann – Gott sei Dank – abschal­ten und Distanz schaf­fen. Ich betreibe Sport, um in Balance zu blei­ben. Zu lau­fen befreit und ermög­licht neue Gedan­ken, oft­mals Lösun­gen, die ich am Schreib­tisch viel­leicht nicht ent­wi­ckelt hätte. Grund­sätz­lich erachte ich den Wett­be­werb und die Leis­tungs­ori­en­tie­rung für bedeut­sam, denn anders ist Fort­schritt nicht möglich.

Was ist denn das Gesün­deste an Ihrem Leben?
Ich habe eine beruf­li­che Tätig­keit, die mir Freude berei­tet. Bei der damit ver­bun­de­nen hohen Belas­tung darf Humor nicht zu kurz kom­men. Mein pri­va­tes Umfeld passt. In die­sem Zusam­men­wir­ken geht es mir, wie ich glaube, gut.

Ist der Satz, die Zeit heile alle Wun­den, eine Rede­wen­dung oder eine Lebens­er­fah­rung?
Der Satz ent­hält viel Wah­res. Man muss den Din­gen Zeit geben, auch einem Gesun­dungs­pro­zess, und die Ursa­chen von Erkran­kun­gen auf­ar­bei­ten. Dies gilt ebenso für per­sön­li­che Kri­sen. Alles andere ist Ver­drän­gung und die holt uns wie­der ein. Unweigerlich.

Ihr beson­de­res Anlie­gen als Rek­to­rin der Vete­ri­när­me­di­zin-Uni lau­tet …
… ‚One Health – One Medi­cine’ als Bot­schaft zu ver­mit­teln. Die Gesund­heit von Tier und Mensch hängt unwei­ger­lich zusam­men. Das betrifft die Lebens­mit­tel­si­cher­heit genauso wie bei­spiels­weise die Über­tra­gung von Infek­tio­nen von Tie­ren auf den Men­schen, sprich Zoo­no­sen. Die in Tier­ver­su­chen gewon­ne­nen Erkennt­nisse für die Human­me­di­zin sol­len zudem auch Tier­pa­ti­en­ten zugu­te­kom­men. Die Human- und die Vete­ri­när­me­di­zin sind ein­fach stär­ker gemein­sam zu betrach­ten. Das ist meine Botschaft.

Zur Per­son

Sonja Ham­mer­schmid ist seit 2010 Rek­to­rin der Vete­ri­när­me­di­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien, seit Jän­ner 2016 Prä­si­den­tin der Universitätenkonferenz/​uniko. Sie absol­vierte ihr Stu­dium der Bio­lo­gie (Stu­di­en­zweig Gene­tik mit Neben­fach Tumor­bio­lo­gie) 1992, begann nach dem Dok­to­rats­stu­dium der Natur­wis­sen­schaf­ten eine Lauf­bahn in Wirt­schaft und Wis­sen­schaft. Einige Sta­tio­nen: wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin bei Boeh­rin­ger Ingel­heim, Lei­te­rin von Life Sci­ence Aus­tria bei der Inno­va­ti­ons­agen­tur, Lei­te­rin des Berei­ches Tech­no­lo­gie & Inno­va­tion und Gesamt­pro­ku­ris­tin in der Aus­tria Wirt­schafts­ser­vice GmbH.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 4 /​25.02.2016