Rheu­ma­to­ide Arthri­tis: Ent­schei­dend: Schmerz-Zeitpunkt

15.12.2016 | Medizin

Wich­tig bei der Unter­schei­dung zwi­schen ent­zünd­lich- und dege­ne­ra­tiv-beding­ten rheu­ma­ti­schen Erkran­kun­gen ist unter ande­rem, wann die Schmer­zen auf­tre­ten. Im Gegen­satz zu dege­ne­ra­tiv-beding­ten Gelenks­er­kran­kun­gen, die vor allem im Alter zu Beschwer­den füh­ren, kann die rheu­ma­to­ide Arthri­tis auch bei jun­gen Men­schen und in sel­te­nen Fäl­len sogar bei Kin­dern auf­tre­ten. Von Verena Isak

Rheuma ist ein sehr weit­rei­chen­der Begriff, der ver­schie­denste mus­ku­los­ke­lettale Erkran­kun­gen umfasst. Daher ist es beim Erst­kon­takt zunächst ein­mal ent­schei­dend, ob es sich um eine ent­zünd­lich oder dege­ne­ra­tiv bedingte rheu­ma­ti­sche Erkran­kung han­delt. Der erste Schritt bei der Dia­gnose einer rheu­ma­ti­schen Erkran­kung ist die Erfas­sung des Rheuma-Sta­tus durch einen Rheu­ma­to­lo­gen, so Univ. Prof. Lud­wig Erla­cher vom Kai­ser-Franz-Josef-Spi­tal in Wien: „Es geht dabei um nichts ande­res als um Ana­mnese und Unter­su­chung des Pati­en­ten. Labor­werte und Bild­ge­bung wie etwa ein hoch­auf­lö­sen­der Gelenk­sul­tra­schall sind nur Hilfs­maß­nah­men.“ Wich­tig bei der Unter­schei­dung zwi­schen ent­zünd­lich- und dege­ne­ra­tiv-beding­ten rheu­ma­ti­schen Erkran­kun­gen ist unter ande­rem, wann die Schmer­zen auf­tre­ten. Ruhe­schmerz etwa spricht für ent­zünd­li­che Pro­zesse im Gelenk.

Die Bedeu­tung der Ana­mnese illus­triert Erla­cher an einem Bei­spiel: „Rücken­schmer­zen, die bei einer älte­ren Per­son unter Belas­tung auf­tre­ten, deu­ten eher auf ein Band­schei­ben­pro­blem hin. Spon­dy­lo­ar­th­ro­pa­thien hin­ge­gen betref­fen vor allem jün­gere Pati­en­ten und ver­ur­sa­chen Schmer­zen vor allem in Ruhe und nachts in den frü­hen Mor­gen­stun­den.“ Eine mög­lichst rasche Dia­gnose ist beson­ders bei Krank­hei­ten des ent­zünd­lich-rheu­ma­ti­schen For­men­krei­ses wich­tig, denn: „Je frü­her mit der Behand­lung begon­nen wird, desto bes­ser ist das Anspre­chen“, stellt Univ. Prof. Win­fried Gra­nin­ger von der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Graz fest. Und wei­ter: „Eine gute Behand­lung bedeu­tet, dass es zu kei­nen Defor­mi­tä­ten der Gelenke kommt.“ Daher sei es laut Gra­nin­ger „wesent­lich, bei Pati­en­ten mit schmerz­haf­ten Gelenks­schwel­lun­gen und all­ge­mei­nem Krank­heits­ge­fühl an eine ent­zünd­lich-rheu­ma­ti­sche Erkran­kung zu den­ken und sie zum Rheu­ma­to­lo­gen zu über­wei­sen“. Die rheu­ma­to­ide Arthri­tis – auch als chro­ni­sche Poly­ar­thri­tis bekannt – ist die häu­figste der immu­no­lo­gisch beding­ten rheu­ma­ti­schen Erkran­kun­gen. Ins­ge­samt ist sie jedoch mit etwas weni­ger als einem Pro­zent Betrof­fe­nen – also knapp 80.000 Men­schen in Öster­reich – eine auch abso­lut häu­fige Erkran­kung. Im Gegen­satz zu dege­ne­ra­tiv-beding­ten Gelenks­er­kran­kun­gen, die eine noch weit­aus höhere Prä­va­lenz haben und vor allem im Alter zu Beschwer­den füh­ren, kann die rheu­ma­to­ide Arthri­tis auch bei jun­gen Men­schen und in sel­te­nen Fäl­len sogar bereits bei Kin­dern auftreten.

„Typisch sind sym­me­tri­sche, schmerz­hafte Ver­di­ckun­gen an den klei­nen Gelen­ken der Hände“, erläu­tert Gra­nin­ger. Diese kön­nen aber auch im Rah­men ande­rer Erkran­kun­gen auf­tre­ten wie etwa im Rah­men einer Pso­ria­ris. Der Befall der Gelenke kann zwar Hin­weis auf eine spe­zi­fi­sche Erkran­kung sein. „Aller­dings sichert das Befalls­mus­ter alleine kei­nes­wegs eine Dia­gnose ab“, betont Erla­cher. „Eine Dak­ty­li­tis kann sowohl bei Pso­ria­sis-asso­zi­ier­ter Arthri­tis als auch bei Spon­dy­lo­ar­th­ro­pa­thien auf­tre­ten. Eine sym­me­tri­sche Schwel­lung der Fin­ger­grund­ge­lenke etwa fin­det man bei rheu­ma­to­ider Arthri­tis ebenso wie auch bei Pso­ria­sis­ar­thri­tis“, nennt er einige Bei­spiele. Derbe kno­tige Auf­trei­bun­gen an den dista­len Fin­ger­ge­len­ken hin­ge­gen deu­ten rela­tiv sicher auf eine Arthrose hin.

Klas­si­fi­ka­tion anhand von Punkten

Den EULAR (Euro­pean League Against Rheumatism)-Kriterien zufolge ist min­des­tens ein Gelenk mit einer kli­ni­schen Syn­ovi­tis, die mit kei­ner ande­ren Erkran­kung erklärt wer­den kann, Vor­aus­set­zung dafür, über­haupt an die Dia­gnose der rheu­ma­to­iden Arthri­tis zu den­ken. Für die wei­tere Klas­si­fi­ka­tion wer­den jeweils Punkte ver­ge­ben für die Anzahl der betei­lig­ten Gelenke, posi­tive Sero­lo­gie – Rheu­ma­fak­tor und CCP (cyklisch citrul­li­nier­tes Peptid)-Antikörper –, erhöhte Akute-Phase-Pro­te­ine wie etwa CRP, oder auch eine erhöhte Blut­sen­kung, und die Dauer der Sym­ptome. Min­des­tens sechs von zehn Punk­ten bedeu­tet, dass eine rheu­ma­to­ide Arthri­tis dia­gnos­ti­ziert wer­den kann. Aller­dings han­delt es sich hier­bei um Stu­di­en­kri­te­rien; im kli­ni­schen All­tag kön­nen andere Sym­ptome im Vor­der­grund ste­hen. Jeden­falls müs­sen nie alle Punkte erfüllt sein: So bedeu­tet das Feh­len von Rheu­ma­fak­to­ren zum Bei­spiel nicht, dass eine rheu­ma­to­ide Arthri­tis aus­ge­schlos­sen wer­den kann.

Die The­ra­pie erfolgt stu­fen­weise. Begon­nen wird mit einer Basis­the­ra­pie mit einem DMARD (dise­ase-modi­fy­ing anti­rheu­ma­tic drug). „Mit­tel der Wahl ist Metho­tre­xat, außer bei ein­ge­schränk­ter Nie­ren­funk­tion“, sagt Erla­cher. Damit könne in 30 Pro­zent der Fälle eine Remis­sion erreicht wer­den. Da die Wir­kung von DMARDs erst nach eini­gen Wochen ein­tritt, wird anfangs zur Über­brü­ckung nied­rig­do­sier­tes Cor­ti­son ver­ab­reicht. Bei star­ken Schü­ben wird eben­falls auf Cor­ti­son zurück­ge­grif­fen. Nach drei Mona­ten The­ra­pie wird bei einer Kon­troll­un­ter­su­chung erneut ein Rheu­masta­tus erho­ben, unter ande­rem mit­tels CDAI (Cli­ni­cal Dise­ase Acti­vity Index) und des DAS 28 (Dise­ase Acti­vity Score). „Hohe Rheu­ma­fak­tor- oder CCP-Anti­kör­per­werte, Ero­sio­nen im Rönt­gen und viele invol­vierte Gelenke sind Hin­weise auf einen schwe­ren Ver­lauf“, erklärt Graninger.

Bestehen wei­ter­hin Gelenks­schmer­zen und Gelenks­schwel­lun­gen, wird zusätz­lich ein Bio­lo­gi­kum wie etwa ein TNF-alpha-Blo­cker ein­ge­setzt und nach wei­te­ren drei Mona­ten erneut der The­ra­pie­er­folg über­prüft. „30 bis 40 Pro­zent spre­chen auf die Kom­bi­na­ti­ons­the­ra­pie an. Wenn die Beschwer­den nicht bes­ser gewor­den sind, sollte man auf ein ande­res Bio­lo­gi­kum umstei­gen“, erläu­tert Gra­nin­ger. Alter­na­ti­ven zu TNF-alpha-Blo­ckern sind etwa Inter­leu­kin-17-Blo­cker bei Pso­ria­sis-asso­zi­ier­ter Arthri­tis oder Inter­leu­kin-6-Blo­cker bei rheu­ma­to­ider Arthri­tis. „Prin­zi­pi­ell ist kein Bio­lo­gi­kum einem ande­ren über­le­gen. Sie sind in Bezug auf Wir­kung und Neben­wir­kun­gen gleich“, erklärt Erla­cher, der bedau­ert, dass es bis­lang keine Bio­mar­ker gibt, mit denen das Anspre­chen auf das eine oder andere Bio­lo­gi­kum vor­her­ge­sagt wer­den kann. Ein­zige Aus­nahme: Ritu­xi­mab, ein anti-CD20-Anti­kör­per. „Hier sind die Ansprech­ra­ten bei einem hohen Rheu­ma­fak­tor-Wert bes­ser“, weiß Erlacher.

Vor­aus­set­zun­gen

Da Bio­lo­gika stark immun­sup­pres­siv wir­ken und daher bei bestehen­der laten­ter Tuber­ku­lose-Infek­tion das Risiko einer Reak­ti­vie­rung erhöht ist, müs­sen vor Beginn der The­ra­pie ein Quan­ti­fe­ron-Test sowie ein Lun­gen­rönt­gen durch­ge­führt wer­den. Im Falle eines posi­ti­ven Tests wird – sofern eine akute Tuber­ku­lose aus­ge­schlos­sen wer­den kann – prä­ven­tiv mit einer neun­mo­na­ti­gen Anti­bio­tika-The­ra­pie begon­nen. Erla­cher ergänzt: „Nach einem Monat kann dann das Bio­lo­gi­kum hin­zu­ge­fügt wer­den.“ Dies kommt in Öster­reich aber nur sehr sel­ten vor.

Außer­dem kommt es zu gering erhöh­ten Infek­ti­ons­ra­ten des obe­ren Respi­ra­ti­ons­trak­tes wie etwa Pneu­mo­nien: „Daher sind rege­mä­ßige Kon­trol­len beim prak­ti­schen Arzt erfor­der­lich. Eine Pneu­mo­kok­ken-Imp­fung schützt, muss aber vom Pati­en­ten selbst bezahlt wer­den“, stellt Gra­nin­ger fest.

Mit den bestehen­den The­ra­pie­mög­lich­kei­ten kann in einem Groß­teil der Fälle eine Remis­sion erreicht wer­den. „Nach eini­gen Jah­ren einer erfolg­rei­chen Behand­lung kann even­tu­ell die Dosis redu­ziert wer­den“, so Gra­nin­ger. Das Manage­ment der RA-Pati­en­ten umfasst auch eine Pati­en­ten­schu­lung, Hilfe bei der Krank­heits­be­wäl­ti­gung und eine fach­spe­zi­fi­sche Rehabilitation.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 23–24 /​15.12.2016