US-Gesundheitsreform: Krankenversicherung für 16 Millionen Unversicherte

25.04.2015 | Politik

Vor fünf Jahren setzte Barack Obama seine Unterschrift unter eine historische Gesundheitsreform und brachte den Amerikanern die verpflichtende Krankenversicherung. Die Kritik an der Reform verstummt nicht, doch die Einflüsse des Gesetzes sind inzwischen unverkennbar. Von Nora Schmitt-Sausen

Kein Gesetz hat in der Amtszeit von Barack Obama für so viel Wirbel gesorgt wie der Affordable Care Act. An der Reform des US-amerikanischen Gesundheitswesens scheiden sich die Geister. Bis heute ringen Demokraten und Republikaner um das umfassende Gesetzeswerk. Auch in der Gesellschaft hat die Reform nach wie vor einen schweren Stand; die Mehrheit der Amerikaner steht ihr kritisch gegenüber. Dabei steht fest: Anderthalb Jahre nachdem wichtige Reformteile von Obamacare in Kraft sind, sind die Veränderungen im Leben der Menschen angekommen. Die Zahlen, die von der Regierung jetzt vorgelegt wurden, sprechen eine klare Sprache: In den bislang zwei Einschreibe-Zeiträumen haben 16,4 Millionen Amerikaner eine Krankenversicherung erhalten. Sie haben sie entweder über einen der staatlich organisierten Online-Versicherungsmärkte erworben oder im Rahmen der Ausweitung der staatlich finanzierten Krankenversicherung für sozial Schwache (Medicaid) erhalten. Die Zahl der Versicherten könnte kurzfristig noch steigen, denn unversicherte Amerikaner müssen in diesem Frühjahr erstmals eine Strafe zahlen, wenn sich im Zuge ihrer Steuererklärung herausstellt, dass sie im vergangenen Jahr nicht krankenversichert waren. Allerdings sind nach Angaben der Kaiser Family Foundation weiterhin fast 30 Millionen Amerikaner ohne Krankenversicherung (Stand Ende 2014).

Schon jetzt ist die positive Entwicklung sichtbar: Das renommierte Meinungsforschungsinstitut Gallup hat errechnet, dass die Rate der Unversicherten von 20,3 Prozent im Oktober 2013, als sich die US-Bürger erstmals für Obamacare einschreiben konnten, auf 12,3 Prozent im ersten Quartal 2015 gesunken ist. Dies ist laut Gesundheitsministerin Sylvia Mathews Burwell „die größte Reduktion in vier Jahrzehnten“.

Die Reform greift jedoch nicht nur über die Pflicht zur Versicherung in das lange Zeit unreglementierte Gesundheitssystem ein. Das Gesetz verändert auch die Situation der Amerikaner, die bereits versichert sind. Nach Angaben der Obama-Regierung haben 76 Millionen Bürger nun Zugang zu kostenfreien Vorsorgeleistungen wie Impfungen und Gesundheits-Checks. 105 Millionen Menschen profitierten davon, dass es keine finanziellen Limits für Kostenübernahmen im Krankheitsfall mehr gibt. 129 Millionen Menschen mit Vorerkrankungen müssten nicht mehr fürchten, ihren Versorgungsanspruch zu verlieren.

Trotz dieser Zahlen verstummt die Kritik der Republikaner an der Reform nicht. Die Konservativen wollen das Gesetz zu Fall bringen und die Gesundheitsversorgung neu regeln – mit weniger Pflichten und mehr Freiheiten für Bürger, Bundesstaaten und Unternehmen. Diese werden durch Obamacare künftig verpflichtet, ihre Arbeitnehmer zu versichern. Einer der stetig wiederkehrenden Kritikpunkte lautet, dass die Kosten für viele Amerikaner durch die Reform gestiegen seien. Vor allem hohe Eigenleistungen werden moniert. In der Bevölkerung gibt es Stimmen, die sagen, dass die Reform den Versicherern mehr in die Hände spiele als den Menschen. Die Versicherungsindustrie – einst ein vehementer Gegner von Obamas Vorstoß – steht nun auf der Seite der Demokraten.

Ein Manko der Reform: Lediglich 16 Bundesstaaten unterhalten eigene Online-Anlaufstellen, über die US-Bürger Policen erwerben können. Ganze 34 – überwiegend republikanisch regierte Bundesstaaten – überlassen die Bürgeransprache sowie die Abwicklung des neuen Versicherungsmarkts der Zentralregierung in Washington, die dafür das Portal Healthcare.gov unterhält. Außerdem haben sich nur 28 Bundesstaaten dazu entschlossen, Medicaid auszuweiten, wie es die Reform vorsieht. Mit Blick auf die Reduktion der Zahl der Unversicherten bleibt also noch viel Luft nach oben.

Obamacare wieder vor Gericht

Die Republikaner haben bereits mehr als 50 Mal versucht, Obamacare durch politische und juristische Manöver zu Fall zu bringen. Auch aktuell halten die Konservativen nicht still. Vor dem Supreme Court, dem höchsten amerikanischen Gericht, wird derzeit erneut über Obamacare verhandelt. Es ist bereits das zweite Mal nach 2012, dass sich die obersten Richter des Landes mit der Reform beschäftigen müssen. Diesmal geht es um Steuervergünstigungen, die sozial schwache Bürger erhalten, wenn sie über die Versicherungsbörsen eine Krankenversicherung erwerben. Die Kläger monieren, Washington überschreite damit seine Kompetenzen. Eine Entscheidung darüber, ob die Finanzhilfen rechtmäßig sind oder ob Millionen Amerikaner die Unterstützung verlieren und damit das gesamte Reformgerüst ins Wanken gerät, wird im Sommer erwartet. Dann geht die „unendliche Geschichte“, wie es Richterin Elena Kagan ausdrückte, in die nächste Runde.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2015