Nosokomiale Infektionen: Surveillance im Vergleich

25.06.2016 | Medizin

Nosokomiale Infektionen treten nicht nur in Krankenhäusern, sondern in allen Gesundheitseinrichtungen auf und betreffen jährlich schätzungsweise vier Millionen Menschen in ganz Europa. Die Einhaltung von Hygienemaßnahmen und die Surveillance von Infektionen erlauben ein Gegensteuern.
Von Marlene Weinzierl

Neben Pneumonien und Harnwegsinfektionen gehören postoperative Wundinfektionen – Surgical Site Infections (SSIs) – zu den häufigsten nosokomialen Infektionen, erklärte Univ. Prof. Elisabeth Presterl von der Universitätsklinik für Krankenhaushygiene und Infektionskontrolle an der MedUni Wien bei einem Symposium im Mai in Wien anlässlich des Internationalen Tages der Händehygiene. Veranstalter waren das Gesundheitsministerium in Kooperation mit dem Nationalen Referenzzentrum für nosokomiale Infektionen und Antibiotikaresistenz (NRZ) sowie der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG). Thema der Veranstaltung: Händehygiene und Empfehlungen zur Prävention postoperativer Wundinfektionen.

Den österreichischen Krankenanstalten steht eine Reihe von Surveillance-Systemen für eine laufende, standardisierte Erfassung nosokomialer Infektionen zur Verfügung, die Übermittlung der Daten erfolgt auf freiwilliger Basis. Die Entscheidung, welches Surveillance-System genutzt werden soll, obliegt der Krankenanstalt. Der Standort Wien etwa betreibt das Netzwerk ANISS (Austrian Nosocomial Infection Surveillance System; www.aniss.at) zur Erfassung von postoperativen Wundinfektionen. Über das Österreichische Zentrum für Dokumentation und Qualitätssicherung in der Intensivmedizin (ASDI) erfolgt die Surveillance von Infektionen auf Intensivstationen in Österreich. Diese beiden Netzwerke sind beim European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC; www.ecdc.eu) in die europaweite Surveillance eingebunden. Ein Vergleich der österreichischen Daten mit jenen anderer EU-Staaten wird somit möglich.

Sammlung, Analyse und Bewertung

Surgical Site Infections sind ein wichtiger Bestandteil der systematischen Sammlung, Analyse und Bewertung der Daten zum Zwecke des Gesundheitsschutzes – sind sie doch mit längeren postoperativen Krankenhausaufenthalten verbunden, wie Presterl ausführte. Für die Erfassung und den Datenabgleich von postoperativen Wundinfektionen seien daher Chirurgen wichtige Partner und eine Risikoadjustierung durch patientenbezogene Erfassung ein wesentlicher Punkt.

Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch der Antibiotika-Verbrauch, der in Österreich seit 2012 neben nosokomialen Infektionen in den Punkt-Prävalenz-Untersuchungen (PPS) für Akutkliniken und Pflegeeinrichtungen erfasst wird. Die am häufigsten eingesetzte Antibiotika-Klasse in Österreich laut Punkt-Prävalenz-Untersuchung aus dem Jahr 2015 ist Betalaktamase-Penicillin (35 Prozent). Ermittelt wurde auch der Verbrauch an alkoholischen Desinfektionsmitteln: Mit 28,6 Millilitern pro Patiententag hält ihn Presterl für „verbesserungswürdig“. Damit in Zukunft auch Infektionen in Einrichtungen, in denen Pflegefälle betreut werden, erfasst werden, werden im Herbst dieses Jahres Daten in Langzeit-Pflegeeinrichtungen erhoben. Die gesammelten Daten werden in einem Bericht zusammengefasst; dieser beinhaltet Daten von Krankenhausinfektionen mit postoperativen Wundinfektionen, Ergebnisse der Europäischen Punkt-Prävalenz-Untersuchung sowie Daten zu Infektionen auf Intensivstationen. Laut Presterl soll der aktuelle Bericht zu nosokomialen Infektionen in Österreich bis Sommer auf der Website des Gesundheitsministeriums veröffentlicht werden.

Bei chirurgischen Patienten sind Surgical Site Infections die häufigsten nosokomialen Infektionen; die Infektionsrate liege je nach Krankengut und Spezialisierung bei fünf bis 30 Prozent, wie Univ. Prof. Reinhold Függer von der Chirurgischen Abteilung des Allgemeinen öffentlichen Krankenhaus Elisabethinen in Linz erklärte. Es gebe jedoch eine Reihe an prä-, peri- und postoperativen Maßnahmen, die für eine Prävention von Surgical Site Infections beachtet werden könnten, so Függer. Zunächst sollte der präoperative Aufenthalt des Patienten möglichst kurz sein. Eine Haarentfernung sollte erst unmittelbar vor der Operation erfolgen. Besonders viele Fehler würden laut Függer bei der Antibiotika-Prophylaxe passieren. Entscheidend seien hier Indikation und Timing. Studien zufolge liege der optimale Zeitpunkt für eine Antibiotika-Gabe – idealerweise ein Single-Shot-Antibiotikum – 30 bis 60 Minuten vor dem Hautschnitt. Bei einer Operationsdauer von mehr als vier Stunden könne die Antibiotika-Gabe wiederholt werden; sie sollte jedoch nie länger als 24 Stunden gegeben werden. 38° C Fieber in der ersten Nacht postoperativ sei kein Grund, eine Antibiotikatherapie fortzusetzen, so Függer.

Peri- und postoperative Maßnahmen

Zur perioperativen Prävention zählen neben den üblichen antiseptischen Maßnahmen die Blutzuckerkontrolle (Blutglukose < 200 mg/dl) und der Handschuhwechsel. Geachtet werden sollte auch auf die Normothermie, damit der Patient während längerer Operationen nicht Gefahr läuft, auszukühlen. Eher kontroversiell diskutiert wird derzeit die Verwendung von antiseptischem Nahtmaterial. Postoperativ sei es wichtig, den Einsatz von Drainagen möglichst zu minimieren, da sie ein idealer Eintrittsweg für Infektionen sind. Auch ständige Verbandswechsel sind zu vermeiden: Wird ein blander Verband nach 48 Stunden gewechselt, reiche das laut Függer aus. Das Thema Händedesinfektion spiele allerdings nicht nur im OP, sondern auch vor und nach jedem Verbandswechsel und bei jedem Patientenkontakt eine wichtige Rolle. Der Kontaminationsgrad ist einer der eingriffsabhängigen Faktoren für Surgical Site Infections: Während diese bei minimal-invasiven Operationen in weniger als einem Prozent vorkämen, stellen Dickdarmoperationen laut Függer ein „hochkontaminiertes“ Gebiet mit einer durchschnittlichen Rate an Surgical Site Infections von 24 Prozent dar. Patienten-abhängige Risikofaktoren sind ein erhöhter BMI, Rauchen, Medikamenteneinnahme – allen voran Immunsuppressiva – sowie Komorbidität. Postoperative Wundinfektionen sind multifaktoriell bedingt und würden den Aussagen des Experten zufolge oft unterschätzt – auch von Ärzten. © Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2016