Blockbuster-Übernahmen: Das wirtschaftliche Restrisiko steigt mit

15.08.2015 | Wirtschaft


Die Übernahme der kanadischen Pharmacyclics durch das global agierende US-amerikanische Unternehmen AbbVie ist als bisher teuerste Transaktion der Branche zu werten. Die Abhängigkeit, Produktzulassungen für erweiterte Behandlungen zu erhalten, steigt.

Von Roman Steinbauer

Das aus Abbott Laboratories separierten und seit dem Jahr 2013 eigenständig agierende Unternehmen AbbVie sorgte erst vor wenigen Monaten für Schlagzeilen, als es die 21 Milliarden US-Dollar USD schwere Übernahme von Pharmacyclics verkündete. Nun haben Marktbeobachter erstmals ansatzweise Zweifel, ob der Umsatz von Humira® stabil gehalten werden kann. Der scharfe Wettbewerb mit Gilead Sciences bei Hepatitis-C Medikamenten stellt außerdem eine Herausforderung für das in 170 Ländern in der Vermarktung tätige Unternehmen dar, das an der New York Stock Exchange (NYSE), der größten Wertpapierbörse der Welt, notiert.

AbbVie war in den vergangenen Jahren generell ein „Lieblingskind“ der Fondsmanager und Finanzinvestoren. Der für global 20,44 Milliarden US-Dollar Umsatz stehende Konzern weist damit ein Verkaufsvolumen wie Eli Lilly auf und befindet sich somit unter den zwölf bedeutendsten Pharma-Unternehmen weltweit. Die hohe Profitabilität der Geschäftsergebnisse zog kontinuierlich Kapital an. Der operative Gewinn lag zuletzt bei 31 Prozent des Umsatzes; die Dividenden-Rendite erreicht (trotz des enorm gestiegenen Aktienkurses) immer noch 2,8 Prozent. Allerdings wird der Konzern aus Chicago an der Börse bereits mit 106 Milliarden US-Dollar bewertet – was das Fünffache seines Jahresumsatzes entspricht. Eingepreist ist die Erfolgsgeschichte wohl längst. Eine Kurssteigerung des Dividendentitels um 60 Prozent seit zwei Jahren ist dementsprechend aussagekräftig. Die Netto-Verbindlichkeiten steigen – einhergehend mit dem realisierten Pharmacyclics-Übernahme-Deal – auf mehr als 28 Milliarden US-Dollar und gehen damit weit über einen Jahresumsatz hinaus.

Humira®, das ergebnisstärkste Medikament des Unternehmens, steht derzeit für nicht weniger als 60 Prozent der Erlöse. Dieses Präparat, das besonders bei schwerer rheumatoider Arthritis, M. Bechterew, Psoriasis sowie bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt wird, steht in Konkurrenz zu den Produkten Remicade® (Johnson&Johnson) sowie zu Enbrel® (Amgen). Remicade ist auch bei Johnson&Johnson im Hinblick des Gesamtumsatzes für einen bedeutenden Geschäftsanteil verantwortlich. Allerdings beträgt dieser vergleichsweise nur 17 Prozent der Gesamterlöse des Anbieters. Beim Mitbewerber Amgen liefert Enbrel® rund 24 Prozent der Einkünfte. Eine Rolle im Produktangebot von AbbViedes spielen weiters Vekira Pak (gegen chronische Hepatitis C; oral), Kaletra® und Norvir® (beide in Kombination mit anderen Substanzen gegen HIV) sowie Duodopa® (enterale Infusion) bei fortgeschrittenem M. Parkinson. Da der Patentschutz von Humira® bereits 2016 ausläuft, waren Erfolgsmeldungen für die Zukunft gefragt. Eine langfristige und zusätzliche wirtschaftliche Perspektive verspricht sich der AbbVie-Vorstand nun durch den Erwerb der kanadischen Pharmacyclics. Das übernommene Unternehmen verfügt über die Vermarktungsrechte für Imbruvica® in Nordamerika. Das vom niederländischen Biotech-Unternehmen Janssen in Zusammenarbeit mit Johnson&Johnson hergestellte Präparat schaffte 2013 den Markteintritt; der Patentschutz läuft noch etliche Jahre. Doch der Preis, den AbbVie den Anteilseignern für den Erwerb der Pharmacyclics angeboten hatte, erachten viele Branchen-Insider als überzogen. Die durchschnittliche Erwartung des Gewinns beziehungsweise der Aktie für das kanadische Übernahmeziel lag seitens der Marktanalysten für Ende 2015 bei rund fünf US-Dollar pro Aktie. Letztlich ging der Deal ging um nicht weniger als 152 US-Dollar pro Aktie über die Bühne.

Rasante Umsatzsteigerung

Derzeit weist der durch Imbruvica erzielte Umsatz in der Heimatregion USA/Kanada eine Quartalssteigerung von mehr als 30 Prozent auf; dieses Jahr wird wohl die Grenze von einer Milliarde US-Dollar übertroffen werden. Erst im Jänner dieses Jahres erteilte die US-amerikanische FDA (Food and Drug Administration) Imbruvica® erst die Zulassung für eine Reihe von Erkrankungen – etwa bei M. Waldenström. Für diese Indikation hat Imbruvica® von der FDA als erstes Arzneimittel eine durchgehende Zulassung in den USA erhalten. Im Oktober 2014 hat die Substanz von der Europäischen Kommission die Zulassung für die Behandlung von Erwachsenen mit Mantelzell-Lymphom als auch bei Chronisch lymphozytischer Leukämie erhalten.

Pharmacyclics geriet erst in’s Visier von AbbVie, nachdem eine angekündigte Übernahme des britischen Pharmaunternehmens Shire kurzfristig platzte. Der zuvor favorisierten Variante lagen insbesonders steuerliche Erwägungen zu Grunde – Shire firmiert auf der Kanalinsel Jersey. Das nun erworbene zweite Standbein des 26.000 Mitarbeiter zählenden Unternehmens strapaziert möglicherweise in einigen Jahren die Bilanz, sollte der Mehrwert der ambitionierten Ziele nicht künftig in der Bilanz ersichtlich werden. Die enorme Höhe des Übernahmepreises muss sich erst ammortisieren.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2015