Rei­se­di­ar­rhoe: Kom­bi­na­tion pro­vo­ziert Resistenzen

10.10.2016 | Medizin

Das Risiko für eine Diar­rhoe bei einer Fern­reise hat bei­spiels­weise in Thai­land, Tune­sien oder Marokko deut­lich abge­nom­men. Nach wie vor hoch­ris­kant sind Mexiko, Indien oder Ost­afrika. Die Kom­bi­na­tion von Anti­bio­tika mit Lope­ra­mid hat jedoch dazu geführt, dass 71 Pro­zent der Betrof­fe­nen mit mul­ti­re­sis­ten­ten Kei­men zurück­keh­ren. Von Mar­lene Weinzierl

Mehr als eine Mil­li­arde Men­schen aus Europa und Nord­ame­rika reist jähr­lich nach Süd­ame­rika, Afrika oder Asien, sagt Univ. Prof. Flo­rian Thal­ham­mer von der Kli­ni­schen Abtei­lung für Infek­tio­nen und Tro­pen­me­di­zin der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin I in Wien. Die welt­weit häu­figste Gesund­heits­stö­rung bei Inter­kon­ti­nen­tal­rei­sen­denm sind dem­nach Darm­in­fek­tio­nen und damit ver­bun­dene Diar­rhoen. 20 bis 50 Pro­zent aller Men­schen aus den Indus­trie­na­tio­nen erkran­ken in Ent­wick­lungs­län­dern zwi­schen dem drit­ten und neun­ten Rei­se­tag an einer aku­ten Reisediarrhoe.

Die Genese ist mul­ti­fak­to­ri­ell – ebenso wie das Risiko, an einer Diar­rhoe zu erkran­ken: Letz­te­res vari­iert sehr stark in Abhän­gig­keit von Desti­na­tion, Jah­res­zeit (Sub­tro­pen), Her­kunfts­land, Rei­se­stil und der Ernäh­rung. In aller Regel liegt die Ursa­che jedoch nicht in den frem­den, für west­li­che Mägen ver­meint­lich unver­träg­li­chen Lebens­mit­teln der Rei­se­desti­na­tion, son­dern in einer unzu­läng­li­chen Nah­rungs­mit­tel­kette. In den meis­ten tro­pi­schen und sub­tro­pi­schen Län­dern sind viele Nah­rungs­mit­tel durch Fäkal­keime kon­ta­mi­niert, erklärt Univ. Prof. Her­wig Kol­la­rit­sch vom Insti­tut für Spe­zi­fi­sche Pro­phy­laxe und Tro­pen­me­di­zin der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. Bei­spiels­weise erkrank­ten vor noch nicht allzu lan­ger Zeit bis zu 60 Pro­zent aller in die Tür­kei und nach Marokko Rei­sen­den an einer Diar­rhoe. Doch habe sich in den ver­gan­ge­nen bei­den Jahr­zehn­ten mit der Ent­wick­lung der (sani­tär­hy­gie­ni­schen) Infra­struk­tur und durch tou­ris­ti­sche Inves­ti­tio­nen in vie­len Regio­nen so eini­ges zum Bes­se­ren ver­än­dert, kon­sta­tiert Kol­la­rit­sch. Das Risiko für eine Durch­fall­erkran­kung habe sich bei­spiels­weise in Tei­len Süd­ost­asi­ens wie Thai­land, aber auch in Tune­sien, Marokko, der Tür­kei und Süd­eu­ropa seit 1990 in etwa hal­biert. Mexiko/​Mit­tel­ame­rika, Indien, der Mitt­lere Osten und Ost­afrika hin­ge­gen hät­ten den Aus­sa­gen von Kol­la­rit­sch zufolge „den posi­ti­ven Trend bis dato lei­der verpasst“.

Cook it, boil it …

Pro­phy­laxe ist nur bis zu einem gewis­sen Grad mög­lich. Das Prin­zip „Cook it, boil it, peel it or for­get it“ zielt auf die Nah­rungs­mit­tel­hy­giene ab. Dem­nach soll nur gekoch­tes, in Fla­schen abge­füll­tes oder mit Koh­len­säure ver­setz­tes Was­ser getrun­ken sowie keine rohen oder kühl­pflich­ti­gen Lebens­mit­tel geges­sen wer­den. Thal­ham­mer weist dar­auf hin, dass dazu bei­spiels­weise auch die Über­prü­fung der kor­rek­ten Ver­sie­ge­lung von Fla­schen bezie­hungs­weise Lebens­mit­tel­be­hält­nis­sen gehört. Jedoch: Rei­sende hal­ten sich nur sel­ten an die­sen Rat­schlag. Ebenso täuscht das Ambi­ente einer Unter­kunft oder eines Lokals oft über die ver­steck­ten Gefah­ren hin­weg. Die Inzi­denz der Diar­rhoe ist Kol­la­rit­sch zufolge in Luxus- Eta­blis­se­ments sogar etwas höher als in Stan­dard­ho­tels, weil die Risi­ken für den Rei­sen­den nicht offen­kun­dig sind. Mit­un­ter wür­den beide Unter­künfte vom glei­chen Lie­fe­ran­ten bedient, des­sen hygie­ni­sche Stan­dards vom Rei­sen­den nicht über­prüft wer­den könnten.

Bei der Über­tra­gung von Erre­gern neh­men Schiffe als in sich geschlos­sene Sys­teme eine spe­zi­elle Rolle ein. Eine „klas­si­sche“ (Kol­la­rit­sch) Kreuz­fahrt-Krank­heit ist die Noro­vi­rus-Gas­troen­teri­tis. Zwi­schen 1990 und 2013 wur­den 127 Aus­brü­che auf Kreuz­fahrt­schif­fen mit einer Erkran­kungs­rate von bis zu 74 Pro­zent der Pas­sa­giere doku­men­tiert. Noro­vi­ren sind enorm Umwelt-resis­tent und kön­nen bis zu zwei Wochen an Tür­klin­ken oder Tep­pich­bö­den haf­ten blei­ben. Die Viren haben mit zehn bis 15 Stun­den eine kurze Inku­ba­ti­ons­zeit und füh­ren beson­ders bei Kin­dern und Senio­ren leicht zu einer Exsik­kose, warnt der Experte. Der plötz­lich auf­tre­tende Durch­fall mit typi­scher­weise schwall­ar­ti­gem Erbre­chen gehe jedoch nach ein bis drei Tagen wie­der vor­über und zeige in der Regel keine Nachwirkungen.

Oran­gen­saft für orale Rehy­drie­rung

Eine ein­fa­che Maß­nahme, über die Fern­rei­sende mit aku­ter Diar­rhoe im Aus­land Bescheid wis­sen soll­ten, ist zugleich auch die unge­fähr­lichste: Die orale Rehy­drie­rung mit­tels Was­ser und Elek­tro­ly­ten. Fer­tige Elek­tro­lyt­lö­sun­gen sind auch für Kin­der erhält­lich und soll­ten in der Rei­se­apo­theke mit­ge­führt wer­den. Als Elek­tro­ly­ter­satz eig­net sich im Not­fall auch Bier, das laut dem Exper­ten in gleich­blei­ben­der Qua­li­tät welt­weit zu fin­den sei, oder ein frisch gepress­ter und dadurch auto­ste­ri­ler Oran­gen­saft mit einem Kaf­fee­löf­fel Salz und einem Ess­löf­fel Zucker.

Bei Risi­ko­pa­ti­en­ten kön­nen auch Anti­bio­tika sinn­voll sein. Kol­la­rit­sch gibt jedoch zu beden­ken, dass ein restrik­ti­ves Vor­ge­hen bei der Ver­ord­nung unbe­dingt ange­zeigt sei, denn welt­weit sei eine Zunahme von resis­ten­ten Bak­te­rien durch den unkon­trol­lier­ten Ein­satz von Anti­bio­tika zu ver­zeich­nen. „Die Anwen­dung von anti­mi­kro­biel­len Prä­pa­ra­ten zusam­men mit dem Darm-Moti­li­täts­hem­mer Lope­ra­mid hat dazu geführt, dass 71 Pro­zent der betrof­fe­nen Rei­sen­den mit mul­ti­re­sis­ten­ten Kei­men nach Öster­reich zurück­keh­ren“, berich­tet Kol­la­rit­sch. Resis­ten­zen wur­den sowohl für Rifa­xi­min als auch für Cipro­flo­xa­cin beschrie­ben. Letz­te­res zeige kaum noch Wirk­sam­keit gegen in Süd­ost­asien ver­brei­tete Erre­ger, allen voran Cam­py­lo­bac­ter. Hier dient Azi­thro­my­cin als Reser­ve­me­di­ka­ment. Ruck­sack­tou­ris­ten emp­fiehlt Kol­la­rit­sch jeden­falls, zur Sicher­zeit ein Anti­bio­ti­kum mit­zu­neh­men. „Anti­bio­tika kann man zwar auch in Ent­wick­lungs­län­dern kau­fen. Eine Stu­die hat jedoch gezeigt, dass etwa 70 Pro­zent der Anti­bio­tika-Prä­pa­rate in die­sen Län­dern gefälscht sind und somit über­haupt keine Wir­kung oder eine schlechte Bio­ver­füg­bar­keit besit­zen“, weiß der Experte. Bei Fern­rei­sen­den sehr beliebt sind nicht­an­ti­mi­kro­bielle Prä­pa­rate zur Pro­phy­laxe oder zur raschen Selbst­hilfe im Not­fall. Inter­na­tio­na­len Stu­dien zufolge zei­gen Kao­line, Pek­tine und Tier­kohle in der aku­ten Phase der Rei­se­di­ar­rhoe jedoch kei­nen Effekt. „Dies gilt auch für Pro­bio­tika, die ledig­lich bei der Restau­rie­rung des Dar­mes nach der Diar­rhoe hilf­reich sein kön­nen“, betont Kol­la­rit­sch. Über­dies gibt es OTC-Prä­pa­rate wie Wis­muth- Sub­sa­li­cy­lat (in den USA zuge­las­sen) und Race­ca­do­tril (in Europa zuge­las­sen), die unter ande­rem auf Flug­hä­fen erhält­lich sind und „eine sinn­volle Option“ bei aku­ter Rei­se­di­ar­rhoe dar­stell­ten, so Kollaritsch.

Risiko und Haupt­er­re­ger nach Regionen

Hohes Risiko: Mehr als 30 Pro­zent der Rei­sen­den erkran­ken
Afrika, Asien, Mexiko, Mitt­le­rer Osten und Südamerika

Mitt­le­res Risiko: Zehn bis 20 Pro­zent der Rei­sen­den erkran­ken
Kari­bi­sche Inseln, Ost­eu­ropa und Südafrika

Afrika und Latein­ame­rika
Nahezu 50 Pro­zent der Rei­se­di­ar­rhoen wer­den von entero­pa­tho­ge­nen Esche­ri­chia­coli-Stäm­men (ETEC, EAEC) ver­ur­sacht.

Süd­ost­asien:

ETEC und EAEC: 35 Pro­zent
Cam­py­lo­bac­ter: 20 Pro­zent
Giar­dia lam­blia: zehn Prozent

Quelle: Univ. Prof. Flo­rian Thal­ham­mer, Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin I/​Wien

ÖÄK Zer­ti­fi­kats­lehr­gang Reisemedizin

Ter­min: 27. bis 30. August 2017
Ort: Vel­den, Hotel Post

Ziel­gruppe: Ärzte für All­ge­mein­me­di­zin, Ärzte aller Fachrichtungen

Ver­an­stal­ter: Öster­rei­chi­sche Aka­de­mie der Ärzte GmbH in Zusam­men­ar­beit mit MedEXCITE

Wis­sen­schaft­li­che Lei­tung: Univ. Prof. Her­wig Kol­la­rit­sch, Univ. Prof. Mar­tin Haditsch

The­men: Der ÖÄK Zer­ti­fi­kats­lehr­gang Rei­se­me­di­zin ver­mit­telt u.a. Kennt­nisse und Fer­tig­kei­ten in fol­gen­den Bereichen:

  • All­ge­meine Rei­se­me­di­zin und geo­me­di­zi­ni­sche Grundlagen
  • Gift­tiere und andere nicht-infek­tiöse Risiken
  • Mala­ria: Para­si­to­lo­gie, Kli­nik, Dia­gnos­tik, Vor­beu­gung, (Notfallselbst-)Therapie
  • Sons­tige rei­se­me­di­zi­nisch rele­vante Krank­hei­ten (durch Blut­sauger, orale, aero­gene, sexu­elle, per­ku­tane Über­tra­gung; spe­zi­elle Schwer­punkte: gas­tro­in­testi­nale Infek­tio­nen, Ektoparasiten)
  • Hygiene und sons­tige Prophylaxe
  • Bera­tung vor der Reise: Reise-/Tro­pen­taug­lich­keit, Last-Minute-Rei­sen, Rei­se­apo­theke (Laien/​Ärzte)
  • Rei­se­imp­fun­gen
  • Flug­me­di­zin und medi­zi­ni­sche Aspekte ande­rer Transportmittel
  • Tauch­me­di­zin und Höhenmedizin
  • Rei­sende mit erhöh­tem Risiko: Schwan­gere, Kin­der, Senio­ren; Lang­zeit­auf­ent­halte, Rei­sen mit Vorerkrankungen
  • Pra­xis der rei­se­me­di­zi­ni­schen Bera­tung Fall­bei­spiele in den Berei­chen Rei­se­vor­be­rei­tung, Erkran­kung nach der Rückkehr

Teil­nah­me­ge­bühr: 600 Euro (incl. Prä­sen­ta­ti­ons­un­ter­la­gen auf USB-Stick)

Details und Anmel­dung: www.arztakademie.at/reisemedizin-lehrgang

Der Lehr­gang 2016 ist bereits ausgebucht.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 19 /​10.10.2016