Vorsorgeuntersuchung: Modernisierungs-Blockade

15.07.2015 | Politik

Bei der Vorsorgeuntersuchung stehen dringend Innovationen an. Es liegt am Hauptverband, dass nichts weitergeht – und das, obwohl das Vorarlberger-Koloskopie-Vorsorgeprogramm beweist, dass damit Kosten gespart werden können. Von Provokationen, Verschleppungstaktik, Partnerschaftlichkeit in einem System und einem in der letzten Phase doch noch gescheiterten Versuch, etwas voranzubringen.
Von Agnes M. Mühlgassner

Von der ewigen Verzögerungs- und Verhinderungstaktik des Hauptverbandes hat der Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, Johannes Steinhart, genug. So hat es innerhalb der vergangenen beiden Jahre unzählige Versuche der ÖÄK bezüglich eines gemeinsamen Gesprächstermins in Sachen Vorsorgeuntersuchung gegeben. „Leider erfolglos“, zeigt sich Steinhart enttäuscht. Viele der zahlreichen Anrufe blieben ohne Reaktion, Terminvorschläge wurden schlicht nicht einmal ignoriert, vereinbarte Termine kurzfristig wieder abgesagt. „Ich bin eigentlich enttäuscht vom neuen Vorsitzenden des Hauptverbandes“, sagt Steinhart. Bei der Vorsorgeuntersuchung „geht nichts weiter“. Nach langem hin und her sei man dann doch endlich zusammengekommen – allerdings ohne Ergebnis. „Wenn eine Verhandlung über eine Vorsorgeuntersuchung mit bürokratischen Maßnahmen verknüpft wird, die überhaupt nichts mit Vorsorge zu tun haben, dann will der Partner offensichtlich nur dilatieren“, zeigt sich Steinhart verärgert.

Die in den vergangenen zehn Jahren bei der Vorsorgeuntersuchung erarbeiteten Änderungen beruhten letztlich immer auf der Initiative der ÖÄK und seien umsetzungsbereit. Dazu zählen etwa ein Probandenblatt, ein Einladungssystem für Patienten und ein E-Learning-Programm für Ärzte. Obwohl die Ärzteschaft seit Jahren die VU-Ergebnisse elektronisch lieferte, würde die obligate Evaluierung durch den Hauptverband noch immer nicht vorgenommen. Doch gerade diese Auswertung samt begleitendem Controlling ist schon längt überfällig, um herauszufiltern, wie effektiv die Vorsorgeuntersuchung tatsächlich ist und wo eine Vertiefung notwendig ist – um die Betreuung noch besser zu fokussieren, so die Vorstellung von Steinhart.

Die Realität ist eine andere. Nicht nur, dass die Vorsorgeuntersuchung schon seit einiger Zeit nicht mehr dem medizinischen „State of the Art“ entspricht, ist auch ihre Finanzierung mehr als optimierungsbedürftig. Seit 10 Jahren ist keine Valorisierung erfolgt. Die nun vom Hauptverband angebotene zehnprozentige Steigerung – und diese erst ab Mitte 2016 (!) – ist für Steinhart „kein Zugang“ – „Das ist keine Partnerschaftlichkeit, das ist eine Provokation“.

Steinhart ortet Tendenzen, die Vorsorgeuntersuchung so zu gestalten, dass die Frequenz sinkt – so wie es etwa auch beim Brustkrebs-Früherkennungs-Programm passiert sei. Nachdem man im ersten Jahr feststellen musste, dass die Einladung mittels Brief nicht wirklich funktioniert, habe man zwei Jahre abgewartet, bis es zu einer entsprechenden Adaption mit einer Wiedereinbindung von Allgemeinmediziner und Gynäkologen gekommen ist.

Neuerungen notwendig

Dass die Vorsorgeuntersuchung dringend einen Innovationsschub braucht, davon ist auch der Präsident der Ärztekammer Vorarlberg, Michael Jonas, überzeugt. Nicht nur das, so konnte auch mit dem Vorarlberger Vorsorge-Koloskopieprogramm gezeigt werden, dass im Vollausbau mit einer jährlichen Kostenersparnis von 5,71 Millionen zu rechnen ist, in zehn Jahren gar mit 14,81 Millionen Euro. Hochgerechnet auf Österreich bedeutet das 150 (abzüglich Kosten für zusätzliche aktuelle Qualitätskriterien 137) Millionen Euro Kostenersparnis jährlich; in zehn Jahren 449 (abzüglich Kosten für zusätzliche aktuelle Qualitätskriterien 357) Millionen Euro Ersparnis in zehn Jahren in Österreich – vorausgesetzt bei gleicher Tarifierung wie in Vorarlberg.

„Dieses Programm stellt die Grundlage für ein Österreichisches Darmkrebs-Vorsorgeprogramm dar“, betont Jonas. Während man bei uns seit rund zehn Jahren über die Einführung desselben redet, gibt es etwa in Deutschland ein nationales Dickdarmkrebs-Vorsorgeprogramm schon seit 2003. Zu den Fakten des Vorarlberger Programms: Von Feber 2007 bis Dezember 2013 wurden insgesamt 23.881 Vorsorgekoloskopien durchgeführt; das sind 20,9 Prozent der Zielbevölkerung der über 50-Jährigen. Zum Vergleich: Österreichweit liegt die Inanspruchnahme bei rund zehn Prozent. Vor der Einführung der Vorsorgekoloskopie erfolgte die Diagnose eine Kolorektalkarzinoms bei jedem zweiten Patienten im Stadium der Metastasierung – mit durchschnittlich 250.000 Euro Kosten pro Patient durch verbesserte Therapiemöglichkeiten. In Vorarlberg gab es durch das Vorsorge-Koloskopie-Programm einen beträchtlichen Anstieg der Frühkarzinomfälle und auch „einen Shift von späten Karzinomstadien zu frühen Stadien mit Auswirkungen auf die Gesundheitskosten“, so Jonas. Und weiter: „Dass dieses Programm etwas bringt, das konnten wir beweisen.“

Eine mögliche Erklärung, wieso die Inanspruchnahme der Koloskopie-Vorsorge so gering ist, ortet Jonas in der Honorierung. Österreichweit beträgt das Honorar durchschnittlich 167 Euro; in Vorarlberg sind es 250 Euro plus 40 Euro pro Schlingenpolypektomie. Wobei man allerdings sagen müsse, dass bei einer betriebswirtschaftlichen Kalkulation aller aktuellen Qualitätsstandards 347 Euro für die diagnostische Koloskopie zu veranschlagen wären, verdeutlicht Jonas.

Einen zentralen Stellenwert beim Vorarlberger Vorsorge-Koloskopie-Programm nimmt dabei die Qualitätssicherung ein mit verpflichtender Dokumentation, Evaluierung der Untersuchungsergebnisse sowie der Einhaltung von aktuell gültigen internationalen Qualitätssicherheitsstandards.


Koloskopie-Vorsorgeprogramm: die Vorgeschichte

Schon zwischen 1990 und 2006 hat es auf Initiative der Österreichischen Krebshilfe Vorarlberg ein selektives Vorsorgeprogramm für Darmkrebs-Risikopatienten in Vorarlberg gegeben – was mit ein Grund für den Rückgang der Darmkrebsfälle in Vorarlberg zwischen 2001 und 2006 war. Als dann 2006 die Vorsorgeuntersuchung neu eingeführt wurde, hat man in Vorarlberg parallel dazu auch eine Vorsorge-Kolonoskopie angeboten. Ein entsprechender Vertrag, in dem auch international geforderte Qualitätsstandards festgehalten wurden, wurde zwischen Vorarlberger GKK, Ärztekammer Vorarlberg und unter Beteiligung des Landesgesundheitsfonds unterzeichnet.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2015