Blutdruck: Niedriger ist besser

25.02.2016 | Medizin

Die überwiegende Mehrheit der Menschen würde von einem systolischen Blutdruck von deutlich unter 140 mmHg profitieren, wie nun mit der SPRINT-Studie (Systolic Blood Pressure Intervention Trial) in den USA gezeigt werden konnte. Die ursprünglich für sieben Jahre angelegte Studie wurde wegen der statistisch signifikanten Resultate vorzeitig abgebrochen.
Von Marlene Weinzierl

Erklärtes Ziel der Österreichischen Gesellschaft für Hypertensiologie (ÖGH) ist es, die Gefahren von überhöhtem Blutdruck bekannter zu machen, erklärte deren Past-Präsident Univ. Prof. Bruno Watschinger von der Universitätsklinik für Innere Medizin III am AKH Wien vor kurzem bei einer Pressekonferenz in Wien. Schätzungen der WHO zufolge leidet weltweit jeder Dritte über 25-Jährige an Hypertonie; in Österreich dürften rund 38 Prozent der Bevölkerung betroffen sein – mit beträchtlichen Folgen: laut Statistik Austria starben im Jahr 2014 insgesamt 33.137 Personen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems rangieren in der Todesursachenstatistik für das Jahr 2014 mit 29,1 Prozent (Männer) und 23,6 Prozent (Frauen) noch vor bösartigen Neubildungen.

Was genau ist nun der optimale Blutdruck? Priv. Doz. Thomas Weber, Kardiologe am Klinikum Wels-Grieskirchen und derzeitiger Präsident der ÖGH, verweist auf evidenzbasierte Studien, die einen Wert von unter 120/80 mmHg für gesunde Erwachsene propagieren. Allgemein liegt die derzeitige Empfehlung der österreichischen wie auch internationalen Gesellschaften hinsichtlich des Blutdruck-Zielwertes jedoch nach wie vor bei unter 140/90 mmHg (mit Ausnahme von besonderen Patientengruppen wie etwa chronisch nierenkranken Personen, bei denen Werte unter 130/80 mmHg empfohlen werden). Der klinische Beweis, dass das Gros der Menschen von einem Blutdruck, der deutlich unter dem systolischen Wert von 140 mmHg liegt, auch profitieren würde, hatte bis Ende letzten Jahres gefehlt und wurde nun mit der SPRINT-Studie („Systolic Blood Pressure Intervention Trial“) in den USA erbracht.

Die von den National Institutes of Health (NIH) gesponserte SPRINT-Studie – Weber bezeichnet sie quasi als „Meilenstein“ – wurde im November 2015 bei der Jahrestagung der American Heart Association vorgestellt sowie im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Die Ergebnisse lassen (nicht nur) in Fachkreisen aufhorchen.

An der Studie, die im Herbst 2009 startete, haben 9.361 Personen mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko teilgenommen. Dabei handelte es sich um Erwachsene beiderlei Geschlechts mit Bluthochdruck (Systole zwischen 130 und 180 mmHg) und einem Mindestalter von 50 Jahren. Nicht inkludiert in der SPRINT-Studie waren hingegen Menschen, die an Diabetes mellitus leiden, mit einem Schlaganfall in der Anamnese, mit polyzystischer Nierenerkrankung und Personen, die bereits eine große Zahl an Medikamenten zur Hypertonie-Behandlung einnehmen. Ziel der SPRINT-Studie war es, den potentiellen Nutzen einer Senkung des Blutdruckzielwertes auf etwa 120 mmHg für Hypertonie-Patienten gemäß der Studien-Zielgruppe zu untersuchen.

Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen eingeteilt: Die Standardgruppe erhielt durchschnittlich 1,8 verschiedene Blutdruckmedikamente, um einen systolischen Blutdruck unter 140 mmHg zu erreichen. Die Probanden der zweiten – intensivierten – Behandlungsgruppe sollten als Ziel einen Wert unter 120 mmHg erreichen; sie erhielten im Durchschnitt 2,8 Medikamente. Der tatsächlich erreichte mittlere systolische Blutdruck betrug in der Standardgruppe schließlich 136 mmHg und in der intensivierten Gruppe 121 mmHg.

Die ursprünglich für sieben Jahre angelegte Studie wurde wegen der statistisch signifikanten Resultate bereits nach 3,26 Jahren abgebrochen. So zeigte sich, dass in der intensivierten Gruppe mit niedrigerem Blutdruckzielwert primäre Endpunkte wie Herzinfarkt, Herzschwäche, Schlaganfall oder die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen um relative 25 Prozent seltener aufgetreten waren und die Gesamtsterblichkeit um relative 27 Prozent niedriger war als in der Standardgruppe. Insgesamt mussten 61 Patienten behandelt werden, um einen primären Endpunkt zu verhindern; 90 Patienten mussten behandelt werden, um einen Todesfall zu verhindern.

Vertretbare Nebenwirkungen

In Anbetracht der Tatsache, dass viele Patienten vom niedrigeren Blutdruckziel profitiert haben und durch die intensivierte Behandlung sogar Todesfälle verhindert werden konnten, hält Weber die Nebenwirkungen wie niedrigeren Blutdruck oder Synkopen, die in der intensivierten Gruppe verstärkt aufgetreten sind, für vertretbar, zumal es zu keinen Verletzungen infolge dieser Nebenwirkungen gekommen ist. Das Auftreten etwaiger negativer Folgen wie Verschlechterung der Nierenfunktion muss im Rahmen weiterführender Studien über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, so wie dies bereits bei laufenden Studien im Hinblick auf Patienten mit Nierenerkrankungen oder Demenz geschieht.

Die Österreichische Gesellschaft für Hypertensiologie empfiehlt daher, künftig einen Blutdruckzielwert von unter 130 mmHg anzupeilen. Speziell bei älteren oder Hochrisikopatienten entsprechend dem Kollektiv der SPRINT-Studie gilt die Empfehlung von unter 130 mmHg beziehungsweise 120 mmHg, sofern dieses Blutdruckniveau vertragen wird. Davon könnten laut Weber vermutlich etwa 25 Prozent der österreichischen Hypertonie-Patienten profitieren.

Nicht zuletzt ist es den Experten ein Anliegen, auf die große Bedeutung einer korrekt durchgeführten Blutdruckmessung hinzuweisen. Die Teilnehmer an der SPRINT-Studie wurden in einen ruhigen Raum geführt, wo sie fünf Minuten in Ruhe verbrachten, bevor mit einem speziellen Blutdruck-Automaten dreimal hintereinander der Blutdruck gemessen wurde, aus dem ein Mittelwert errechnet wurde.

Technologische Neuheit

Die zukunftsweisende Technologie der erweiterten Blutdruckmessgeräte wurde am AIT (Austrian Institute of Technology) u.a. von Siegfried Wassertheurer entwickelt; sie war beziehungsweise ist in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Hypertensiologie bereits in mehreren klinischen Studien – eben auch bei der SPRINT-Studie – im Einsatz. Dabei handelt es sich um eine nicht-invasive Methode, bei der neben der klassischen Blutdruckmessung auch der Druck am Herzen mittels Pulswellenanalyse-Algorithmen ermittelt wird und so auf Krankheitsparameter wie den peripheren Gefäßwiderstand oder die Elastizität der Arterienwände Rückschlüsse gezogen werden können.

Übrigens: Die American Medical Association sieht Potential in der Anwendung dieses Verfahrens und bietet in den USA seit Beginn dieses Jahres eine Abrechnungsmöglichkeit der Kategorie I für die AIT-ARCSolver-Technologie an.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2016