Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: Punktlandung

25.05.2015 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Eine Punktlandung – nach dem Duden eine Landung an der vorgesehenen, eng umgrenzten Stelle – ist offensichtlich dem Betreiber der mit 1. April 2015 eröffneten Apotheke in der Tiroler Hochtalgemeinde Wildschönau gelungen. Wie geplant soll seither eine öffentliche Apotheke zwei ärztliche Hausapotheken ersetzen und die medikamentöse Versorgung der 4.200 Einwohner zählenden Gemeinde sicherstellen. Aber nicht nur deren Eröffnung erfolgte punktgenau. Haargenau ist auch eingetroffen, wovor die Ärztekammer seit Jahren gewarnt hat. Dem einen Arzt, der gerade sein 65. Lebensjahr erreicht hatte, wurde – wie das Gesetz es befiehlt – mit Eröffnung der Apotheke die Konzession zur Führung einer Hausapotheke entzogen. Kassenvertragsrücklegung und Praxisschließung folgten. Nachdem die Ausschreibung dieser Stelle frustran verlief, warf auch der zweite Kassenarzt das Handtuch. Schließlich ist die Versorgung der auf vier Orte verteilten Bevölkerung und der Urlaubsgäste in der mit nahezu einer Million Jahresnächtigungen großen Fremdenverkehrsgemeinde keine Aufgabe für einen Einzelkämpfer. Tag und Nacht, Samstag wie Sonntag den Mann zu stellen, war schon für zwei Praktiker schwer bewältig- und zumutbar.

Damit erwies sich die pharmazeutische Punktlandung letztlich als veritable Bruchlandung. Eine strahlend neue Apotheke gegen zwei leere Arztpraxen auszutauschen und damit ein Versorgungsfiasko zu verursachen, ist – um beim Vergleich mit missglückten Landungen zu bleiben – der gesundheitspolitische Bauchfleck schlechthin.

Plötzlich erwachte die Lokalpolitik aus dem Traum der immerwährenden ärztlichen Versorgungssicherheit. Kleinlaut bemerkte der Standortbürgermeister, dass er sich der Vorwürfe aus der Bevölkerung kaum erwehren könne. Natürlich sei eine öffentliche Apotheke auch im Interesse der Gemeinde gelegen, lässt er die lokalpolitische Ambivalenz durchblicken. Schließlich hätte man ja gerne beides haben wollen, hausapothekenführende Ärzte und eine neue gewerbliche Infrastruktureinrichtung für Einheimische und Gäste. Die überregionalen Vertreter des ländlichen Raumes versuchen, einen Gang zuzulegen. Aber die Anstrengungen, Unmögliches herbeizuzaubern, sind trotz Unterstützung der Landespolitik zum Scheitern verurteilt. Schließlich liegt die Kompetenz beim Bund.

Was vielleicht in gut versorgten Ballungsgebieten oder in der Bundeshauptstadt als ländliches Dramolett bagatellisiert wird, kann sich in einer entlegenen Gemeinde als Versorgungskatastrophe erweisen. Das beschriebene Tiroler Bergdorf steht für viele Gemeinden und Regionen unseres Bundesgebietes. Und überall laufen die Mechanismen ähnlich ab. Regionale Betroffenheit der Bevölkerung, ungehörte Appelle und Untätigkeit des Bundesgesetzgebers. Den interessieren offensichtlich großspurige gesundheitspolitische Planspiele weit mehr als kleinräumige Versorgungsprobleme. Sonst wäre in den diversen Reformpapieren der medikamentösen Versorgung der Bevölkerung durch Hausapotheken-führende Ärzte mehr als jeweils nur ein knapper Satz gewidmet worden. Ein wirklicher Reformwille bedeutet, die rigiden Marktzugangsschranken zur medikamentösen Versorgung zu hinterfragen. Sind Apothekenmonopol und Gebietsschutz tatsächlich noch das richtige Instrument, um die Medikamentenversorgung umfassend sicherzustellen? Die Schließungen von Hausapotheken und die damit verbundene Verlängerung der Wege zu den öffentlichen Apotheken, aber auch die Ausdünnung der Versorgungslandschaft in Nächten und an Wochenenden zeigen ein anderes Bild. Und dazu kommen noch verwaiste Arztpraxen am Land.

Der Gesetzgeber ist dringend aufgerufen, Regelungen zu treffen, die die ländliche Bevölkerung und hier besonders auch die alten und immobilen Menschen schützen. Oder will man darauf warten, bis Postdienste über das Internet georderte Medikamente zustellen und Medikamentenautomaten in Filialapotheken die Nacht- und Wochenendapotheke ersetzen. Das e-Rezept, das kurz vor der Realisierung steht, würde beides ermöglichen. An den Realbeispielen geschlossener Hausapotheken und Landarztpraxen und der damit verbundenen Benachteiligung des ländlichen Raumes sollten sich die heimischen Strategen der Versorgungsplanung orientieren. Eine Lösung dieser Probleme ist jedenfalls dringlicher als zentralisierte Primärversorgungseinheiten mit unbewiesenem Effektivitäts- und Effizienzpotential zu forcieren.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2015