Franz Rieger: Als HNO-Arzt in Vanuatu arbeiten

25.10.2016 | Horizonte

Ein wenig Abenteuer, Spurensuche eines HNO-Kollegen, der vor mehr als 20 Jahren bereits dort gearbeitet hat und eine sinnvolle Tätigkeit im Rahmen der Entwicklungshilfe – das waren meine Motive für einen mehrwöchigen Aufenthalt in Vanuatu mit durchaus ambivalenten Eindrücken.
Von Franz Rieger*

Der Träger des Wirtschafts-Nobelpreises 2015, Angus Deaton, behauptet in seinem Buch „Health, Wealth and the Origins of Inequality“, dass die Arbeit von Hilfsorganisationen – wenn auch unbeabsichtigt – einer der Gründe sei, warum Bürger mancher Länder der Armutsfalle nicht entkommen. Im Vorjahr konnte ich im Rahmen eines Sabbaticals als HNO-Facharzt in Vanuatu einen Einblick in die Welt der Hilfsorganisationen bekommen.

Abenteuer, Spurensuche & sinnvolle Tätigkeit

Vanuatu ist mit seinen 270.000 Einwohnern ein kleiner Staat von 80 Inseln mitten im Pazifik, östlich von Australien. Kapitän Cook besuchte die Inseln Ende des 18. Jahrhunderts und gab ihnen den Namen Neue Hebriden. Ein Großteil der von dichtem Dschungel bewachsenen Küste hat sich seither nicht verändert. Die Riffe zählen zu denjenigen, die weltweit am besten intakt sind. Es muss wohl die Kombination aus sinnvoller Arbeit und Abenteuer gewesen sein, die schon in den 1990er Jahren Franz Schmöllerl, einen HNO-Kollegen aus dem Burgenland, angezogen hat. Er flog für einige Jahre mit seinem kleinen Flugzeug von Insel zu Insel und war so als „Buschdoktor“ tätig. Ein wenig Abenteuer, ein wenig Spurensuche des HNO-Kollegen und eine sinnvolle Tätigkeit im Rahmen der Entwicklungshilfe waren auch für mich die Motivation, ein paar Wochen in Vanuatu zu verbringen.

Die Welt ist für viele ihrer Bewohner in den letzten Jahrzehnten ein besserer Ort geworden und auch an Vanuatu ist dieser Trend nicht vorbeigegangen. Dank der wirtschaftlichen Entwicklung, eines verbesserten Zugangs zu Trinkwasser und nicht zuletzt wegen der erfolgreichen Imagekampagnen hat sich beispielsweise die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren weltweit und auch in Vanuatu seit 1990 halbiert. Vanuatu gehört mit einem Gross National Income (GNI) von 3.100 US-Dollar pro Kopf nicht zu den armen Länder dieser Erde (GNI: 1.000 US-Dollar oder weniger); auch sind die Gesundheitsdaten nicht so schlecht wie von der Sub-Sahara Afrikas. Aber verglichen mit dem übrigen Südost- Asien und dem Pazifischen Raum ist sowohl die wirtschaftliche Entwicklung von Vanuatu als auch jene des Gesundheitswesens seit den 1990er Jahren weit zurück geblieben. Vanuatu ist – wie viele der anderen pazifischen Inselstaaten – ein Fokus von internationalen Hilfsorganisationen, privaten Stiftungen oder kirchlichen Hilfswerken. So wurden im Jahr 2010 beispielsweise 43 Prozent der Ausgaben für Infrastruktur (91 Millionen US-Dollar) durch Hilfsgelder aufgebracht.

HNO-Fachärzte gab es seit den 1990er Jahren, als mein Kollege Schmöllerl in Vanuatu tätig war, nicht mehr. Auf den Inseln Efate, Espirito Santo und Malekula halten Krankenschwestern HNO-Sprechstunden. Einmal im Jahr kommt ein australisches HNO-Team mit Anästhesisten und OP-Schwestern, um HNO-Operationen durchzuführen. Patienten mit Problemen aus dem HNO-Bereich können über Hilfsorganisationen für Operationen nach Australien überwiesen werden. Meine Aufgabe war es hauptsächlich, Krankenschwestern zu unterrichten und gemeinsam Patienten zu betreuen. Überraschend war, dass es in diesem milden Klima sehr viele Infekte der oberen Atemwege, aber auch Tumore der Nebenhöhlen und chronische Ohrentzündungen gegeben hat. Die Krankenschwestern vermuten, dass das offene Feuer in den Hütten und prävalente Tropenkrankheiten durch die Schwächung der Immunabwehr diese Erkrankungen begünstigen. Keine der Krankenschwestern konnte den Kehlkopf, den Nasen-/Rachenraum oder die Nasenhaupthöhle untersuchen, obwohl alle Instrumente vorhanden waren. Dies führte zu langen Verzögerungen bei der Diagnose. Ich habe Patienten gesehen, die sechs Monate zuvor in der HNO-Sprechstunde waren und nun mit fortgeschrittenen Nebenhöhlentumoren mit Exophtalmus zur Kontrolle kamen. Für mich waren es intensive Wochen des Unterrichtens. Schlussendlich konnte jede HNO-Krankenschwester einen vollen HNO-Status erheben und kleinere HNO-Operationen durchführen.

HNO-Mangelversorgung trotz Infrastruktur

Was oberflächlich betrachtet als sinnvoll erscheint, Patienten in einem armen Land zu behandeln und Krankenschwestern zu unterrichten, muss – im Licht von Studien wie der von Angus Deaton – kritisch betrachtet werden. So fiel auf, dass es in Vanuatu an einer HNO-Basisversorgung mangelt – obwohl es ausreichend Personal und Instrumente gibt und regelmäßig ein HNO-Team aus Australien kommt. Große Teile der Gesundheitsversorgung werden durch verschiedene Hilfsorganisationen – scheinbar unkoordiniert und sehr ineffizient – durchgeführt. Auch durch meinen Besuch besteht die Gefahr, dass ein falsches Gefühl von „wir tun ja etwas im HNO-Bereich“ entsteht und die notwendige grundlegende Änderung in der HNO-Versorgung wieder nicht erfolgt.

Für mich war es jedenfalls ein hoch interessanter Einblick in ein anderes Gesundheitswesen – und ich verstehe, was Franz Schmöllerl an der Arbeit auf diesen grünen Inseln mit rauchenden Vulkanen am pazifischen Feuerring so faszinierend fand.

*) Dr. Franz Rieger ist niedergelassener HNO-Facharzt in Feldkirch (Vorarlberg)

Vanuatu

Einwohner:
270.000
Fläche: 12.200 km²
Einwohnerdichte: 22 pro km²
Sterblichkeit der unter Fünfjährigen: 17/1.000
Staatsform: parlamentarische Republik seit 1980

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2016