Morbus Fabry: Unterschiedlichste Symptome

10.06.2016 | Medizin

Vom (juvenilem) Insult über TIAs, Schwindel, Diplopie, Nystagmus, Dysarthrie, Kopfschmerzen bis hin zu Ataxie und Demenz können bei Morbus Fabry verschiedenste Symptome auftreten. Der Erfolg der Enzymersatz-Therapie hängt wesentlich von der weitgehend erhaltenen Nierenfunktion ab.
Von Irene Mlekusch

Der Leidensweg der Patienten bis zur Diagnose ist oft sehr lang“, erklärt Univ. Prof. Gere Sunder-Plassmann von der Klinischen Abteilung für Nephrologie und Dialyse an der Universitätsklinik für Innere Medizin III in Wien. „Es können zehn bis 20 Jahre vergehen, bis die Ursache erkannt wird.“ Die Diagnose Morbus Fabry wird oft erst im Zuge der Abklärung eines Insults oder Erkrankungen von Herz und Nieren gestellt.

Kardiale Erkrankungen treten bei etwa 50 Prozent aller Patienten mit Morbus Fabry auf und gehören zu den wesentlichen krankheitsbezogenen Todesursachen. Die ersten Veränderungen der Herzfunktion können bereits im Kindesalter auftreten und führen unbehandelt beim Erwachsenen zu schweren funktionellen und strukturellen Veränderungen am Herzen. In der Echokardiographie stellt sich das Herz des Patienten mit M. Fabry häufig mit einer konzentrischen linksventrikulären Hypertrophie bei normaler Ejektionsfraktion dar. Des Weiteren lassen sich sonographisch Verdickungen im Bereich des Papillarmuskels, der Herzklappen und des rechten Ventrikels sowie eine verminderte Herzfrequenzvariabilität finden. Unter Verwendung des Strain Rate Imagings zeigt sich im Rahmen der Fabry-Kardiomyopathie eine Beeinträchtigung der regionalen Myokardfunktion. All diese Veränderungen betreffen hauptsächlich die longitudinale Kontraktion und nehmen ihren Ursprung im basalen Segment der postero-lateralen Wand des linken Ventrikels. Durch die Echokardiographie können bereits frühe Veränderungen dargestellt werden; im Endstadium der Fabry-Kardiomyopathie sollte der Grad der myokardialen Fibrosierung mittels MRT erhoben werden. Die Fibrosierung dürfte die Hauptursache für die kardialen Arrhythmien bei Betroffenen darstellen, welche wiederum mit einer schlechten Prognose einhergehen. Auch EKG-Veränderungen wie kurze PQ-Intervalle, erhöhter Sokolow-Lyon-Index oder negative T-Wellen können auf eine Fabry-Kardiomyopathie hinweisen.

Häufig: Nierenfunktionsstörung

Vor allem bei männlichen Fabry-Patienten findet sich häufig eine Nierenfunktionsstörung, welche die Lebensqualität erheblich einschränkt. Studien haben gezeigt, dass etwa 50 Prozent der untersuchten Betroffenen bereits im Alter von 35 Jahren eine ausgeprägte Proteinurie aufweisen. Sunder-Plassmann dazu: „Etwa zwei Prozent der Männer, welche aufgrund unbekannter Ursache der Niereninsuffizienz eine Dialyse brauchen, leiden an Morbus Fabry.“ Dementsprechend wichtig für den weiteren Krankheitsverlauf ist die frühzeitige Diagnosestellung vor allem bei jüngeren Patienten. Weibliche Patienten sind seltener von einer Einschränkung der Nierenfunktion betroffen.

Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ist die Lebenserwartung bei Fabry- Patienten ohne entsprechende Behandlung um bis zu 20 Jahre verkürzt, da die Erkrankungen von Herz, Nieren und Gehirn bereits zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr auftreten können. Die zerebrovaskulären Manifestationen sind vielfältig. Vom Insult – vor allem einem juvenilen Insult – über TIAs, Schwindel, Diplopie, Nystagmus, Dysarthrie, Kopfschmerzen bis hin zu Ataxie und Demenz können verschiedenste Symptome auftreten. „Ein Insult ist selten das Erstsymptom bei Morbus Fabry“, berichtet Univ. Prof. Franz Fazekas, Leiter der Universitätsklinik für Neurologie in Graz. „Die neuropathischen Schmerzen stehen eher im Vordergrund. Sind aber zusätzlich zu einem Schlaganfall vor dem 55. Lebensjahr andere Organe ebenfalls betroffen, sollte man an einen Morbus Fabry denken.“ Fazekas führt weiters aus, dass sich im MRT bei bereits fortgeschrittenen Fällen, das heißt Patienten mit multipler Organmanifestation, Hinweise auf eine ZNS-Beteiligung etwa in Form von Signalhyperintensität des Pulvinar Thalami bei T1-Gewichtung finden. „Bei Fabry-Patienten wurden auch eine Ektasie der A. basilaris und Infarkte vorwiegend in der vertebrobasilären Strombahn berichtet. Bei klinisch erstmaligem Schlaganfall oder TIA waren diese Merkmale allerdings noch nicht nachweisbar“, so Fazekas. Lange vor dem Auftreten der zum Teil schwerwiegenden Veränderungen an Herz, Nieren und Gehirn können erste Symptome schon ab dem zweiten Lebensjahr auftreten. „Im Kindes- und Jugendalter wird die Diagnose eher selten gestellt, da die Symptome zu unspezifisch sind“, fasst Sunder-Plassmann zusammen. Univ. Prof. Daniela Karall von der Ambulanz für angeborene Stoffwechselstörungen an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Innsbruck schildert als klassisches Bild einen halbwüchsigen, weitgehend unauffälligen Buben, der über unklare, brennende, stechende Schmerzen klagt, die im Infekt und unter Stress noch deutlich schlimmer werden. „Manchmal finden sich Angiokeratome im Bereich vom Nabel und den Oberschenkeln sowie eine Reihe unspezifischer Symptome wie zum Beispiel der Wechsel zwischen Durchfall und Verstopfung oder eine Hitzeunverträglichkeit, das heißt: nicht schwitzen können.“

Spezifika im Kindes- und Jungendalter

m Vordergrund stehen im Kindes- und Jugendalter somit intermittierende Akroparästhesien, episodische Fabry-Krisen, welche sich durch quälende Minuten bis Tage dauernde Schmerzen charakterisieren, intermittierendes Fieber, Angiokeratome und gastrointestinale Probleme, die nur schlecht auf eine Symptom-orientierte Behandlung ansprechen. Karall empfiehlt, die Patienten nach Hitze- und Kälteintoleranzen, sowie nach Hypo- bis Anhidrose zu fragen, um diagnostisch auf die richtige Spur zu kommen. „Bis zu zwei Drittel der Fabry-Patienten weisen typische Augenveränderungen im Sinne einer Cornea verticillata auf, die das Sehvermögen nicht beeinträchtigen“, merkt Karall an.

Ursache: alpha-Galaktosidase A-Mangel

Morbus Anderson-Fabry, kurz Morbus Fabry genannt, zählt zu den X-chromosomal vererbten lysosomalen Speichererkrankungen. Bei den Betroffenen wird das Enzym alpha-Galaktosidase A nur noch unzureichend oder gar nicht mehr produziert. „Genetik und Enzymbestimmungen sind zur frühen Diagnosestellung heute wichtiger als die Betrachtung einzelner Symptome“, gibt Fazekas zu bedenken. Die geschätzte Inzidenz wird weltweit mit 1:40.000 angegeben, liegt aber unter Berücksichtigung der oft falsch diagnostizierten atypischen Phänotypen und Mutationen mit limitierter Aktivität der alpha-Galaktosidase A wahrscheinlich viel höher. „In Österreich sind derzeit etwa 100 Fabry-Patienten bekannt“, so Sunder-Plassmann. Eine wesentliche Rolle spielt die Familienanamnese; ist diese allerdings negativ, schließt das einen Morbus Fabry nicht mit Sicherheit aus.

Karall betreut in Innsbruck derzeit sechs Familien mit insgesamt 15 Fabry- Patienten und bedauert, dass nur eine Person im Kindesalter diagnostiziert wurde: „Bevor man Kinder und im Speziellen junge Männer aufgrund ihrer Beschwerden in die Psychosomatik abschiebt, kann es sinnvoll sein, an Morbus Fabry zu denken.“ Die Schmerzsymptomatik, an der circa 90 Prozent der hemizygoten Knaben und ungefähr zehn Prozent der heterozygoten Mädchen leiden, vergeht mit zunehmendem Alter. Fehldiagnosen wie histrionische Störung, Somatisierungsstörung oder auch Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis kommen immer wieder vor. „Den rein asymptomatischen Typ gibt es nicht. Auch Träger können die gleichen Symptome entwickeln, diese treten allerdings eine Dekade später auf“, betont Karall. Zur endgültigen Diagnostik ist bei männlichen Betroffenen die Bestimmung der alpha-Galaktosidase A im Blut notwendig, bei weiblichen Patienten ist die Aussagekraft der Enzymkonzentration begrenzt, weshalb nur eine genetische Analyse die definitive Antwort bringt. Karall spricht aber auch die theoretische Möglichkeit einer Testung mittels Trockenblutkarte im Rahmen des Neugeborenen-Screenings an.

Therapeutisch steht den Fabry-Patienten bei gesicherter Diagnose und international festgelegten Indikationskriterien seit 2001 eine Enzymersatz-Therapie zur Verfügung. Die Infusion muss lebenslang alle zwei Wochen verabreicht und durch additive Therapien – den Symptomen entsprechend – ergänzt werden. Je früher die Enzymersatztherapie eingeleitet wird, umso eher lassen sich renale, kardiale und zerebrovaskuläre Ereignisse reduzieren oder sogar verhindern. Studien weisen darauf hin, dass der Erfolg der Enzymersatztherapie wesentlich von der weitgehend erhaltenen Nierenfunktion abhängt, was wiederum die Dringlichkeit der raschen Diagnosestellung unterstreicht. Routineuntersuchungen und ein sorgfältiges Management der Patienten mit Morbus Fabry sollten entsprechend der individuellen Symptome erfolgen. Beispielsweise ist die Gabe von Amiodaron bei Morbus Fabry kontraindiziert, weil es zur lysosomalen Phospholipidose führen kann. „Zu den alljährlichen Untersuchungen gehört ein Check von Herz, Niere und Hirn. Andere oder häufigere Untersuchungen sind vom individuellen Krankheitsverlauf abhängig“, betont Sunder-Plassmann.

Fallbeispiel

Ein 51-jähriger Mann im Zustand nach Nierentransplantation vor rund zehn Jahren und bekanntem Vorhofflimmern mit laufender Antikoagulation alarmierte wegen vernichtendem Thoraxschmerz und Atemnot den Notarzt und wurde mit dem Notarzt in ein Akutspital gebracht. Bei unauffälligem EKG ohne klare Ischämiezeichen wurde vor der Koronarangiographie noch eine Echokardiographie durchgeführt. Diese zeigte neben einer guten linksventrikulären Funktion ohne klare Wandbewegungsstörungen eine massive nicht obstruktive Hypertrophie und Vorhofvergrößerung bei leicht bis mittelgradiger Mitralklappeninsuffizienz. Angiographisch konnte eine relevante Koronarstenose ausgeschlossen werden.

Anamnestisch erwähnenswert ist, dass sich die Nierenfunktionseinschränkung vor rund elf Jahren ganz plötzlich verschlechterte. Nach einem kurzen Dialyse-Intervall erfolgte eine Nierentransplantation. Danach ging es dem Patienten über einen Zeitraum von acht Jahren gut. 2014 kam es plötzlich zu einem Leistungsknick mit rezidivierenden Palpitationen. Ein teils tachykardes Vorhofflimmern wurde diagnostiziert und über einen Zeitraum von rund sechs Monaten zehn Kardioversionen vorgenommen. Die Linksventrikelfunktion wurde in wiederholten Echokardiographien als zunehmend reduziert beschrieben.

Nach weiteren drei Monaten entschloss man sich nach Dokumentation eines late-Enhancements in der kardialen MRT zu einer Biopsie, die in der molekularbiologischen Analyse die Diagnose eines Morbus Fabry ergab. Seit rund sechs Monaten wird im 14-tägigen Intervall über den Hausarzt eine Enzym-Ersatz-Therapie verabreicht. Darunter hat sich der Zustand des Betroffenen gebessert. Die Leistungseinschränkung ist beinahe völlig verschwunden und die Lebensqualität wird als gut beschrieben. Die Echokardiographie zeigt eine deutliche Regredienz der Septumdicke und eine Besserung der Pumpleistung.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2016