MUKIPA: Pro­lon­gier­ter Stillstand?

25.06.2015 | Politik

In medi­zi­nisch-wis­sen­schaft­li­cher Hin­sicht herrscht beim MUKIPA seit 2010, als die damals beim Obers­ten Sani­täts­rat ange­sie­delte Kom­mis­sion zuletzt ein­be­ru­fen wurde, Still­stand. Die Arbeit der in der Folge gegrün­de­ten Fach­ar­beits­gruppe schrei­tet nicht so rasch voran wie vor­ge­se­hen. Ein Situa­ti­ons­be­richt.
Von Agnes M. Mühlgassner

Es wird in Zukunft wohl kein Scree­ning auf Par­odon­ta­l­er­kran­kun­gen in der Schwan­ger­schaft geben, geht es nach der Emp­feh­lung der Fach­ar­beits­gruppe zur Wei­ter­ent­wick­lung des Mut­ter-Kind-Pas­ses. Und das, obwohl bei­spiels­weise die Wie­ner Gesund­heits­stadt­rä­tin Sonja Weh­sely ganz aktu­ell als eines von neun Gesund­heits­zie­len für Wien erklärt hatte, dass die Hälfte aller Sechs­jäh­ri­gen bis 2015 kari­es­frei wer­den soll.

Zur Vor­ge­schichte: Die Fach­ar­beits­gruppe – kurz FAG – zur Wei­ter­ent­wick­lung des Mut­ter-Kind-Pas­ses wurde bekannt­lich vom ehe­ma­li­gen Gesund­heits­mi­nis­ter Alois Stö­ger ein­ge­setzt. Die zuvor beim Obers­ten Sani­täts­rat ange­sie­delte MUKIPA-Kom­mis­sion hatte zuletzt im Okto­ber 2010 getagt und wurde danach nicht mehr ein­be­ru­fen. Statt­des­sen wollte man neue Wege gehen – mit Okto­ber 2014 nahm die FAG ihre Arbeit auf. Auf der Home­page (www.bmg.gv.at/muki) heißt es dazu, dass die­ser Pro­zess zur Wei­ter­ent­wick­lung des Mut­ter-Kind-Pas­ses als „Multi-Stake­hol­der-“ und „Multi-Level-Pro­zess“ auf­ge­setzt wird. Kon­kret wur­den 15 Insti­tu­tio­nen gebe­ten, Mit­glie­der zu benen­nen; wobei sich hier gleich zu Beginn her­aus­stellte, dass Ärzte in der Min­der­heit waren. Anfangs war auch die ÖÄK nicht ver­tre­ten; erst nach mas­si­ven Pro­tes­ten konnte erreicht wer­den, dass die ÖÄK-Bun­des­fach­grup­pen­ob­män­ner für Gynä­ko­lo­gie (Tho­mas Fied­ler) sowie für Kin­der- und Jugend­heil­kunde (Ernst Wen­ger) im März die­ses Jah­res in die FAG nach­no­mi­niert wurden.

Wis­sen­schaft­li­che Ent­schei­dungs­grund­lage für die Scree­ning-Emp­feh­lun­gen die­ses Gre­mi­ums sind 104 als „Gesund­heits­be­dro­hun­gen“ bezeich­nete Maß­nah­men in einem 1.571 Sei­ten umfas­sen­den LBI-HTA-Pro­jekt­be­richt zum MUKIPA. Als „Bedro­hung“ sind bei­spiels­weise Röteln, Hepa­ti­tis B, das Tay-Sachs-Syn­drom, Hämo­glo­bi­no­pa­thien oder fetale Anoma­lien zu ver­ste­hen. Die Berück­sich­ti­gung wei­te­rer The­men ist per Geschäfts­ord­nung a priori aus­ge­schlos­sen. Das ehr­gei­zig gesteckte Ziel, das in der kon­sti­tu­ie­ren­den Sit­zung am 30. Okto­ber 2014 prä­sen­tiert wurde: monat­li­che halb­tä­gige Sit­zun­gen für ein bis zwei Jahre; ein Abschluss­be­richt sollte 2016 vor­ge­legt wer­den. Aller­dings scheint die­ser Zeit­plan etwas zu ambi­tio­niert gewe­sen zu sein: Hat man doch in den bis­lang acht Sit­zun­gen 20 Bedro­hun­gen abge­han­delt. Hoch­ge­rech­net bedeu­tet das, dass noch rund 28 wei­tere Sit­zun­gen erfor­der­lich sind; das bedeu­tet jeden­falls eine Ver­län­ge­rung die­ses Pro­zes­ses um zwei, wenn nicht sogar drei Jahre. Nach­dem alle Bedro­hun­gen in der FAG abge­han­delt wor­den sind, wer­den in einem end­gül­ti­gen Ent­schei­dungs­gre­mium 13 bereits defi­nierte – zum Teil völ­lig fach­fremde und mediz­in­ferne Insti­tu­tio­nen – plus „andere rele­vante Stake­hol­der“ mit­be­stim­men, wel­che Unter­su­chun­gen der MUKIPA künf­tig ent­hal­ten wird.

Ein „fata­les“ Signal, sagt der Bun­des­fach­grup­pen­ob­mann für Gynä­ko­lo­gie in der ÖÄK, Tho­mas Fied­ler. „Nach dem Still­stand bei der medi­zi­ni­schen Wei­ter­ent­wick­lung des MUKIPA seit 2010 dro­hen nun drei wei­tere Jahre Still­stand. Das ist auch ange­sichts des rasan­ten Fort­schritts in der Medi­zin untrag­bar“, so Fied­ler. So wurde bei­spiels­weise in Deutsch­land zwi­schen­zeit­lich das Chla­my­dien-Scree­ning ein­ge­führt; eine andere Neue­rung sind die Prä-Eklamp­sie-Mar­ker, die bis dato auch noch nicht Ein­gang in den MUKIPA gefun­den haben. Fied­ler wei­ter: „Abge­se­hen davon ist es uner­träg­lich, dass es seit 21 Jah­ren keine Anpas­sung des Hono­rars für die MUKIPA-Unter­su­chung gege­ben hat.“

Die Arbeit der FAG selbst scheint jedoch – bei genaue­rer Durch­sicht der auf der Home­page ver­füg­ba­ren Unter­la­gen – ein über­aus for­ma­lis­ti­scher Pro­zess zu sein. So hat man etwa „Regeln der Zusam­men­ar­beit“ (Geschäfts­ord­nung). Darin ist fest­ge­legt, dass die Sit­zun­gen nicht öffent­lich sind; die Mit­glie­der der Arbeits­gruppe sind zur Ver­schwie­gen­heit ver­pflich­tet. Auch sind poten­ti­elle Inter­es­sens­kon­flikte für drei Jahre rück­wir­kend anzu­ge­ben und halb­jähr­lich zu aktua­li­sie­ren. Eine Beschluss­fas­sung ist dann mög­lich, wenn min­des­tens die Hälfte der Stimm­be­rech­tig­ten anwe­send ist. Ein Kon­sens liegt vor, wenn sich mehr als 75 Pro­zent für oder gegen eine Emp­feh­lung aussprechen.

Als „pro­ble­ma­tisch“ bezeich­net Tho­mas Fied­ler die Tat­sa­che, dass die Ärzte in der Fach­ar­beits­gruppe jeder­zeit von medi­zi­ni­schen Laien über­stimmt wer­den kön­nen. Da die ÖÄK den Still­stand jedoch nicht so ohne wei­te­res hin­neh­men wollte, hat sie bereits Anfang 2014 die Inter­dis­zi­pli­näre Exper­ten­kom­mis­sion Mut­ter-Kind-Pass initi­iert. In die­ser breit gefä­cher­ten Exper­ten­kom­mis­sion wird inten­siv an Vor­schlä­gen zur Neu­ge­stal­tung des MUKIPA gear­bei­tet. Ver­tre­ter der Öster­rei­chi­schen Gesell­schaft für Gynä­ko­lo­gie und Geburts­hilfe, der Öster­rei­chi­schen Gesell­schaft für Kin­der- und Jugend­heil­kunde, der ÖGAM sowie die Ver­tre­ter der jewei­li­gen Fach­grup­pen in der ÖÄK gehö­ren die­ser Exper­ten­kom­mis­sion an.

Im Gegen­satz zur Fach­ar­beits­gruppe, wo medi­zi­ni­sche Laien über medi­zi­ni­schwis­sen­schaft­li­che Inhalte ent­schei­den, gehö­ren der Exper­ten­kom­mis­sion aus­schließ­lich Ärz­tin­nen und Ärzte an – unter Ein­bin­dung aller mit dem MUKIPA befass­ten Fach­grup­pen. Somit hat mitt­ler­weile die von der ÖÄK initi­ierte inter­dis­zi­pli­näre Exper­ten­kom­mis­sion die Agen­den der eins­ti­gen MUKIPA-Kom­mis­sion übernommen.

Tipp: www.bmg.gv.at/muki

Fach­ar­beits­gruppe MUKIPA: die ver­tre­te­nen Institutionen

Fol­gende 15 Insti­tu­tio­nen haben Mit­glie­der nomi­niert und entsandt:

  • Öster­rei­chi­sche Gesell­schaft für Gynä­ko­lo­gie und Geburtshilfe
  • Öster­rei­chi­sche Gesell­schaft für Kin­der- und Jugendheilkunde
  • ÖGAM (Öster­rei­chi­sche Gesell­schaft für Allgemeinmedizin)
  • Öster­rei­chi­sche Gesell­schaft für Public Health
  • Evi­dence Based Medi­cine – Netz­werk Österreich
  • Bio­ethik­kom­mis­sion des Bundeskanzleramtes
  • Öster­rei­chi­sche Gesell­schaft für Soziale Arbeit
  • ARGE Stu­di­en­gangs­lei­tung Gesund­heit und Krankenpflege
  • Fach­gruppe FH Hebammen-Studiengänge
  • ARGE Selbst­hilfe Österreich
  • Netz­werk Frau­en­ge­sund­heits­zen­tren Österreich
  • Gesund­heit Öster­reich GmbH
  • Haupt­ver­band der Sozialversicherungsträger
  • Bun­des­mi­nis­te­rium für Fami­lien und Jugend
  • Bun­des­mi­nis­te­rium für Gesundheit


Wei­tere – der Geschäfts­ord­nung ent­spre­chend – nomi­nierte Experten:

  • Dr. Tho­mas Fiedler
  • Dr. Ernst Wenger
  • Dr. Klaus Vavrik
  • Mag. Hed­wig Wölfl

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 12 /​25.06.2015