Im Gespräch – Erhard Busek: „Ärztemangel ist finanzielles Problem“

25.01.2016 | Politik

Ärztemangel ist finanzielles Problem

Einen großen thematischen Bogen vom aktuellen Flüchtlingsdrama bis zur Standortqualität zieht Erhard Busek im Gespräch mit Claus Reitan. Es droht ein düsteres Szenario, wenn alle so weitermachen wie bisher: Österreich fällt im Wettbewerb zurück – auch im Bereich der Gesundheit und der Medizin, analysiert Busek, der auch Vorsitzender des Universitätsrats der Medizinischen Universität Wien ist.

Migration und Flucht nach Europa und nach Österreich bringen neue, brisante Themen mit sich. Stehen wir vor neuen Konflikten, auch solchen der Religionen?
Eine Frage ist jene des Glaubens, eine andere der Umstand, dass wir in einem vom Christentum geprägten Europa zu Hause sind. Um sich hier auszukennen, muss man über ein Grundwissen verfügen. In Verbindung mit dem Islam wird das besonders interessant. Denn wir behaupten, wer zu uns kommt, sollte die europäischen Werte kennen. Dabei stellt sich die Frage: Kennen die Europäer die europäischen Werte? Andererseits zeigt sich ein zunehmendes Interesse an Wertvorstellungen im Zusammenhang mit Religion. Das erachte ich für positiv.

Gesellschaftliche Arrangements scheinen etwas zu brechen. Demokratie ist das Versprechen der Übereinstimmung von Gesetzgeber und Bürgern, der Staat bot Sicherheit, Wirtschaft verhieß Konsum und Lohn gegen Leistung. Hier sind Brüche zu beobachten …
… weil verschiedene dieser Versprechungen nicht mehr halten. Zum Beispiel jenes der Sicherheit des Arbeitsplatzes. Das war in meiner Generation überhaupt kein Problem. Doch heute nimmt die Zahl der unbeschäftigten Jugendlichen in einem hohen Ausmaß zu. Zugleich finden die Regierenden – das gilt auch für die Opposition – auf brisante Fragen keine Antworten, etwa in der Thematik der Flüchtlinge. Hunderte von Untersuchungen ließen diese Welle an Flüchtlingen erwarten. Die Routen würden über Lampedusa führen, über die ägäischen Inseln, den Libanon und so weiter. Das hätte man sehen können, aber man hat sich nicht damit befasst. Das kennzeichnet auch den Umgang mit den Flüchtlingsströmen über den Balkan. Jede Regierung bemüht sich, das Problem dem Nachbarn zu überantworten. Jetzt geht nichts mehr weiter und wir entdecken, dass wir einige bei uns zu behalten haben.

Der Donauraum als ein Raum der Unruhe? Die Tonart in manchen Äußerungen zum Thema wird deutlich schärfer!
Bisher gibt es keine eklatanten Konflikte, Bewegungen wie Pegida blieben uns erspart. Die Politik hat eine enorme Verantwortung, weil der Angstfaktor eine Rolle spielt. Gleiches gilt für die Medien. Offenbar gibt es eine Entwicklung, wonach wir jede Woche eine Krise haben. Zuerst Griechenland. Dann die Flüchtlinge. Dann Paris. Vieles ereignet sich in unserer integrierten Welt gleichzeitig, doch wir haben stets diese monothematische Ausrichtung und vergessen über das aktuelle das vorherige Thema, übrigens ohne es bewältigt zu haben. Das ist eine eigentümliche Situation. Und zur Tonlage: Diese eskaliert in den sozialen Medien bis zur Aggression, was ich für unverantwortlich erachte. Damit muss man sich dringend auseinandersetzen.

Zur Medizinischen Universität Wien. Sie haben Versäumnisse der Politik hinsichtlich Finanzierungen, Arbeitszeitregelungen bemängelt. In den Personalmitteilungsblättern der Medizinischen Universität Wien im November 2015 finden sich zahlreiche Stellenausschreibungen für Ärztinnen und Ärzte: Chirurgie, Anästhesie et cetera. Offenbar besteht anhaltend Personalbedarf, oder?
Das steht außer Frage und ist ein Ergebnis der Bezahlung und der Abwanderung nach Deutschland und in die Schweiz. In Österreich werden Ärztinnen und Ärzte in einer ausreichenden Anzahl ausgebildet, aber sie werden nicht gehalten. Die Errichtung einer medizinischen Fakultät an der Universität Linz löst dieses Problem nicht. Ich habe Landeshauptmann Pühringer gesagt, damit wird Personal für Deutschland ausgebildet. Denn das wirkliche Problem ist, mit den Gebietskrankenkassen übereinzukommen, die entsprechenden Sätze für die niedergelassenen Ärzte zu erhöhen. Denn die gegenwärtigen tragen – existenziell betrachtet – nicht. Wir bilden für unsere Nachbarn aus. Das ist problematisch und ist nur durch eine Anpassung und Erhöhung der Bezüge zu ändern. Es ist ein rein finanzielles Problem. Die Medizinische Universität Wien hat sich in den vergangenen Jahren wesentlich besser aufgestellt. Doch jetzt ist es unendlich schwierig, die Mittel für die erforderlichen Neuerungen zu erhalten.

Damit sind die Sozialversicherungen angesprochen, ebenso die Gebietskörperschaften. Wo wäre anzusetzen?
Hier sind der Sozialminister und die Gesundheitsministerin gefordert, wobei ich allerdings noch keine diesbezüglichen Aktivitäten verzeichnen konnte. In dieser Angelegenheit steht uns zudem das föderalistische System im Wege. Es ist mehr als problematisch, die Verantwortungen aufzuteilen, also die Ausbildung dem Bund zu überlassen, die Versorgung den Ländern. Es fehlt eine harmonisierte Vorstellung, denn hinsichtlich der Erkrankungen lässt sich Österreich nicht nach Bundesländern einteilen. Diese Problematik ist schon im – attraktiven – Zentralraum Wien zu beobachten. Wir müssen bei den drei medizinischen Universitäten und den Privatuniversitäten also zu mehr an Koordination gelangen, Schwerpunkte bilden und die Parallelitäten vermindern.

Zur Gesundheit: Was ist denn das Gesündeste an Ihrem Leben?
Das reicht in das Psychologische hinein und die Antwort lautet: Die Tatsache, beschäftigt und gefordert zu sein. Das hat wesentlich zu meiner Gesundheit beigetragen. Daher komme ich mit meinem Alter ausgezeichnet zurecht. Hätte ich nichts zu tun, fiele der Antrieb aus. Das wäre eine Sorge. Die Lebensweise, die einem die Politik und meine jetzige Tätigkeit geradezu aufzwingen, ist alles andere als gesund, wenn Sie auf die Faktoren wie Stress und sonstige Belastungen blicken. Aber das stört mich nicht, denn es ist andererseits sehr interessant, herausfordernd und hält geistig in Bewegung.

Das Leben bietet unterschiedliche Erfahrungen. Manche sagen dazu, die Zeit heilt alle Wunden. Teilen Sie das?
Das ist eine Frage des Erinnerungsvermögens, der Veranlagungen und der Mentalität des Einzelnen. In gewisser Hinsicht ist es eine Kunst, vergessen zu können. Es ist nicht nur eine Erscheinung des Alters. Durch entsprechende Verarbeitung erhalten die Dinge des Lebens den passenden Stellenwert. Bestimmte Dinge zu vergessen ist in Wirklichkeit hilfreich. Ich habe ein reichhaltiges politisches Leben geführt. Es ist von gewisser Wichtigkeit, zu wissen, was man sich zu merken hat und was man vergessen kann. Für mich gibt es nichts, womit ich hadere.

Was passiert in und mit Österreich, wenn alle so weitermachen wie bisher?
Dann wird es schwierig. Die Zeichen an der Wand deuten auf dramatische Änderungen hin. Jüngste Ereignisse im Lebensmittelhandel und im Bankensektor zeigen dies. Wir verlieren Standortqualität und wir fallen im Wettbewerb zurück, ebenso in der Gesundheit und in der Medizin. Es steht zu wenig an Budgets zur Verfügung, es gibt zu wenig Initiativen und vor allem zu wenig an Ermunterung zur Initiative. Die Verantwortlichen und die Mitglieder der Bundesregierung kennen zum Teil die Lage, teils fehlt es jedoch an Verantwortlichkeit oder an Unterstützung, teils verkennen sie die Wirklichkeit. Der Politik und den Parteien mangelt es an direktem Kontakt mit den Bürgern. Ich bin mehrmals pro Woche unterwegs und war kürzlich bei einer zweistündigen Diskussion an der TU über den Donauraum und abends bei einer zur Frage der Macht in Europa im WUK. Es ging direkt um Politik, aber in einer offenen Gesprächssituation, völlig frei von Aggressionen und von Einseitigkeiten. Einfach normal. Die Menschen wollen über Politik sprechen. Hier besteht eine beachtliche Sehnsucht. Es fehlt der Austausch über die dramatischen Ereignisse unserer Zeit. Das betrachte ich als einen großen Mangel.

Zur Person

Erhard Busek gilt als katholisch-liberaler Intellektueller. Seine politische Laufbahn begann er 1964 im Alter von 23 Jahren nach Abschluss des Jus-Studiums in Wien als zweiter Klubsekretär der ÖVP im Parlament. Er war Generalsekretär des Wirtschaftsbundes (1972-1976), ÖVP-Generalsekretär (1975/76), ab 1976 Landesparteiobmann der ÖVP Wien und von 1978 bis 1987 Vizebürgermeister von Wien. 1989 wurde Busek Bundesminister für Wissenschaft und Forschung, 1991 ÖVP-Bundesparteiobmann und von 1991 bis 1995 war er Vizekanzler der Koalitionsregierung. In den folgenden Jahren übernahm er den Vorsitz des Institutes für den Donauraum und Mitteleuropa, war Regierungsbeauftragter für die EU-Erweiterung und Sonderkoordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa, Präsident des Europäischen Forum Alpbach. Am 1. März 2013 übernahm Busek den Vorsitz im Universitätsrat der Medizinischen Universität Wien.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2016