Leihmutterschaft: Die Kinder fremder Mütter

25.05.2015 | Politik

Leihmutterschaft war lange ein Tabuthema. Doch im Zeitalter von Social Freezing, Eizell- und Samenspende wird auch das Austragen von Kindern durch Dritte gesellschaftsfähig. Während Leihmutterschaft in vielen Ländern verboten ist, hat sie sich in einigen Staaten bereits fix etabliert. Von Nora Schmitt-Sausen

Wer sich mit dem Thema Leihmutterschaft beschäftigt, der stößt vor allem immer wieder auf diese Namen: USA, Russland, Ukraine, Indien. Sie gehören zu den Ländern, in denen Leihmutterschaft legal beziehungsweise kaum Beschränkungen unterworfen ist, und in denen inzwischen aus dem Babykriegen ein Geschäft geworden ist. Vermittlungsagenturen sorgen in diesen Ländern dafür, dass sich für Kinderlose der Kinderwunsch erfüllt. Auch ausländische Paare kommen auf diesem Weg zu einem Kind, denn im Zeitalter der Globalisierung macht der Kinderwunsch vor Grenzen nicht halt. Die Zahl derer, die eine fremde Frau dafür engagieren, um das Wunschkind auszutragen, nimmt konstant zu. Selbst das Europäische Parlament ist auf die Thematik aufmerksam geworden. In einer vergleichenden Studie der rechtlichen Bestimmungen über Leihmutterschaft in der EU aus dem Jahr 2012 heißt es: „Die Leihmutterschaft findet als Verfahren der Reproduktionsmedizin in zunehmendem Maße Verbreitung. (…) Die Anzahl der Organisationen, die Leihmutterschaften anbieten, sowie die Anzahl der Gerichtsverhandlungen im Zusammenhang mit einer Leihmutterschaft innerhalb der EU nehmen deutlich zu.“

Vor allem Großbritannien, wo innerhalb der eigenen Landesgrenzen Leihmutterschaft nur in Ausnahmefällen erlaubt ist, verzeichnet in den vergangenen Jahren einen starken Zuwachs von Leihmutterschaften, die überwiegend im Ausland vollzogen wurden. In einer Studie im Journal of Social Welfare and Family (Marilyn Crawshaw , Eric Blyth & Olga van den Akker, 2013: The changing profile of surrogacy in the UK – Implications for national and international policy and practice, Journal of Social Welfare and Family Law) ist von einem „merklichen Anstieg“ die Rede. Offizielle Statistiken besagen: 2001 wurde die Geburt von 36 Kindern durch Leihmutterschaft anerkannt; 2011 waren es bereits 149 – die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.

Medizinisch gesehen ist eine Leihmutterschaft wenig kompliziert. In die Gebärmutter der Leihmutter wird ein Embryo eingepflanzt, der das genetische Material der künftigen Eltern enthält. In Fällen, in denen Samen oder Eizelle der Wunscheltern nicht funktionsfähig sind oder bei homosexuellen Paaren mit Kinderwunsch, springt ein Eizell- beziehungsweise Samenspender ein. Dass die Leihmutter genetisch mit dem Kind, das sie austrägt, verwandt ist, kommt heute offiziell nur noch selten vor. Die Agenturen bestehen meist auf einen Embryonentransfer.

Aus moralisch-ethischer und rechtlicher Sicht ist es etwas komplizierter – besonders dann, wenn es zu Konstellationen kommt, in denen drei Mütter involviert sind: Die genetische Mutter (von der das Ei stammt), die Leihmutter (trägt das Kind aus) und die Wunschmutter (sie sieht das Kind aufwachsen). Nicht erst damit fangen die psychologischen – und juristischen – Probleme für alle Beteiligten an; die späteren Folgen, auch für die Kinder, seien noch gar nicht abzusehen, argumentieren die Gegner der Leihmutterschaft. Für Kritiker ist außerdem vor allem folgender Aspekt verwerflich: Die Leihmütter handeln meist aus finanzieller Not. Sie stellen ihren Körper Paaren, die selbst keine Kinder bekommen können, zur Verfügung, weil sie sich oder ihren Familien vom Geld ein besseres Leben ermöglichen wollen. Kinder zur Welt zu bringen wird kommerzialisiert. Immerhin: An das Leihmutter-Sein werden meist Bestimmungen geknüpft. In der Regel werden nur Leihmütter, die verheiratet sind und schon eigene Kinder haben, vermittelt.

Doch die Sehnsucht vieler kinderloser Paare nach eigenem Nachwuchs ist so groß, dass sie moralische, ethische und medizinische Bedenken über Bord werfen – und tief in die Tasche greifen. Je nach Land, Komplexität und Anzahl der Versuche lassen sie es sich mehrere 10.000 bis gar mehr als 100.000 Euro kosten, um sich den meist lange geträumten Traum vom eigenen Kind zu erfüllen. Damit steht auch fest: Eine Leihmutter kann nur engagieren, wer es sich leisten kann. Die USA – ansonsten bekannt für eine restriktive Haltung in Fragen von Familie, Moral und Ethik – haben grundsätzlich eine offene Haltung gegenüber Leihmutterschaft. Leihmutterschaft wird in den Vereinigten Staaten bereits seit mehr als 30 Jahren praktiziert.

USA: Kontroversielle Diskussion

Doch auch jenseits des Atlantiks wird das Thema kontroversiell diskutiert – und nicht in allen Bundesstaaten einheitlich behandelt. Landesweit geltende Bestimmungen gibt es nicht; es ist Sache der Bundesstaaten, zu entscheiden, wie mit dem Thema Leihmutterschaft umgegangen wird. Im Bundesstaat New York beispielsweise ist Leihmutterschaft nicht zulässig. In Kalifornien, das eine zentrale Anlaufstelle für kinderlose Paare geworden ist, dagegen schon.

Die Nachfrage nach Kindern, die von Leihmüttern in den USA zur Welt gebracht werden, ist sowohl im Inland als auch im Ausland groß – und steigt kontinuierlich. Einem Bericht der New York Times zufolge sind in den USA im vergangenen Jahr mehr als 2.000 Kinder durch Leihmutterschaft zur Welt gekommen. Dies seien „fast drei Mal so viele wie vor zehn Jahren“. Besonders groß ist das Interesse von potentiellen Eltern aus China. Unfruchtbarkeit kommt bei Chinesen häufig vor; Fachleute nennen als Gründe dafür starke Umweltverschmutzung. Ihr Glück suchen die Asiaten bei den im Leihmuttergeschäft erfahrenen US-Amerikanern. Denn: Die restriktiven Bestimmungen in vielen anderen Ländern und Probleme bei der Abwicklung in Staaten wie Indien spielen dem US-amerikanischen Markt in die Hände. Die USA verfügen über viele gute Kliniken, zahlreiche potentielle Spender und Leihmütter sowie umfassende juristische Erfahrung, wenn irgendetwas nicht plangemäß abläuft. Das kann sein, wenn etwa das Kind krank ist, sich einer der Vertragspartner anders entscheidet oder auch Hilfe bei den gesetzlichen Bestimmungen und der Einreise des Kindes ins Heimatland gefragt sind. Die New York Times berichtet jedoch auch von einem unregulierten Agentur-Markt, auf dem sich teils dubiose Anbieter tummeln und die Geschäfte mit der Hoffnung machen. „Einige Agenturen bestehen nur kurz, verschwinden dann wieder. Andere haben sich des Geldes bedient, das für die Leihmutter gedacht war, oder haben die Gebühren nicht bezahlt, die davon beglichen werden sollten“, heißt es etwa in der New York Times.

In den USA ist das Thema Leihmutterschaft so weit in der Mitte der Gesellschaft angekommen, dass die Verbote in vielen europäischen Ländern zu Kopfschütteln führen. Die hohe Akzeptanz ist auch dadurch zu erklären, weil die Liste der Prominenten, die dank Leihmutterschaft Eltern geworden sind, dort lang und gut bestückt ist: Schauspielerin Sarah Jessica Parker (Sex and the City), der in den USA lebende homosexuelle britische Popsänger Elton John und Sänger Ricky Martin sind nur einige der Prominenten, die offen über ihren Weg zum Familienglück sprechen – und öffentliche Unterstützung erfahren.

EU: Situation uneinheitlich

Innerhalb der EU ist die Rechtslage zum Thema Leihmutterschaft sehr unterschiedlich – genauso wie das politische Stimmungsbild. In 18 der 28 Mitgliedsstaaten der EU ist Leihmutterschaft grundsätzlich verboten beziehungsweise zumindest die kommerzielle Leihmutterschaft untersagt (Stand 2013). Zu den Staaten, die Leihmutterschaft unter bestimmten Bedingungen dulden – vor allem, wenn sie unentgeltlich ist – gehören Belgien, Niederlande, Großbritannien, Irland und Griechenland. Die weitreichenden Freiheiten wie sie etwa in Teilen der USA vorherrschen, werden vor allem in konservativen Kreisen kritisch gesehen. In Frankreich sind im Herbst des Vorjahres Zehntausende gegen Leihmutterschaft und gegen das Recht auf künstliche Befruchtung auf die Straße gegangen. In Italien ist die Leihmutterschaft per Gesetz seit 2004 verboten.

Nach der Novellierung des österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetzes Anfang 2015 – unter anderem wird Homosexuellen die künstliche Befruchtung ermöglicht und die Eizellspende zugelassen -, fürchten Kritiker, dass bald auch das Thema Leihmutterschaft liberaler bewertet werden könnte. Bislang ist Leihmutterschaft in Österreich verboten. Ärzte können in Österreich beim Wunsch von Patienten nach Leihmutterschaft Institute im Ausland empfehlen. In Deutschland ist sogar das untersagt; schon allein durch eine Empfehlung machen sich Ärzte strafbar. In der Vergangenheit wurden deswegen schon mehrfach Ermittlungsverfahren gegen deutsche Ärzte eingeleitet. Jede im Zusammenhang mit Leihmutterschaft stehende Tätigkeit von Ärzten ist nach dem Embryonenschutzgesetz strafbar. Zum Thema Leihmutterschaft hat sich Deutschland rechtlich klar positioniert: „Mutter eines Kindes ist nach deutschem Recht die Frau, die es geboren hat, also die Leihmutter und nicht die ‚Wunschmutter‘. Diese Vorschrift zählt zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts“, informiert das Auswärtige Amt online. Und weiter: „Die Mutterschaft der Frau, die das Kind geboren hat, kann weder angefochten noch kann über diese Mutterschaft durch Vertrag disponiert werden. Daraus folgt, dass deutsche Stellen die rechtliche Wertung einer ausländischen Geburtsurkunde, aus der die ‚Wunschmutter‘ als rechtliche Mutter hervorgeht, nicht übernehmen können. Eine deutsche ‚Wunschmutter‘ kann ihre deutsche Staatsangehörigkeit deshalb nicht an das Kind vermitteln, da sie rechtlich gar nicht mit dem Kind verwandt ist.“ Das Wunschkind bleibt deutschen Paaren dennoch nicht verwehrt, denn: „Der ‚Wunschvater‘ kann nach deutschem Recht unter bestimmten Voraussetzungen durch eine Vaterschaftsanerkennung seine rechtliche Vaterschaft herstellen.“

Wie lange diese und weitere Bestimmungen noch gelten, ist ungewiss. Bereits seit geraumer Zeit gibt es in Deutschland zunehmend Stimmen von Politikern, Juristen, Reproduktionsmedizinern und Medizinethikern, die eine Reform des Fortpflanzungsmedizingesetzes fordern. Das deutsche Embryonenschutzgesetz ist seit 1991 in Kraft und gilt vielen als „nicht mehr zeitgemäß“.

Im vergangenen Jahr wurde die Zukunft der Fortpflanzungsmedizin in Deutschland bei der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates kontrovers diskutiert. Dabei ging es auch um strittige Punkte wie die Leihmutterschaft. Klare Antworten konnten die Diskutanten nicht liefern. Deutlich wurde jedoch, dass auf Grund der Entwicklungen und der Trends in der Fortpflanzungsmedizin eine neue gesellschaftliche und politische Diskussion notwendig ist. In Europa ist bislang vor allem ein Name im Munde derer, die sich den Babywunsch via Leihmutterschaft erfüllen wollen: Ukraine. In diesem osteuropäischen Land ist die Leihmutterschaft seit 2002 legal und es hat sich ein großer Markt für das Geschäft mit den Babys aufgetan. Agenturen werben im Internet offen und direkt damit, selbst die „hoffnungslosesten Fälle“ zu behandeln. Per Webinar und Videochat werden alle Fragen zur Leihmutterschaft beantwortet – in allen erforderlichen Sprachen von Deutsch, Englisch, Französisch über Italienisch bis hin zu Chinesisch. Das Kinderkriegen ist zur Dienstleistung geworden, die professionell abgewickelt wird.

Situation in Thailand

Dass die Liberalisierung des Themas Leihmutterschaft jedoch nicht überall voranschreitet, zeigt ausgerechnet das Beispiel Thailand, das zu einer globalen Anlaufstelle für kinderlose Paare geworden ist. Im Vorjahr hatte der Fall eines australischen Paares für Aufsehen gesorgt, das eine junge Thailänderin beauftragt hatte, ihr Baby auszutragen. Es waren letztlich Zwillinge, von denen eines Trisomie 21 hatte. Die Australier nahmen nur das gesunde Baby mit nach Australien, das kranke Kind ließen sie bei der Leihmutter zurück. Die Empörung im In- und Ausland war groß. Die thailändische Regierung zog Konsequenzen, denn es war nicht der erste skandalöse Vorfall um thailändische Leihmütter. Anfang dieses Jahres hat die thailändische Regierung die kommerzielle Leihmutterschaft für Paare aus dem Ausland verboten.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2015