Krebsrisiko durch Fleisch: Neuerlicher Hinweis

25.01.2016 | Medizin

Ein erheblicher Risikofaktor für die Entstehung von Darmkrebs ist ein typisch westlicher Lebensstil. Daher war die Einstufung der WHO von rotem und prozessiertem Fleisch als (potentiell) krebserregend für Experten nur wenig überraschend – und sollte vielmehr als erneuter Hinweis darauf gesehen werden. Von Verena Isak

Mit etwa 4.000 Neuerkrankungen pro Jahr stellt das Kolonkarzinom den dritthäufigsten Tumor in Österreich dar; rund jeder fünfte aller Tumore ist im Darm lokalisiert. Dass die Inzidenz stetig im Steigen ist, ist auf den Lebensstil zurückzuführen: fleischreiche, ballaststoffarme Ernährung und geringe körperliche Aktivität sind Risikofaktoren für die Entstehung von Kolonkarzinomen.

Deshalb hat die WHO im Oktober 2015 verarbeitetes Fleisch – beispielsweise Wurstwaren und Schinken – als krebserregend (Gruppe 1) und rotes Fleisch – beispielsweise von Schwein, Rind, Lamm oder Wild – als potentiell kanzerogen (Gruppe 2A) eingestuft. „Diese Einstufung an sich ist für Experten nichts Neues. Vielmehr geht es darum, die Leute noch einmal darauf aufmerksam zu machen“, sagt Univ. Prof. Kurt Widhalm, Präsident des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin. Prozessiertes Fleisch ist somit in derselben Gruppe wie auch Asbest oder Tabakrauch. Dennoch: „Rauchen ist noch gefährlicher, das Krebsrisiko ist viel höher“, so Widhalm weiter.

„Dass ein Lebensmittel als krebserregend bezeichnet wird, hat es noch nie gegeben. Daher hat das Statement der WHO Wellen geschlagen, vor allem weil die WHO als wichtige Organisation betrachtet wird“, meint Univ. Prof. Christoph Gasche von der Medizinischen Universität Wien. „Für die Bevölkerung war das harter Tobak.“

Risikoerhöung nachgewiesen

Die von der International Agency for Research on Cancer (IARC) durchgeführte Metaanalyse ergab bei einem Konsum von 100 Gramm rotem Fleisch pro Tag eine Erhöhung des relativen Risikos, an Darmkrebs zu erkranken, um 17 Prozent. Bei prozessiertem Fleisch steigt das relative Risiko für das Auftreten eines Kolonkarzinoms um 18 Prozent pro 50 Gramm pro Tag. Insgesamt wurden mehr als 800 Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von rotem und prozessiertem Fleisch und Karzinomen untersuchten, evaluiert.

Warum rotes beziehungsweise prozessiertes Fleisch kanzerogen ist, hat verschiedene Gründe. Ein zentraler Stoff im Myoglobin von rotem Fleisch ist das Häm-Eisen Fe²+, das auch dessen rote Farbe bedingt. „Durch die Reaktion von zweiwertigem Eisen mit Wasserstoffperoxid entstehen toxische Sauerstoffradikale, die DNA-Mutationen auslösen können“, erklärt Gasche. Bei dreiwertigem Eisen, das im Gemüse vorkommt, ist dieses Risiko viel geringer.

Gasche sieht auch die Gabe von Eisentabletten bei Eisenmangel als problematisch: „Durch die Toxizität kommt es oft zu Verdauuungsproblemen als Nebenwirkung.“ Weswegen er ein Verfechter der iv.-Eisentherapie ist. „Während zweiwertiges Eisen im Gastrointestinaltrakt krebserregend ist und das Wachstum von Tumorzellen fördert, ist die intravenöse Eisengabe unproblematisch“, sagt er.

Die Art der Zubereitung des Fleisches spielt ebenfalls eine große Rolle. Bei hohen Temperaturen – ab etwa 130° C – kommt es zur Bildung von trans-Fettsäureestern. Neben einem durch Arteriosklerose bedingten erhöhten Risiko für einen Myokardinfarkt oder Insult haben Transfette auch einen negativen Einfluss auf die Darmschleimhaut, da es zu oxidativem Stress in den Zellen kommt. „Kochen oder braten ist besser als grillen oder frittieren“, empfiehlt Gasche.

Ein weiterer Faktor ist die veränderte Darmflora. „Bei der Umstellung von einer vegetarischen auf Fleischkost kommt es innerhalb von 24 Stunden zu deutlichen Veränderungen der Darmflora“, erklärt Gasche. Ob eine Fleisch-intensive Diät auch das Wachstum von Fusobakterien fördert, welche mit Kolonkarzinomen assoziiert sind, ist derzeit noch nicht klar: „Fusobakterien wurden vermehrt bei Patienten mit Darmkrebs gefunden, vor allem in den Tumorzellen und umliegendem Gewebe. Momentan haben Fusobakterien aber noch nicht den Status als Krebserreger, den Helicobacter pylori bei Magenkrebs hat“, erläutert der Experte.

Auf Fleisch komplett zu verzichten, ist dennoch nicht notwendig, denn es komme auf die Menge an, betont Widhalm. „Maximal zwei bis drei Mal Fleisch pro Woche genügt.“ Für den Durchschnitts-Österreicher ist daher die Reduktion des Fleischkonsums zu empfehlen. „In der österreichischen Küche wird Gemüse nur als Beilage betrachtet – das Hauptgericht ist immer Fleisch“, sagt Gasche.

Weniger Fleisch und dafür mehr Obst und Gemüse zu essen allein genügt allerdings nicht. Bewegung ist ein weiterer wichtiger Faktor: „Nur ums Haus zu gehen reicht nicht. Man sollte den Kreislauf anregen und ins Schwitzen kommen“, erklärt Widhalm. Er empfiehlt zumindest zwei Stunden pro Woche Sport. „Physikalische Aktivität fehlt als Basis der Ernährungspyramide des Gesundheitsministeriums“, bemängelt er.

Handlungsbedarf ist von Seiten der Politik gegeben, wie Gasche an einem Beispiel erläutert: „Ein Kilogramm Faschiertes kostet im Angebot 3,79 Euro. Zwei Gurken mit insgesamt rund 250g 0,68 Euro. Gemessen an der Nahrhaftigkeit sind Gurken also rund 20-fach so teuer wie Fleisch.“ Sein Fazit: „Fleisch ist viel zu billig im Vergleich zu den Produktionskosten.“ Gasche fordert in diesem Zusammenhang eine Änderung der Preisgestaltung, dass „Fleisch so viel kostet wie in der Produktion. Der Lobbyismus geht aber in die andere Richtung.“

Was Widhalm besonders kritisiert: „Es hat keine Stellungnahme des Gesundheitsministeriums gegeben.“ Und: „In der öffentlichen Diskussion sind Wissenschafter nicht zu Wort gekommen.“ Erstaunt sei er auch gewesen über die öffentliche Reaktion. „Denn die wesentliche Botschaft ist, dass die Menschheit mit ihrem eigenen Verhalten Gesundheit beziehungsweise Krankheit beeinflussen kann“, so Widhalm resümierend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2016