Haar­aus­fall bei Frauen: Nicht nur ein kos­me­ti­sches Problem

25.09.2016 | Medizin

Bestimmte phy­si­sche und psy­chi­sche Ereig­nisse kön­nen – neben einer gene­ti­schen Prä­dis­po­si­tion – Aus­lö­ser für Haar­aus­fall sein. Sie sind aller­dings rever­si­bel. Vom hor­mo­nel­len Haar­aus­fall wäh­rend der Meno­pause sind bis zu 37 Pro­zent der Frauen betrof­fen. Sind die Labor­tests abge­schlos­sen, ist eine gezielte Sub­sti­tu­tion ange­zeigt. Von Mar­lene Weinzierl

Klagt eine Frau über Haar­aus­fall, han­delt es sich „in der über­wie­gen­den Zahl der Fälle“ um eine sub­jek­tive Emp­fin­dung, erklärt Univ. Prof. Kle­mens Rap­pers­ber­ger von der Abtei­lung für Der­ma­to­lo­gie und Vene­ro­lo­gie an der Kran­ken­an­stalt Rudolfs­tif­tung in Wien. Lie­gen jedoch in der Früh min­des­tens 30 bis 50 aus­ge­fal­lene Haare auf dem Kopf­pols­ter, könnte es sich tat­säch­lich um patho­lo­gi­schen Haar­aus­fall han­deln, so der Experte.

Ein Ver­lust von bis zu 80 Haa­ren über den Tag ver­teilt sei nor­mal, sofern man diese Zahl über­haupt all­ge­mein so fest­le­gen könne, sagt die Der­ma­to­lo­gin Univ. Prof. Jolanta Schmidt aus Wien. Bei schwe­rem Haar­aus­fall hin­ge­gen ver­liert man zumin­dest über acht Wochen hin­weg mehr als 100 Haare täg­lich. Es sei daher ganz wich­tig, zu eru­ie­ren, wie lange die Beschwer­den bereits vor­lie­gen, betont Schmidt. Für die genauere Abklä­rung kann ein Haar­zug­test vor­ge­nom­men wer­den (siehe Kasten). 

Mit Abstand „am häu­figs­ten“ (Rap­pers­ber­ger) ist das Telogen-Efflu­vium. Dabei tre­ten plötz­lich gleich viele Haare in die glei­che Wachs­tums­phase ein und fal­len daher zur sel­ben Zeit wie­der aus. Die Epi­sode ist hor­mo­nell gesteu­ert bezie­hungs­weise sai­so­nal bedingt – ähn­lich den Wild­tie­ren, die ihr Win­ter­fell im Früh­jahr absto­ßen. Neben der gene­ti­schen Prä­dis­po­si­tion könn­ten ebenso bestimmte phy­si­sche oder psy­chi­sche Ereig­nisse der Aus­lö­ser sein: Nach Gebur­ten, nach dem Stil­len, nach schwe­ren phy­si­schen Erkran­kun­gen – ins­be­son­dere Infek­ti­ons­krank­hei­ten – oder bei gro­ßen psy­chi­schen Belas­tun­gen und Stress kön­nen sol­che Efflu­via auf­tre­ten. Sie sind aller­dings rever­si­bel und mit einer Dauer von zum Bei­spiel sechs bis neun Mona­ten oft vor­über­ge­hend, sagen die Exper­ten. Ein medi­ka­men­tös indu­zier­tes, beschleu­nig­tes Telogen-Efflu­vium kann bei­spiels­weise durch Che­mo­the­ra­pien, Anti­de­pres­siva, Sta­tine oder Anti­ko­agu­lan­tien ver­ur­sacht werden.

Es sei auch beson­ders wich­tig, auf das Alter der Pati­en­tin zu ach­ten, so Schmidt. Bei jun­gen Frauen bis Mitte 40 und Frauen in der Meno­pause müss­ten hor­mo­nelle Ursa­chen in jedem Fall abge­klärt wer­den. Beim Poly­zys­ti­schen Ovar-Syn­drom (PCOS) etwa pro­du­zier­ten Zys­ten in den Ova­rien Andro­gene. Bei der Ana­mnese müsse daher ebenso nach einer Stö­rung des Mens­trua­ti­ons­zy­klus (ist er ver­kürzt oder ver­län­gert?) und nach zusätz­li­chen Beschwer­den wie Brust­span­nen oder dys­pho­ri­sche Stim­mung vor der Mens­trua­tion gefragt wer­den, sagt Schmidt. Manch­mal komme sogar ein fron­ta­ler Kopf­schmerz hinzu. Diese Fak­to­ren wei­sen auf eine Hyper­pro­lak­tin­ämie hin, die indi­rekt zur Hyper­an­dro­gen­ämie füh­ren könne. Die Folge: andro­ge­ne­ti­scher Haar­aus­fall, der auch bei Frauen keine Sel­ten­heit dar­stellt – auch wenn er etwas anders aus­sieht. Bei Frauen ent­wi­ckeln sich fron­tal wie parie­tal Alo­pe­zien; aller­dings meist nicht in der Voll­stän­dig­keit wie bei Män­nern. Im Gegen­satz zu Män­nern sei bei Frauen für gewöhn­lich eine Haar­li­nie an der Stirn­h­aar­grenze vor­han­den. Ein Hor­mon­sta­tus schafft im Ver­dachts­fall Klar­heit (siehe Kasten).

Wich­tig: Verhütungs-Check

Der andro­ge­ne­ti­sche Haar­aus­fall kann auch durch die Ein­nahme von Hor­mon­prä­pa­ra­ten aus­ge­löst wer­den: Man­che Ges­ta­gene, die in Ver­hü­tungs­mit­teln vor­kom­men, kön­nen – über viele Jahre hin­weg ein­ge­nom­men – andro­ge­ni­sie­rend wir­ken. Ein Check der Anti­ba­by­pille oder Hor­mon­spi­rale sei daher eben­falls notwendig. 

Eine wich­tige Ursa­che für einen hor­mo­nel­len Haar­aus­fall stellt die Schild­drü­sen­un­ter­funk­tion dar. Sie führt zu einem dif­fu­sen Haar­aus­fall, der sich an der Krone des Ober­kop­fes und den angren­zen­den Sei­ten­tei­len mani­fes­tiert. Die Betrof­fe­nen bemer­ken den ver­mehr­ten Haar­aus­fall oft nicht. Tat­säch­lich aber wach­sen die Haare nur wesent­lich ver­lang­samt nach bis zur kom­plet­ten Still­le­gung der Haarwurzeln.

Vege­ta­rier nei­gen oft zu teils schwe­ren dif­fu­sen Haar­aus­fäl­len am gan­zen Kopf, weil wich­tige Mine­ra­lien wie Eisen feh­len. Anore­xie oder strenge Diä­ten über Monate hin­weg seien ebenso schäd­lich. Neben dem Hor­mon­sta­tus ist in sol­chen Fäl­len laut Schmidt auch ein Blut­bild rat­sam (siehe Kas­ten), vor allem, wenn die Betrof­fe­nen auf keine The­ra­pie anspre­chen. Oft gebe es auch Pro­bleme bei stil­len­den Müt­tern, die sich Magen­by­pass-Ope­ra­tio­nen oder Gas­tric Ban­ding unter­zo­gen hät­ten, berich­tet Rap­pers­ber­ger. Wei­ters könne es bei Pati­en­tin­nen mit chro­nisch-ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen durch Vit­amin A- und C‑Defizienzen sowie durch Zink- und Selen­man­gel zu schwe­ren Krank­heits­bil­dern kom­men, so der Experte.

Alo­pe­zie in der Menopause

Die hor­mo­nelle Alo­pe­zie betrifft beson­ders viele Frauen in der Zeit um die Meno­pause. Inner­halb von etwa drei Jah­ren kommt es durch die hor­mo­nelle Umstel­lung zu einer Reduk­tion der Östro­gene, die für das Haar­wachs­tum wich­tig sind. Durch den rela­ti­ven Über­schuss der Andro­gene, die erst nach die­ser Peri­ode redu­ziert wer­den, ent­steht ein Ungleich­ge­wicht an den Haar­wur­zeln. Die Folge: ein schnel­le­rer Ablauf des Haar­zy­klus mit einer ver­kürz­ten Wachs­tums­phase und damit ver­mehr­ter Haar­aus­fall. Vom kli­ni­schen Bild han­delt es sich bei der hor­mo­nel­len Alo­pe­zie in die­ser Lebens­phase um etwas Ande­res als vor der Meno­pause: Dabei kommt es näm­lich zu einer Aus­lich­tung der Schlä­fen­par­tie mit sel­te­ner nach­wach­sen­den Haaren.

Ein Son­der­fall sind die sel­te­nen ver­nar­ben­den Alo­pe­zien, bei denen es zu immu­no­lo­gi­schen Reak­tio­nen in der Kopf­haut mit einer Zer­stö­rung der Haar­fol­li­kel kommt. Rap­pers­ber­ger führt fol­gende Bei­spiele dafür an: Lichen pla­n­o­pi­la­ris, chro­nisch dis­ko­ider Lupus ery­the­ma­to­sus und Mor­phea – auch zir­kumskripte Sklero­der­mie genannt. Dazu kom­men sehr unan­ge­nehme, auto­in­flamm­a­to­ri­sche Ent­zün­dun­gen der Haar­fol­li­kel wie die Fol­li­cu­li­tis et peri­f­ol­li­cu­li­tis suf­fo­di­ens et abs­ce­dens decal­vans sowie die Fol­li­cu­li­tis kel­oida­lis nuchae als Teil­sym­ptome der Akne-Tetrade. Alle diese Erkran­kun­gen seien „äußerst schwer zu behan­deln“, weiß Rap­pers­ber­ger; eine umfang­rei­che sys­te­mi­sche The­ra­pie durch den Spe­zia­lis­ten ist erforderlich.

The­ra­pie erfor­dert Geduld

Tre­ten nach Labor­tests Auf­fäl­lig­kei­ten auf, ist eine gezielte Sub­sti­tu­tion ange­zeigt. Andro­ge­ne­ti­scher Haar­aus­fall kann lokal mit Min­oxi­dil oder sys­te­misch mit Finas­terid behan­delt wer­den. Schmidt emp­fiehlt bei weib­li­cher hor­mo­nell beding­ter Alo­pe­zie eine Kom­bi­na­tion aus Min­oxi­dil und 17-alpha-Öst­ra­diol (siehe Kas­ten). Ist die The­ra­pie erfolg­reich, kann der Haar­aus­fall nach drei Mona­ten lang­sam zum Still­stand kom­men. Bis Haare wie­der wach­sen, dau­ert es jedoch übli­cher­weise acht Monate. „Je grö­ßer die psy­chi­sche Belas­tung der Frau durch den Haar­aus­fall ist, umso mehr Zuwen­dung ist erfor­der­lich und umso wich­ti­ger ist die Auf­klä­rung über die Dauer der Behand­lung“, betont die Exper­tin. Wesent­lich ist, dass die The­ra­pie nicht unter­bro­chen wird.

Mög­li­cher­weise wird es künf­tig auch neue the­ra­peu­ti­sche Mög­lich­kei­ten geben. So wur­den im Jahr 2015 im Rah­men einer US-ame­ri­ka­ni­schen Stu­die Mäu­sen mensch­li­che Haut und Haar­fol­li­kel ein­ge­setzt. Wur­den auf die Haut JAK-Inhi­bi­to­ren (Janus­ki­na­sen = zyto­plas­ma­ti­sche Tyro­sin­ki­na­sen) auf­ge­tra­gen, kam es zu schnel­lem und flä­chen­de­cken­dem Haar­wachs­tum. Bis dato sind diese Unter­su­chun­gen jedoch noch rein experimentell.

Dia­gnose

Haar­zug­test: Dabei wer­den Haare sanft an ver­schie­de­nen Stel­len der Kopf­haut – vor­wie­gend im vor­de­ren, obe­ren Schei­tel­be­reich und im Okzi­pi­tal­be­reich – gezupft, um die Halt­bar­keit zu prü­fen. Lösen sich meh­rere Haare an allen Stel­len des Kop­fes, han­delt es sich um einen dif­fu­sen Haar­aus­fall. Lockern sich jedoch nur die Haare aus dem vor­de­ren Schei­tel­be­reich, liegt eher ein andro­ge­ne­ti­scher Haar­aus­fall vor.

Haare zäh­len:
Die Betrof­fe­nen sol­len – über einen bestimm­ten Zeit­raum – selbst zäh­len, wie­viel Haare sie verlieren.

Hor­mon­sta­tus: Die Unter­su­chung inklu­diert die Bestim­mung der männ­li­chen Hor­mone, allen voran Tes­to­ste­ron und DHEA‑S, außer­dem auch TSH und Prolaktin.

Blut­bild: Bestim­mung von Eisen, Kal­zium, Magne­sium, Zink, Fol­säure und Vit­amin B12. Ein Groß­teil der Frauen lei­det außer­dem an einem Vit­amin D‑Mangel.

The­ra­peu­ti­sche Möglichkeiten

Min­oxi­dil: Äußer­li­che Anwen­dung als zwei- oder drei­pro­zen­tige Tinktur.

Vor­sicht bei fünf­pro­zen­ti­gem Min­oxi­dil: Der Erfolg ist laut Univ. Prof. Jolanta Schmidt zunächst zwar grö­ßer, kehrt sich jedoch ins Nega­tive, sobald das Pro­dukt wie­der abge­setzt wird.

17-alpha-Öst­ra­diol: Die­ses Östro­gen wirkt – sofern es nicht über­do­siert wird – nur äußer­lich. Es wird daher bei weib­li­chem hor­mo­nell beding­tem Haar­aus­fall zusätz­lich zu Min­oxi­dil emp­foh­len. Um Neben­wir­kun­gen durch eine Resorp­tion zu ver­mei­den, ist die genaue Instruk­tion der Pati­en­tin­nen hin­sicht­lich der auf­zu­tra­gen­den Menge nötig. Bei der Ver­wen­dung der dop­pel­ten Menge bei­spiels­weise kann es zu sys­te­mi­schen östro­ge­nen Neben­wir­kun­gen kom­men. Nach Behand­lung eines Mam­ma­kar­zi­noms ist auf den Östro­gen­zu­satz zu verzichten.

Anwen­dung: Ein­mal täg­lich circa 3 Mil­li­li­ter einer 0,03-prozentigen 17-alpha-Öst­ra­diol-Lösung in Kom­bi­na­tion mit Minoxidil.

Bei bereits schüt­te­ren Haa­ren soll die The­ra­pie bei­be­hal­ten wer­den, bis der Haar­wuchs wie­der voll gege­ben ist und etwa drei Monate dar­über hin­aus. Richt­li­nie: circa ein Jahr. Je nach Zustand wird dann schritt­weise redu­ziert. Die Pati­en­tin muss über die­sen Zeit­rah­men infor­miert wer­den, um Unge­duld und vor­zei­ti­ges Abset­zen zu vermeiden.

Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel: Hat die Pati­en­tin einen harm­lo­sen (sai­so­na­len) Haar­aus­fall, genü­gen unter Umstän­den Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel mit Haar­vit­ami­nen zur Sub­sti­tu­tion. Bes­sert sich der Haar­aus­fall nicht inner­halb von sechs Mona­ten, kön­nen Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel abge­setzt wer­den. In der Regel folgt eine drei­mo­na­tige Pause.

Alter­na­tive Therapien

Eisen­in­fu­sio­nen: Die intra­ve­nöse Gabe von Eisen ist laut Univ. Prof. Kle­mens Rap­pers­ber­ger nur bei schwe­ren Erkran­kun­gen indi­ziert. Eisen­sub­sti­tu­tion per os ist der Infu­sion „auch aus Sicht der Venen­ge­sund­heit“ (Schmidt) vorzuziehen. 

PRP(Platelet Rich Plasma)-Eigenblut-Therapie: Kör­per­ei­ge­nes Blut­plasma wird zur Anre­gung des Wachs­tums von Haar­wur­zeln in die Kopf­haut inji­ziert. Wis­sen­schaft­li­che Publi­ka­tio­nen zu die­sem Ansatz gibt es laut Rap­pers­ber­ger vor allem in der Sport­me­di­zin, wo diese Methode seit lan­gem zur rasche­ren Rege­ne­ra­tion bei Ver­let­zun­gen ein­ge­setzt wird. Evi­denz­ba­sierte Arbei­ten in Hin­blick auf den Ein­satz zur Sti­mu­lie­rung des Haar­wachs­tums sind den bei­den Exper­ten nicht bekannt. Außer­dem han­delt es sich um eine für den Betrof­fe­nen schmerz­hafte Methode, von der daher zum jet­zi­gen Zeit­punkt abzu­ra­ten sei.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 18 /​25.09.2016