Standpunkt – Vize-Präs. Johannes Steinhart: Es ist Wut

10.04.2015 | Standpunkt

© Zeitler

Das Medizinstudium ist eines der forderndsten und herausforderndsten Studien. Und Idealismus ist in einem hohen Prozentsatz der Grund, wieso man sich als junger Mensch dafür entscheidet, das auf sich zu nehmen. Mit dem erfolgreichen Studienabschluss allein ist es ja noch nicht getan: Es folgt eine langjährige, oft bis zu zehn Jahre dauernde praktische Ausbildung im Spital, bis man diesen Beruf selbstständig ausüben kann und darf. Menschen helfen zu wollen, Menschen helfen zu können – das sind die treibenden Kräfte, die einem bei der Ausübung dieses Berufes oftmals die Kraft geben, sich zu überwinden, mit gewissen, menschlich auch anspruchsvollen Dingen umzugehen – Arzt zu sein. Ein hohes berufliches Ethos war es – und ist es auch heute noch –, das uns Ärztinnen und Ärzte diese Tätigkeit trotz aller Widrigkeiten ausüben lässt.

Wenn man einen Turnus wollte, musste man darum betteln. Und hat zu hören bekommen, dass man in frühestens zwei Jahren wieder nachfragen soll – so war es jedenfalls in Wien. Wenn man eine Kassenstelle wollte, musste man mit mindestens ebenso langen Wartezeiten rechnen – jetzt bewirbt sich für viele Stellen gar niemand mehr. Und hat man dann endlich einen Vertrag bekommen, wurde man mit Bürokratie, Kontrollen und Unterstellungen konfrontiert, die einem die Ausübung des ärztlichen Berufs nicht unbedingt erleichtert haben – im Gegenteil.

Und dann wirft man uns vor, dass wir Ärztinnen und Ärzte Behandlungen unnötig durchführen, dass wir korrupt seien und angeblich von der Pharmaindustrie bestochen würden.

Man wirft uns vor, dass wir keine Qualität wollen. Patientenanwälte – nota bene keine Ärzte – glauben, uns Ärzten sagen zu müssen, wie die Qualität unserer Arbeit auszusehen hat und welche Standards hier zu gelten haben.

Man wirft uns vor, dass wir nur ans Geld denken und uns bereichern wollen. Das gipfelt darin, dass etwa die Wiener Gebietskrankenkasse eine eigene Abteilung für Missbrauch eingerichtet hat. Und ein ehemaliger Hauptverbandschef glaubte, in diesem vermeintlich nicht funktionierenden System aufräumen zu müssen.

Uns ganz aktuell will man uns Ärztinnen und Ärzte jetzt zu Ausweiskontrolloren degradieren, weil es der Hauptverband noch immer nicht schafft, die E-Cards routinemäßig mit einem Foto auszustatten.

30 Jahre Demotivation sind genug.

Wundert sich wirklich noch irgendjemand, dass Kassenplanstellen nicht mehr nachbesetzt werden können? Oder dass die Jungen sich schnurstracks nach dem Studium ins Ausland verabschieden? Und dass schon vor der Umsetzung der Novelle des KA-AZG oft Diensträder in den Spitälern nicht mehr besetzt werden konnten?

Für uns niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sind diese Auseinandersetzungen mit der Politik nichts Neues – darin haben wir leider ausreichend Erfahrung. Und wir erleben gerade, wie auch die angestellten Ärztinnen und Ärzte in einer noch nie da gewesenen Art und Weise noch viel mehr als schon bisher in die Pflicht genommen werden sollen: Die quantitativ gleich gebliebene Arbeit soll von weniger Kolleginnen und Kollegen und noch dazu in kürzerer Zeit als bisher erledigt werden.

Jahrelang haben Ärztinnen und Ärzte – niedergelassene und angestellte – zu all dem geschwiegen. Jahrelang hat man uns gedemütigt.

Das kann nicht gut gehen. Und das wird auch nicht gut gehen. Denn all die Wut, die sich in den letzten Jahren da wie dort angestaut hat, bricht jetzt durch. Und es hat sich enorm viel angestaut.

30 Jahre Demütigung sind genug.

Johannes Steinhart
3. Vize-Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2015