Reisediarrhoe: Neue therapeutische Option

10.10.2016 | Medizin

Rund ein Dutzend Erreger kommt als Verursacher einer Reisediarrhoe in Frage. Bei der Therapie gilt es, den vielen Anforderungen wie etwa rascher Erfolg und Bekämpfung der Begleitbeschwerden gerecht zu werden. Als künftige therapeutische Option hofft man auf die rasche Zulassung des besser als Loperamid verträglichen Antisekretorikums Racecadotril.
Von Marlene Weinzierl

Die Diarrhoe trifft Reisende zumeist gegen Ende der ersten Aufenthaltswoche, dauert im Regelfall drei bis fünf Tage und sorgt bei den Betroffenen für eine Stuhlfrequenz von drei bis sechs Mal pro Tag – in seltenen Fällen mehr als zehn Mal, erklärt Univ. Prof. Herwig Kollaritsch vom Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Medizinischen Universität Wien.

Es existiert ungefähr ein Dutzend Durchfall-Ereger, die über unterschiedliche Mechanismen wirken. Zu den am häufigsten vorkommenden Erregern zählen Enterotoxin-produzierende E. coli-Stämme (ETEC), die den klassischen Toxin-induzierten Durchfall verursachen und der Toxin-Wirkung der Cholera entspricht. Kollaritsch dazu: „Die Erreger stören primär die Aufnahme von Flüssigkeit aus dem Darm und setzen den Energiestoffwechsel nach dem Eindringen der Toxine in die Darmendothelzellen irreversibel außer Kraft.“ In solchen Fällen sei es oft ausreichend, die Zeit für den Patienten arbeiten zu lassen. „Die Zellerneuerung erfolgt im Darm recht rasch, die Bakterien gehen per via naturalis ab. Die Diarrhoe ist somit selbstlimitierend und muss nicht zwingend behandelt werden.“ Aus diesem Grund rät der Experte davon ab, „gleich immer Imodium im Übermaß anzuwenden“. Unbedingt therapiert werden sollte hingegen eine Diarrhoe, die von deutlichem Krankheitsgefühl, Fieber und/ oder Blutbeimengungen im Stuhl begleitet wird, unterstreicht Univ. Prof. Florian Thalhammer von der Klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin an der Universitätsklinik für Innere Medizin I in Wien. Gefährlich ist eine Diarrhoe auch bei Kindern, Schwangeren und älteren Menschen, die ein hohes Risiko einer Exsikkose tragen, sind sich die Experten einig.

Invasionsbefähigte Erreger

Weitere Ursachen für eine Diarrhoe sind Infektionen mit Campylobacter (vor allem C. jejuni), Salmonellen oder Shigellen. Bei diesen Erregern spielen Enterotoxine zwar eine Rolle in der Pathogenese, sie sind jedoch in erster Linie invasionsbefähigt und führen verstärkt zu Schädigungen der Darmwand. „Eine therapeutische Intervention ist in diesen Fällen unbedingt angezeigt“, betont Kollaritsch. Zu den häufigsten viralen Verursachern einer Diarrhoe zählen Noroviren und Rotaviren. Vor allem letztere sind in Europa weit verbreitet und gefährden besonders (ungeimpfte) Säuglinge und Kleinkinder. Da sich laut Kollaritsch eine Infektion mit Rotaviren in den ersten 24 Lebensmonaten „nicht vermeiden lässt“ und im Lauf des Lebens eine 15-prozentige Wahrscheinlichkeit besteht, sogar fünfmal eine Infektion mit Rotaviren zu erleiden, ist in Österreich die Schutzimpfung vorgesehen.

„Obwohl die Reisediarrhoe von einer ganzen Reihe unterschiedlicher Keime ausgelöst werden kann, sind die klinischen Auswirkungen sehr ähnlich“, sagt Kollaritsch. Mehr als 90 Prozent der Patienten haben wässrige Durchfälle und nur fünf bis zehn Prozent leiden unter einer fieberhaften Diarrhoe. Diese deutet darauf hin, dass ein invasives Geschehen vorliegt. Allerdings klagen zwei Drittel aller Betroffenen zusätzlich über Bauchschmerzen oder Übelkeit; bei einem Drittel der Betroffenen treten auch Kreislauf- Probleme auf.

„Wenn jemand von einer Reise zurückkommt und wegen Durchfall den Arzt aufsucht, ist zunächst eine Reiseanamnese vorzunehmen“, erläutert Thalhammer das Procedere. Bei der Diagnostik sollte zwischen akuten Durchfallbeschwerden und chronischem Durchfall unterschieden werden, ergänzt Kollaritsch. „Eine Diarrhoe, die länger als drei Tage dauert oder mit Fieber verbunden ist, sollte auf jeden Fall mikrobiologisch abgeklärt werden, um infektiöse Erkrankungen auszuschließen und Ansteckungen zu vermeiden“, so der Experte. Thalhammer weist darauf hin, dass ebenso eine Untersuchung des Stuhls auf Parasiten vorgenommen werden sollte. Zu den am häufigsten vorkommenden Parasiten gehören Giardia lamblia und Entamoeba histolytica. Giardia-Infektionen bleiben oft lange Zeit aufgrund von verabsäumten Stuhluntersuchungen unentdeckt; sie spielen als Auslöser einer akuten Reisediarrhoe eine untergeordnete Rolle, führen jedoch häufig zu chronisch-rezidivierenden Durchfällen, berichtet Kollaritsch aus der Praxis. Ist der Patient aus einem Malaria-Gebiet zurückgekehrt, muss außerdem eine Infektion mit Plasmodium falciparum durch einen Dicken Tropfen ausgeschlossen werden.

Gibt die Stuhldiagnostik keinen weiteren Aufschluss über die vorliegende Erkrankung, sind weitere Maßnahmen wie eine Koloskopie oder ein Nahrungsmittel-Unverträglichkeitstest ratsam. Ein Reizdarm-Syndrom kann die Ursache für Durchfall, aber auch eine „gar nicht so seltene Folge“ einer Reisediarrhoe sein, gibt Kollaritsch zu bedenken. Und weiter: „Die Zahl der Personen, die derart unter ihrer Diarrhoe leiden, dass sie somatisieren und letztendlich eine Psychotherapie benötigen, ist nicht unbeträchtlich.“

Die Herausforderung in der Therapie liegt darin, den vielen Anforderungen gerecht zu werden, resümiert Kollaritsch. Gefragt sind rascher Therapieerfolg, dass die Begleitbeschwerden wie Übelkeit oder Bauchschmerzen bekämpft werden, die mikrobiologische Unbedenklichkeit zur Vermeidung von Resistenzen, dass sie bei möglichst allen Formen der Erkrankung angewendet werden kann – auch für Laien – und möglichst keine Nebenwirkungen hat.

Was laut Kollaritsch bleibt, ist die Möglichkeit, sich diesen Anforderungen mithilfe von drei Maßnahmen zu nähern: durch einfache Regenerierung, mittels nichtantibiotischer Therapie und schließlich mithilfe von Antibiotika (siehe Kasten). „Da die Dehydratation das Hauptproblem der Reisediarrhoe darstellt, ist die Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution die wichtigste therapeutische Maßnahme“, so Thalhammer abschließend.

Therapieoptionen

Der Flüssigkeits- und Elektrolytersatz kann bei milden Verlaufsformen oral erfolgen, bei schweren Formen jedoch parenteral, betont Univ. Prof. Florian Thalhammer. Bei wässriger Diarrhoe können bei Bedarf zusätzlich Antibiotika (Azithromycin, Ciprofloxacin, Rifaximin) über drei Tage in Kombination mit Motilitätshemmern (Gelatinetannat, Loperamid) verordnet werden. Loperamid bekämpft zwar nicht die Ursache der Diarrhoe, aber das Symptom. Sinnvoll sei allerdings nur ein „kurzfristiger Einsatz“, macht Kollaritsch aufmerksam, da sich nach zwei bis drei Tagen eine Obstipation einstellen könnte. Bei Dysenterie mit blutigem Stuhl und/oder Fieber ist Loperamid darüber hinaus kontraindiziert. In Einzelfällen wie zum Beispiel bei bakterieller Ruhr oder bei Amöbeninfektionen wurde im Zusammenhang mit einer unkontrollierten Einnahme von Loperamid beschrieben, dass die Keime aufgrund der reduzierten Darmperistaltik länger im Darm verbleiben und diesen zusätzlich schädigen könnten. Der Wirkstoff Gelatinetannat hat im Vergleich zu Loperamid den Vorteil, dass er ausschließlich enteral wirksam ist und „er unterliegt nicht den Einschränkungen von Loperamid“, weiß Thalhammer.

Als zukünftige Alternative hofft Kollaritsch auf Racecadotril und dessen baldige Verfügbarkeit in Österreich. Bei diesem Antisekretorikum handelt es sich um ein in der EU zugelassenes und auf internationalen Flughäfen erhältliches OTC-Präparat, das für Erwachsene rezeptfrei, für Kinder unter zwölf Jahren rezeptpflichtig ist. In Deutschland etwa seien die Gastroenterologen darin übereingekommen, dass das dort bereits erhältliche Racecadotril Loperamid künftig ersetzen soll, weiß Kollaritsch. „Vergleichsstudien haben gezeigt, dass der neue Wirkstoff einen ebenbürtigen, wenn nicht sogar überlegenen Therapieerfolg ohne die gefürchteten Nebenwirkungen aufweist“, berichtet der Experte.

Darüber hinaus könnten parasitäre Erkrankungen mit Metronidazol (500 mg dreimal täglich über sieben Tage) behandelt werden, ergänzt Thalhammer. Bei Amöben wird zusätzlich Paromomycin (3 x 8-10 mg/kg KG) ebenfalls über sieben Tage verabreicht.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2016