Herzerkrankungen und Depression: Identer Mechanismus als Ursache

10.02.2016 | Medizin

Überdurchschnittlich oft finden sich Menschen in der Bevölkerung, die sowohl an einer Herzerkrankung als auch an einer Depression leiden. Grund dafür sind die gleichen pathophysiologischen Mechanismen. Und: Eine Erkrankung erhöht das Risiko für die andere – und umgekehrt. Bei Patienten mit einer KHK wird daher eine Screening-Untersuchung auf Depression empfohlen. Von Verena Isak

Typischerweise wird ein Patient mit einem akuten Koronarsyndrom und einer Angina pectoris-Symptomatik eingeliefert. Nach der Implantation von zwei oder mehreren Stents wird der Betreffende dann nach zwei bis drei Tagen entlassen – so das übliche Procedere. „Für einen vorher Gesunden ist das ein einschneidendes Erlebnis“, sagt Ass. Prof. Harald Gabriel von der Universitätsklinik für Innere Medizin II der Medizinischen Universität Wien. Dieser Belastungssituation würden sich Patienten oft erst Tage danach und erst nach ihrer Entlassung zu Hause bewusst: „Sie sind dann meist sehr erschüttert, teilweise depressiv und stellen sich Fragen wie ‚Was ist passiert?‘ oder ‚Wieso gerade ich?‘“ Wichtig sei es dabei, im Zuge der kardialen Rehabilitation diese Gefühle anzusprechen, erklärt der Experte. Und weiter: „Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass Patienten erst Tage bis Wochen nach einem Infarkt in die Depressivität kommen.“ Doch nicht nur nach einem Akutgeschehen, sondern auch bei chronischen Herzerkrankungen kommen Depressionen häufig vor. Daher wird bei Patienten mit einer KHK eine Screening-Untersuchung auf Depression empfohlen.

Kardiovaskuläre Erkrankungen zählen mit einer Prävalenz von etwa 20 bis 30 Prozent zu den Volkskrankheiten – genauso wie Depressionen, an denen rund jede fünfte Frau und jeder zehnte Mann zumindest einmal in ihrem Leben erkranken. Dass diese beiden Krankheiten zusammen auftreten können, ist also schon rein statistisch gesehen wahrscheinlich – doch: „Es gibt eine überzufällige Häufung an Patienten, die sowohl unter einer Herzerkrankung als auch einer Depression leiden“, sagt Univ. Prof. Hans-Peter Kapfhammer von der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie der Medizinischen Universität Graz. Während von ansonst Gesunden etwa fünf bis sechs Prozent an einer depressiven Störung leiden, ist die Prävalenz der Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen wie etwa KHK, Angina pectoris oder Herzinsuffizienz mit 17 bis 27 Prozent signifikant höher. Kapfhammer: „Das Risiko ist somit drei- bis vierfach erhöht.“ Doch auch umgekehrt besteht dieser Zusammenhang: Eine Depression erhöht das Risiko für Herzerkrankungen um das Doppelte, erklärt er. Zum einen begünstigen ähnliche Risikofaktoren beide Erkrankungen, zum anderen finden sich dieselben Mechanismen im Körper. „Ein niedriger sozioökonomischer Status, niedriges Einkommen sowie wenig Gestaltungsmöglichkeiten im Beruf erhöhen das Risiko für das Auftreten von sowohl einer KHK als auch einer Depression“, stellt Gabriel fest.

Kapfhammer ergänzt: „Pathophysiologisch stecken hinter diesen Erkrankungen idente Systeme.“ So findet sich etwa eine verringerte Herzratenvariabilität bei einer Depression und auch bei einer KHK. „Durch diese Starrheit in der Regulation ist das Herz störanfälliger bei Belastung, wodurch es leichter zu Herzrhythmusstörungen und plötzlichem Herztod kommen kann“, erläutert er. Ein Grund dafür ist eine Dysregulation von Sympathikus und Parasympathikus. „Die Stellfunktion ist verändert, das autonome Nervensystem ist aktiv wie bei einer Fluchtreaktion“, erklärt Gabriel. Dadurch kann es leichter zu einer Ischämie des Herzmuskels kommen; auch der Gefäßtonus ist davon betroffen.

Auch Serotonin spielt eine Rolle. Zentral hat Serotonin Einfluss auf Schlaf, Sexualität, Appetit und Stimmung, peripher auf die Blutgerinnung. „Bei einer Dysfunktion kommt es zu Gerinnungsstörungen und zu einem erhöhten Risiko für Embolien und Thrombosen“, erklärt Kapfhammer. Des Weiteren ist durch die Fehlregulation der Cortisol-Achse unter anderem die Wundheilung verzögert, die Progression einer Atherosklerose verläuft schneller und eine proinflammatorische Reaktionslage wird gefördert. „Es kommt dadurch zu einem verfrühten Auftreten von Atherothrombosen“, sagt Gabriel.

Diese Entzündungsreaktion im Körper führt auch zum subjektiven Gefühl der Erschöpfung und Freudlosigkeit, weiß Kapfhammer. Neben Schmerz und Hoffnungslosigkeit sind diese Symptome typisch für eine depressive Verstimmung bei Herzerkrankungen. „Es ist mehr eine Depressivität als eine klassische Depression, also eine mildere Verlaufsform mit keinem erhöhten Risiko für Suizid“, erklärt Gabriel. Dennoch ist es wichtig, eine mögliche Depressivität adäquat zu behandeln, denn: „Eine unbehandelte Depression nach einem akuten Herzereignis erhöht die Mortalität um das Drei- bis Achtfache. Auch Re-Infarkte sind im weiteren Verlauf häufiger“, berichtet Kapfhammer.

Bei der Therapie gibt es sowohl psychotherapeutische als auch pharmakologische Ansätze. „In der Literatur finden sich Hinweise, dass eine Subgruppe von Verhaltenstherapie gut profitiert, während andere wiederum nicht darauf ansprechen“, erläutert Kapfhammer. Und weiter: „Eine gut laufende Psychotherapie ist aber keine Prognose für den Verlauf der Herzerkrankung.“ Trizyklische Antidepressiva sind aufgrund von kardialen Nebenwirkungen kontraindiziert; SSRIs hingegen gelten als relativ sicher und gut wirksam gegen Depressionen. „Es gibt Hinweise auf einen positiven Einfluss von SSRIs auf das Herz. Die Daten sind allerdings nicht ausreichend“, betont er.

Dennoch gäbe es laut Kapfhammer eine Subgruppe von Patienten mit Depressionen und Herzerkrankungen, die weder von SSRIs noch von einer Therapie profitieren. Diese zeichnen sich durch eine grundlegende vitale Erschöpftheit und Hoffnungslosigkeit aus; oft sei im Körper eine Entzündungsreaktion nachweisbar: „Diese Patienten haben einen ungünstigeren Verlauf. In Zukunft werden vielleicht antiinflammatorische Medikamente eingesetzt. Momentan wird eine Kombination aus Psychotherapie und Antidepressiva angewendet.“

Auch das Persönlichkeitsmuster spielt eine nicht unwesentliche Rolle. Während Personen mit einer Typ A-Persönlichkeit zwar aufgrund ihrer Eigenschaften Ärger und Feindseligkeit ein erhöhtes KHK-Risiko haben, finden sie sich aber besser nach einem Herzinfarkt zurecht, so Kapfhammer. Gabriel ergänzt: „Menschen mit einer Typ D-Persönlichkeit, die eine überwiegende Tendenz zu negativen Gefühlen haben und sozial inhibiert sind, scheinen eine eher schlechtere Prognose für KHK zu haben.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2016