HIV: Ziel: frühere Diagnose

25.06.2016 | Medizin

In Österreich gibt es zwar eine Meldepflicht für AIDS, allerdings nicht für HIV. Dank antiretroviraler Therapie ist die AIDS-Todesrate in den vergangenen 20 Jahren um 90 Prozent gesunken. Und obwohl in Österreich die HIV-Testrate hoch ist, liegt der Anteil der Spätdiagnosen konstant bei rund 40 Prozent.
Von Verena Isak

Für die HIV-Inzidenz gibt es genauso wie auch für die Prävalenz keine verlässlichen Zahlen: „Österreich hat als einziges europäisches Land keine Meldepflicht für HIV, sondern nur für AIDS“, stellt Univ. Prof. Robert Zangerle von der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie der Medizinischen Universität Innsbruck fest. „Schätzungsweise werden rund 350 bis 400 Diagnosen pro Jahr gestellt.“ Zwar werden die Neudiagnosen vom Institut für Virologie veröffentlicht, allerdings spiegelt diese Zahl nicht die tatsächliche Anzahl an Neuerkrankungen wider: „Hier sind auch anonyme Tests enthalten. Teilweise werden Patienten so doppelt gezählt“, erklärt Priv. Doz. Alexander Zoufaly vom Sozialmedizinischen Zentrum Süd in Wien. „Eine Neu-Diagnose ist nicht gleich eine Neuansteckung. Sie kann bereits ein paar Jahre zurückliegen.“

Das European Centre for Disease Control (ECDC) hat ein neues HIV-Modelling Tool zur Verfügung gestellt, mit dem in den letzten Wochen in Innsbruck gerechnet wurde: „Nach den HIV-Modellen der ECDC ist die Inzidenz in Österreich leicht rückläufig“, berichtet Zangerle.

Als „Ersatz“ gibt es die HIV-Kohortenstudie, in der die Daten von knapp 9.000 Patienten in den letzten 30 Jahren gesammelt und ausgewertet wurden. Derzeit sind rund 4.600 HIV-Patienten in einem der sieben HIV-Zentren in Österreich in Behandlung, 2.200 sind verstorben und 1.600 aus der Kohortenstudie ausgeschieden (bei einem größeren Teil handelt es sich um Rückkehrer in Herkunftsländer; die übrigen werden bei niedergelassenen Ärzten betreut). Die Dunkelziffer derjenigen, die zwar HIV positiv sind, aber noch nicht diagnostiziert wurden, wird auf bis zu 20 Prozent geschätzt. Demzufolge leben in Österreich rund 8.500 HIV-Infizierte, also rund 0,1 Prozent der Bevölkerung. „Das Verhältnis Männer zu Frauen bei den Neudiagnosen liegt bei 4:1“, sagt Zoufaly.

Therapie-Auswahl

Ist die Diagnose „HIV“ bestätigt, gilt es, rasch mit der antiretroviralen Therapie zu beginnen. Zur Auswahl stehen NRTIs (Nukleosidanaloga), NNRTIs (Nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren) – beide verhindern die Transkription des RNA-Virus in DNA und somit die Virusreplikation – sowie Protease-Inhibitoren (verhindern das Zerschneiden von Vorläuferproteinen in für das Virus wichtige Proteine) und Integrase-Inhibitoren (verhindern die Integration von viraler DNA in das Genom der Zelle). Um die Entstehung von Resistenzen zu verhindern, wird eine Kombination von drei Substanzen verabreicht. „Die Auswahl an Medikamenten ist sehr groß. Es gibt rund 200 verschiedene Therapieregimes“, erklärt Zangerle. Demnach werden die drei häufigsten zu jeweils zwölf Prozent angewendet, drei Viertel der Patienten erhalten eines der zehn häufigsten Therapieregimes. Faktoren, die bei der Auswahl der Medikamente eine Rolle spielen, sind die Viruslast, die Nieren- und Leberfunktion beziehungsweise Co-Morbiditäten sowie das Resistenzprofil.

Durch bessere Therapiemöglichkeiten sind Resistenzen in den letzten 15 Jahren seltener und weniger bedeutsam geworden. „Entstehen Resistenzen, ist meistens die Therapie insuffizient, wird also nicht regelmäßig eingenommen“, sagt Zoufaly. Eine andere Möglichkeit für die Verbreitung von Resistenzen ist die Ansteckung von jemandem, der die Medikamente nur sporadisch einnimmt.

Die bessere Compliance heutzutage liegt am guten Nebenwirkungsprofil der Substanzen. Abgesehen von vereinzelt auftretenden ZNS-Symptomen wie Schwindel und Schlafstörungen oder aber auch gastrointestinalen Beschwerden treten kaum unerwünschte Wirkungen auf. Darüber hinaus müssen die Medikamente meist nur noch einmal täglich eingenommen werden. Manche Kombination von drei Substanzen ist sogar in einer Tablette erhältlich, was eine wesentliche Vereinfachung im Vergleich zu früheren Therapien darstellt. Zangerle dazu: „Therapien waren früher kompliziert. Die Tabletten mussten oft drei Mal täglich eingenommen werden, manche davon nüchtern, andere wiederum nicht“.

Um auch eine vertikale Ansteckung – von der Schwangeren auf das Kind – zu vermeiden, ist die Weiterführung der Therapie auch während der Schwangerschaft wichtig. „Auch wenn die Medikamente nicht ideal für eine Schwangerschaft sind, sollten sie während der Schwangerschaft im Regelfall nicht geändert werden. Es ist keine Substanz wirklich verboten, nur die sichere Kategorisierung fehlt“, erklärt Zangerle. Wird beim HIV-Screening, das seit 2010 Teil der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung ist, eine Infektion diagnostiziert, ist die Auswahl allerdings enger: „Vor allem auf Proteasehemmer basierte Regimes werden während einer Schwangerschaft häufig benutzt“, führt Zoufaly aus.

Erfolg in Zahlen

Der Erfolg der neueren antiretroviralen Therapien lässt sich auch in Zahlen ausdrücken; als Todesursache spielt AIDS nur noch eine untergeordnete Rolle. Zangerle zu den Zahlen: „Die Todesrate ist seit den 1990er Jahren um 90 Prozent zurückgegangen“. Rund ein Drittel stirbt an AIDS; in den anderen Fällen hängt die Todesursache oft vom Lebensstil ab. „Viele der i.v.-Drogenkonsumenten sind mit Hepatitis B oder C koinfiziert“, nennt er ein Beispiel. In diesen Fällen steht oft eine Leberzirrhose beziehungsweise ein Karzinom im Vordergrund.

Generell sind maligne Erkrankungen bei Menschen, die HIV-positiv sind, eine häufigere Todesursache als in der Gesamtbevölkerung. Zum Großteil ist dies mit anderen viralen Co-Infektionen assoziiert, allen voran das Anal- und Cervixkarzinom, das durch eine Co-Infektion mit dem Humanen Papilloma-Virus ausgelöst wird, und Non-Hodgkin-Lymphome, die durch eine Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus entstehen. Auch Lungenkarzinome kommen häufig vor, denn „der Anteil an Rauchern unter HIV-Infizierten ist höher als in der Gesamtbevölkerung“, weiß Zangerle.

Ebenfalls eine große Rolle spielen kardiovaskuläre Erkrankungen – so ist beispielsweise das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, um 50 Prozent erhöht. „Die Immunreaktion auf die Virusinfektion bedeutet eine konstante Entzündung im Körper. Dadurch wir die Entstehung und Progression von Arteriosklerose begünstigt“, erklärt Zoufaly.

Obwohl die HIV-Testrate in Österreich mit jährlich mehr als 75 Tests pro 1.000 Einwohner im europäischen Vergleich sehr hoch ist, liegt der Anteil der Spätdiagnosen (wenn die CD4+-Zahl unter 350 pro Mikroliter bei Diagnosestellung liegt) konstant bei rund 40 Prozent. „Das Ziel ist eine frühere Diagnose“, erklärt Zoufaly, denn: „Wird mit der Therapie früh begonnen, ist die Lebenserwartung annähernd normal und die Viruslast liegt dauerhaft unter der Nachweisgrenze. Es erfolgt also keine Ansteckung.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2016