Physikalische Schmerztherapie: Aktive Mitarbeit steigert Effizienz

25.01.2016 | Medizin

Die multimodale Schmerztherapie ist bei chronischen Schmerzen am effektivsten – erfordert jedoch die aktive Mitarbeit des Patienten. Teil der ärztlichen Kompetenz ist es, einzuschätzen, was für den Patienten realistisch ist: ein personalisiertes Behandlungsschema erhöht die Compliance. Von Verena Isak

Chronische Schmerzen – Schmerzen über mindestens drei bis sechs Monate – stellen in der Behandlung oft eine große Herausforderung dar. Am wirksamsten ist eine Kombination verschiedener Therapien, um den Schmerz in den Griff zu bekommen. Neben der medikamentösen Therapie und der sozialen beziehungsweise psychotherapeutischen Betreuung stellt die physikalische Schmerztherapie einen wichtigen Pfeiler der multimodalen Schmerztherapie dar. Allerdings: „Die Umsetzung einer multimodalen Schmerztherapie ist oft schwierig in Österreich, da es in vielen Regionen keine solche Zentren gibt“, stellt Univ. Prof. Ing. Andreas Schlager von der Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin der Medizinischen Universität Innsbruck fest. Die physikalische Schmerztherapie setzt sich aus verschiedenen Modalitäten zusammen wie zum Beispiel der Wärme- und Kältetherapie, Massagen, Elektrotherapie, Ultraschalltherapie, manueller Therapie sowie Trainings- und Bewegungstherapie.

Bei der Elektrotherapie etwa werden durch den Strom lokal Nozi-Zeptoren gehemmt und die Schmerzweiterleitung modifiziert; gleichzeitig kommt es zu einer verbesserten Durchblutung. „Ultraschall ist gut geeignet für eine punktuelle Wärmetherapie, da die Schallwellen bis zu sieben Zentimeter ins Gewebe eindringen können“, erklärt Univ. Prof. Tatjana Paternostro-Sluga vom Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation des SMZ Ost/Donauspital in Wien. Es sei immer wichtig, die Ursache des Schmerzes herauszufinden. „Die Indikationsstellung bedarf einer sehr genauen klinischen Untersuchung“, so ihre Erklärung.

Dass eine frühzeitige Behandlung und Abklärung von großer Bedeutung ist, zeigt sich beispielsweise bei der rheumatoiden Arthritis. „Schon nach etwa drei Monaten finden sich radiologisch sichtbare Knochenveränderungen, die nicht mehr reversibel sind“, erklärt Schlager. Deshalb sei der Patient bei Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung umgehend an eine rheumatologische Ambulanz zu überweisen.

Vor allem bei chronischen Schmerzen des Bewegungsapparats hat die physikalische Schmerztherapie einen wichtigen Stellenwert. Meistens handelt es sich um degenerative Veränderungen der Wirbelsäule oder der Gelenke, die auf Wärme, Elektrotherapie, Massage und Training sehr gut ansprechen. Aufgrund des steigenden Alters der Bevölkerung steigt auch die Prävalenz, erklärt Schlager. „Regelmäßiger Sport und physikalische Therapie können die Beschwerden gut lindern. Allerdings soll auch nicht übertrieben werden“, betont er. „Physiotherapie allein reicht nicht aus. Die Patienten müssen heilgymnastische Übungen zu Hause weitermachen.“

Auch in der Prophylaxe ist Bewegung ein wichtiger Faktor: Haltungstraining und stabilisierende Wirbelsäulenübungen mit Kräftigung der kleinen Rückenmuskulatur, der schrägen und queren Bauchmuskulatur und des Beckenbodens sollten bereits gemacht werden, bevor Schmerzen auftreten.

Compliance wichtig

Bei der Bewegungstherapie spielt die Compliance eine wesentliche Rolle: „Jeder ist seines Glückes Schmied. Wenn Patienten nicht aktiv werden und Bewegung machen, wird sich längerfristig kein Erfolg einstellen“, sagt Schlager. Seinen Aussagen zufolge hätte der Großteil der Patienten, die nach einer Schmerztherapie wieder in der Schmerzambulanz landen, seinen sitzenden Lebensstil nicht verändert und keines oder kein ausreichendes Training durchgeführt.

Patienten zu regelmäßiger Bewegung zu motivieren, ist jedoch nicht immer einfach: „Teil der fachärztlichen Kompetenz ist es, richtig einschätzen zu können, was realistisch ist für den Patienten“, meint Paternostro- Sluga. Dabei ist es wesentlich, ein personalisiertes Behandlungsschema zu verschreiben, um so die Compliance zu erhöhen. Wichtig ist, gemeinsam mit dem Patienten ein bestimmtes Ziel für einen bestimmten Zeitraum zu setzen: „Wenn es zu keiner Verbesserung kommt beziehungsweise das Ziel nicht erreicht wird, muss man die Strategie ändern“, sagt sie. Therapieziel seien die Schmerzlinderung und die Funktionsverbesserung. Die Betroffenen müssten ihr Leben wieder selbstbestimmt leben können und wissen, wie sie mit Restschmerzen umgehen.

Akute Schmerzen sind eine Domäne der medikamentösen Schmerztherapie, unterstützend können Kältetherapie, Reflexmassagen oder niederfrequente Elektrotherapie wie die Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS) eingesetzt werden. Eine Mobilisierung und Bewegungsförderung soll frühestmöglich beginnen, um die gefährlichen Folgen der Inaktivität besonders bei älteren Patienten zu minimieren. Bandagen und Orthesen sind dafür wichtige Hilfsmittel.

Die Indikation für Opioide ist für den nicht-malignen muskuloskelettalen Schmerz streng zu stellen, wie Schlager erläutert: „Nur wenn andere Therapien nicht möglich sind, Patienten signifikant gut ansprechen und keine somatoforme Schmerzursache feststellbar ist, kann man Opioide geben.“ Allerdings seien strenge Kontrollen notwendig; außerdem werde die Dosierung so niedrig wie möglich gehalten. Für die Behandlung von Tumorschmerzen stehen Opioide und schmerztherapeutisch-invasive Maßnahmen im Vordergrund. Physikalische Schmerztherapie kann unterstützend eingesetzt werden, wobei gerade bei Patienten mit malignen Tumoren Massagebehandlungen einen guten Effekt auf Lebensqualität und Schmerzverarbeitung haben.

Medikamente als Unterstützung

Bei chronischen Schmerzen des Bewegungsapparats gilt: „So lange wie möglich sollte konservativ behandelt werden, Medikamente dabei nur zur Unterstützung dienen und nicht zur ausschließlichen Schmerztherapie“, sagt Schlager. Wenn sich der Patient bei der physikalischen Therapie nicht compliant zeige und nur Medikamente einnehme, wäre es der Aussage des Experten zufolge „falsch, Opioide zu verschreiben“. Wenn der Schmerz Richtung Chronifizierung gehe, sei eine Überweisung zu einer Schmerzambulanz sinnvoll.

Bei einem Großteil der Rückenschmerzen sind als Ursachen Fehlbelastung, körperliche Inaktivität, ungesunder Lebensstil und degenerative Veränderungen am Bewegungsapparat zu sehen. Der Rat von Paternostro-Sluga: regelmäßige Bewegung – beispielsweise täglich 45 Minuten spazieren oder Nordic Walking. Zuerst müssten Rückenschmerzen jedoch ärztlich abgeklärt werden, da der benigne muskuloskelettale Schmerz (= Fehlbelastung, Muskelverspannung, …) immer eine Ausschlussdiagnostik darstelle. „Spezifische Ursachen wie eine Wirbelkörperfraktur oder eine Knochenmetastase müssen ausgeschlossen werden“, betont Paternostro-Sluga.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2016