Herzrhythmusstörungen: Diagnose entscheidend

15.12.2016 | Medizin

Die Bandbreite an Rhythmusstörungen von harmlosen Extrasystolen bis hin zum plötzlichen Herztod ist groß – ebenso vielfältig sind deren Ursachen. Das Hauptrisiko beim intermittierenden Vorhofflimmern etwa besteht darin, es nicht zu diagnostizieren. Von Marlene Weinzierl

Sehr oft treten Arrhythmien gar nicht in Stresssituationen oder bei Belastung, sondern im Vagotonus auf, der beispielsweise ein häufiger Auslöser von harmlosen Extrasystolen ist“, erklärt Univ. Doz. Franz Xaver Roithinger von der II. Internen Abteilung am Landesklinikum Wiener Neustadt. Zu Rhythmusstörungen kann es allerdings auch aufgrund anderer Erkrankungen wie etwa einer Hyperthyreose kommen; in seltenen Fällen ist eine virale Infektion die Ursache.

Am häufigsten berichten Patienten über Extrasystolen, die bei bis zu 30 Prozent der Bevölkerung auftreten, jedoch eine „gutartige Variante der Herzrhythmusstörung darstellen“, wie Roithinger betont. Die oft als „Herzstolpern“ bezeichneten Unregelmäßigkeiten kämen „praktisch bei jedem Menschen vor, werden aber nicht immer bemerkt und daher in vielen Fällen gar nicht gemeldet“. Sie treten unter Umständen auch im Rahmen eines Infektes auf und vergehen wieder von selbst. Ausgelöst werden sie zumeist im linken Atrium und im rechtsventrikulären Ausflusstrakt, wobei die meisten Menschen mit Extrasystolen „herzgesund“ sind, weiß Roithinger aus der Praxis. Liegt hingegen eine eingeschränkte Pumpfunktion vor, die durch einen Infarkt oder eine Myokarditis ausgelöst wurde, könnten Extrasystolen die Folge einer strukturellen Herzerkrankung sein und müssen therapiert werden.

Erhöhtes Insultrisiko durch SVT?

Nur etwa ein Prozent der Österreicher leidet unter supraventrikulären Tachykardien (SVT), die allerdings unter Verdacht stehen, mit einem erhöhten Insult-Risiko in Zusammenhang zu stehen. „Derzeit fehlen jedoch Studien, die diese Hypothese definitiv bestätigen“, erläutert Univ. Prof. Stefan Kiechl von der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Zeigt ein EKG sägezahnartige Wellen in den inferioren Abteilungen II, III und aVF, die im Gegensatz zu den Flimmerwellen beim Vorhofflimmern eine gewisse Regularität aufweisen, ist dies typisch für ein Vorhofflattern des Herzens. Roithinger: „Hierbei muss man beachten, dass Episoden von Patienten mit Vorhofflimmern mittels Antikoagulantien auch in der hausärztlichen Praxis wieder in den Sinusrhythmus überführt werden können, während das Vorhofflattern hingegen meist nicht von selbst wieder aufhört und nur mittels einer Injektion im Krankenhaus, durch einen Elektroschock oder mithilfe einer Katheterablation therapiert werden kann.“ Antiarrhythmika wie Amiodaron könnten lediglich dazu beitragen, eine minimale Pulskontrolle zu erlangen.

Die am zweithäufigsten vorkommende Herzrhythmusstörung stellt das Vorhofflimmern (VHF) dar. Etwa fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen; bei den über 80-Jährigen sind es bis zu 20 Prozent. „Viele Patienten, die Vorhofflimmern verspüren, sind dadurch sehr beeinträchtigt und suchen vermehrt den Arzt auf“, berichtet Roithinger. Der Zusammenhang zwischen Vorhofflimmern und einem erhöhten Insultrisiko ist im Gegensatz zur supraventrikulären Tachykardie eindeutig belegt, weshalb eine aufmerksame Diagnostik auch dann wichtig sei, wenn der Patient keine Beschwerden hat. Roithinger empfiehlt, bei Personen über 65 Jahren „aktiv“ nach Vorhofflimmern zu fahnden. Hilfreich seien dabei die Fragen nach einem unregelmäßigen Puls oder ob das Messgerät des Patienten beim Blutdruckmessen zu Hause manchmal „verrückt spiele“. Beantwortet der Patient diese Fragen mit „Ja“, deute dies auf ein erhöhtes Schlaganfallrisiko aufgrund eines (noch) nicht diagnostizierten Vorhofflimmerns hin. „Oft kann ein unregelmäßiger Pulsschlag bereits beim Pulsen festgestellt werden“, sagt Kiechl. Und weiter: „Mittlerweile stehen auch Handyapplikationen zur Verfügung, mithilfe derer der Patient auch zu Hause die Möglichkeit hat, ein Vorhofflimmern zu erkennen.“ Ausschlaggebend für die Entscheidung, ob und welche Therapie vorgenommen wird, ist auch, ob es sich um paroxysmales, persistierendes oder um permanentes Vorhofflimmern handelt.

Intermittierendes Vorhofflimmern: oft nicht diagnostiziert

Das 24-Stunden-EKG bezeichnet Kiechl als praktikabel; es ist jedoch oft zu kurz bei Patienten mit paroxysmalen Rhythmusstörungen, bei denen oft nur indirekte Hinweise der Störung vorliegen. Das Hauptrisiko beim intermittierenden Vorhofflimmern bestehe zunächst darin, es nicht zu diagnostizieren. So könne häufig bei Schlaganfall-Patienten während eines 14-tägigen stationären Aufenthaltes trotz aller medizinischen Untersuchungen die Ursache des Insults nicht festgestellt werden, berichtet Kiechl aus der Praxis. Nur weil das EKG während des gesamten Zeitraumes keine Rückschlüsse zulässt, heißt das aber noch nicht, dass kein Vorhofflimmern vorliegt. „Speziell bei diesen Patienten muss man daran denken, nach der Entlassung erneut ein EKG-Monitoring vorzunehmen“, so der Experte. Liefert ein 24-Stunden-EKG bei einer Verdachtsdiagnose keine eindeutigen Hinweise, kann es notwendig sein, Langzeitableitungen über sieben Tage oder länger durchzuführen, um diese Episoden zu finden. In der Praxis erweist sich dieser Ansatz allerdings oft als schwierig: „Es ist natürlich ein Kostenfaktor. Den Ärzten mangelt es an Zeit, um sich für mehrere Stunden mit der Auswertung eines EKGs zu beschäftigen.“ Es bräuchte daher für den Patienten leicht anwendbare und gut verträgliche Instrumentarien, die idealerweise über eine automatische Auswertungssoftware verfügen, um eine effiziente Diagnostik zu ermöglichen. „Eine derartige Option steht zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht zur Verfügung“, bedauert Kiechl.

Eine Alternative zum konventionellen EKG bieten moderne rhythmologische Untersuchungsmethoden wie externe Event-Recorder, die dem Patienten für zwei bis drei Wochen zur Verfügung gestellt werden. Für Patienten, bei denen die Rhythmusstörung nur etwa einmal alle drei Monate auftritt, empfehlen die Experten implantierbare Loop-Recorder. Wurde Vorhofflimmern erst einmal diagnostiziert, sei die Behandlung selbst „keine große Herausforderung mehr“, stellt Kiechl klar. Risiko-Scores zur Berechnung des individuellen Schlaganfallrisikos wie zum Beispiel mittels CHA2DS2-VASC-Score seien gut etabliert und bereits weit verbreitet. Anhand der Berechnungen lässt sich auch feststellen, ob überhaupt eine Therapie notwendig ist. Handelte es sich etwa um eine junge Person mit Vorhofflimmern, die keine weiteren Risikofaktoren aufweist, sei das Insult-Risiko so klein, dass mit einer medikamentösen Therapie noch zugewartet werden könne. Jedoch weist der überwiegende Teil der Patienten mit mehr als 90 Prozent ein hohes Risiko auf. „Für diese Patientengruppe sind mit Antikoagulantien und Vitamin-K-Antagonisten seit vielen Jahren effektive Medikamente auf dem Markt“, betont Kiechl.

NOAKs: genau erklären

Unabhängig vom Alter des Patienten werden seit einigen Jahren verstärkt neue orale Antikoagulantien (NOAKs) eingesetzt. Sie sind in der Handhabung wesentlich einfacher als früher eingesetzte Therapien und auch sicherer, was das Risiko einer intrazerebralen Hämorrhagie betrifft, erläutert Kiechl. Der Experte weist darauf hin, dass man dem Patienten die Anwendung der Medikamente jedoch genau erklären muss: „Wichtig ist der Hinweis, dass die Medikamente nur helfen, wenn sie regelmäßig eingenommen werden. Der Patient muss wissen, dass bereits aufgrund einzelner fehlender Dosen kein oder nur ein stark reduzierter Therapieerfolg erzielt wird.“ Roithinger ergänzt: „Herzwirksame Medikamente können sowohl günstige als auch ungünstige Wirkung zeigen und auch selbst Herzrhythmusstörungen auslösen. Werden beispielsweise Betablocker eingesetzt, können Extrasystolen als Folge des zu langsamen Pulses auftreten.“ Da sie darüber hinaus nicht selten mit anderen Medikamenten des Patienten interagieren, sollte dieser einen Ausweis erhalten und in regelmäßigen Abständen – besonders bei Neuverschreibungen – seinen Hausarzt konsultieren. Unabhängig von der Medikation mit alten oder neuen Antikoagulantien ist die richtige Blutdruckeinstellung essentiell, um einer durch Antikoagulation begünstigten Hirnblutung vorzubeugen. Letztere trete vor allem dann auf, wenn neben der Medikation zusätzlich Blutdruckspitzen vorhanden sind“, warnt Kiechl.

Vorhofflimmern – die Formen

Paroxysmales (intermittierendes) Vorhofflimmern

Dauer: maximal sieben Tage
selbstlimitierend
Kurze Phasen des Vorhofflimmerns wechseln mit einer tagelangen Phase im regulären Sinusrhythmus ab. Das Atrium ist meist gesund, der Patient hat jedoch aufgrund des ständigen Wechsels zwischen Vorhofflimmern und regulärem Sinusrhythmus meist einen hohen Leidensdruck.

Persistierendes Vorhofflimmern
Dauer: mehr als sieben Tage
nicht selbstlimitierend
Eine Konversion muss mittels medikamentöser Therapie induziert werden. Eine Alternative ist elektrische Kardioversion.

Permanentes (früher: chronisches) Vorhofflimmern
Dauer: mehr als sechs Monate
Ein regelmäßiger Sinusrhythmus kann weder pharmakologisch noch elektrisch wiederhergestellt werden oder Arzt und Patient sind übereingekommen, keinen weiteren Rhythmisierungsversuch zu unternehmen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2016