Kuba: Ärzte als Dienstleistungsexport

15.08.2015 | Politik


Der Mangel an medizinischem Personal in Brasilien, das überwiegend durch kubanischen Ärzte-Export kompensiert wird, bringt dem kubanischen Staatsbudget jährlich mehr als acht Milliarden US-Dollar – dreimal mehr als auch dem Tourismus lukriert wird. Denn vom monatlichen Gehalt von 4.200 US-Dollar, das die brasilianische Regierung bezahlt, erhalten die betreffenden Ärzte nur einen Teil.
Von Roman Steinbauer

„Sie sind dort, wo sie gebraucht werden!“ – Dieser Ruf eilte den kubanischen Ärzten stets voraus. Auch bei der Bekämpfung der Ebola-Epidemie in Afrika im Vorjahr stellte das Land mit 170 weißen Einsatzkräften und Krankenpflegern das größte Kontingent. Mit 93.000 Ärzten (inklusive Zahnärzte) weist die Karibikinsel heute im staatlichen Gesundheitswesen 16mal mehr Mediziner auf als im Jahr 1959. Die Zahl der im Pflegebereich Beschäftigen ist ebenso hoch. An der Lateinamerika-Universität für Medizin in Havanna sind laut WHO (Weltgesundheitsorganisation) Studenten aus 30 Nationen eingeschrieben.

Seit 55 Jahren stellen der öffentliche Bildungs- und Gesundheitssektor die Grundpfeiler im außenpolitischen Agieren und der internationalen Präsenz von Kuba dar. Die medizinischen Einsätze in den vergangenen Jahrzehnten hatten sowohl ideologische Hintergründe wie etwa in Angola), umfassten aber ebenso rein humanitäre Hilfe bei Umweltkatastrophen wie den Erdbeben in Chile und Haiti sowie in den vom Wirbelsturm betroffenen Ländern in der Karibik. Kubanische Ärzte waren in den vergangenen Jahrzehnten in 32 afrikanischen Ländern aktiv. Auf dem „verlorenen Kontinent“ – in Asien und in Lateinamerika – sind die weißen Helfer noch heute mit mehr als 50.000 Mitarbeitern aus dem Gesundheitsbereich aktiv.

Start des Tauschhandels

Den ersten Impuls Kubas, medizinische Dienstleistungen unausgesprochen als Export-Handelsgeschäft zu definieren, gab es bereits vor zehn Jahren. Venezuelas Präsident Hugo Chavez begann während seiner Amtszeit von Feber 1999 bis März 2014 im Gegenzug für die Bereitstellung von rund 25.000 Mitarbeitern aus dem Gesundheitsbereich Kuba täglich Erdöl im Umfang von rund 100.000 Fass (à 159 Liter) zu liefern. Castro konnte damit eine 60-prozentige Lücke zum Eigenbedarf schließen und die Energieknappheit im täglichen Leben beenden. Ob die Öllieferungen zu einem Minimalpreis oder völlig kostenlos erfolgten, ist bis heute nicht klar. Der Fortbestand des Vorzug-Tauschhandels, der über das karibische „Petrocaribe“-Abkommen weit hinausging, ist zurzeit allerdings durch die prekäre wirtschaftliche Lage in Venezuela samt deutlich gefallener Rohölpreise gefährdet.

In der Folge besserte sich auch das Verhältnis von Kuba zu Brasilien rasch, als im Jänner 2002 Lula de Silva aus der Arbeiterpartei das Ruder im größten Staat Südamerikas übernahm. Der Grund dafür war die nun ideologisch geringere Kluft zu Brasilien. Mit der Wahl von Dilma Rouseffs zur Präsidentin im Jänner 2011 vertieften sich die Handelsbeziehungen zunehmend. Das politische Kabinett um Präsidentin Rousseff verstärkte die Brückenfunktion Brasiliens zum wirtschaftlich teils isolierten Karibikstaat.

Im Juli 2013 trat in Brasilien das Arzt-Rekrutierungsprogramm „Mais Medicos“ (mehr Ärzte) in Kraft, das nicht nur Engpässe in der medizinischen Versorgung verhindern, sondern auch die Wiederwahl von Rousseff 2015 fördern sollte. Vorwiegend ausländische Mediziner sollten mit einem Gehalt von monatlich umgerechnet 4.200 US-Dollar angelockt werden. Denn der Nachholbedarf in der Gesundheitsversorgung und Infrastruktur war besonders in den ärmeren Regionen des Landes mit mehr als 200 Millionen Einwohnern enorm. Die ökonomische Entwicklung von Brasilien hat dagegen nicht mitgehalten. So arbeitet ein Großteil der kubanischen Ärzte in den benachteiligten Regionen in der Peripherie und den Dschungelgebieten. Die Regierung in Brasilia wiederum hatte kein Problem, die sehr mobile kubanische Gesundheitsversorgung mit harten US-Dollars zu begleichen.

Die Wirkung von „Mais Medicos“ blieb nicht aus. Von den etwa 6.500 neu angeworbenen Ärzten stammten 80 Prozent aus Kuba. Die Basis dafür stellte ein bilaterales Extra-Abkommen zwischen diesen beiden Staaten dar. Die Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (Organización Panamericana de la Salud – OPS) – ihr gehören 35 Staaten Nord- und Südamerikas an – ist zwar in dieses Abkommen integriert; Details sind jedoch nicht bekannt.

Die Auszahlung der Gehälter ist unterschiedlich: In Brasilia erfolgt die Bezahlung nicht direkt an die Ärzte, sondern die Behörden überweisen den monatlichen Betrag von 4.200 US-Dollar pro Arzt an die kubanische Regierung. Die „exportierten“ Ärzte jedoch werden individuell über den Umweg aus Havanna entlohnt. – Dieser Betrag belief sich allerdings lange Zeit auf rund ein Zehntel jenes Soldes, den der kubanische Staat dafür erlöst. Ein weiteres Zehntel wird den „Export-Ärzten“ in Form von kubanischen Pesos zu Hause gutgeschrieben. Darauf haben die Ärzte erst nach Beendigung des bis zu drei Jahre befristeten Dienstverhältnisses und nach der Rückkehr auf die Insel Zugriff. Nach Protesten durch ärztliche Interessensverbände Mitte 2014 wurde wenigstens die Sofortauszahlung je nach Fall auf über 1.000 US-Dollar angehoben. Das Tor, medizinisches Personal als „Exportware“ oder zumindest im Tauschhandel einzusetzen, war somit geöffnet.

Devisenbringer Ärzte

Im Fall von Brasilien mutierte dieses Modell für Kuba zum bedeutenden Devisenbringer. Das Land, das sich in der jüngsten Geschickte als Vorzeige-„Relikt“ der linken Ideologie darstellte, wandelte sich zum Nachfrage-orientierten „Wissens-Software“-Anbieter im global herrschenden Kapitalismus. Brasilien, das durch wirtschaftliche Exporterfolge auf dem Agrar-Rohstoffmarkt über 20 Jahre zeitweise beachtliche Wachstumsraten erfuhr, entwickelte sich so zum Hauptabnehmer der menschlichen „Medizin-Pakete“. In das kubanische Staatsbudget wird auf diese Weise mit mehr acht Milliarden US-Dollar jährlich drei Mal mehr Geld eingespült als der Tourismus insgesamt an Einnahmen bringt. Die brasilianische Bevölkerung selbst hat das Programm „Mais Medico“ von Beginn an positiv bewertet. Die Zustimmung dafür schwindet aber zusehends aufgrund der medialen Darstellung der Details. So kritisierte etwa der Weltärztebund von Anfang an vor allem den Umstand, dass ein „Lohndumping“ gegen die einheimischen brasilianischen Ärzte in Gang gesetzt wurde; kritisiert wurde auch, dass kubanische Ärzte keinerlei portugiesische Fach- und Sprachqualifikationen nachzuweisen müssten. – Ein Umstand, der nach brasilianischem Gesetz jedoch für Ärzte aus anderen Ländern verpflichtend ist.

1.000 US-Dollar hören sich für den Durchschnitts-Kubaner reizvoll an. Findet jedoch aber ein argentinischer Arzt für die gleiche Leistung am Monatsende das Vielfache dieses Betrages auf seinem Konto, wird dies sein kubanischer Kollege trotz aller kollektiv- und solidaritätsgeschulter Gesinnung kaum auf Dauer akzeptieren. Denn zusätzlich sind ja auch die Lebenshaltungskosten in dem Land, in dem man berufstätig ist, zu bezahlen. Laut dem Deutschen Auswärtigen Amt liegt der Durchschnittslohn in Brasilien derzeit bei mehr als 900 US-Dollar.

Nachdem sich die kubanische Ärztin Ramona Rodriguez zu Beginn des Vorjahres an die Öffentlichkeit gewandt und überdies bei der US-amerikanischen Botschaft in Brasilia um Asyl angesucht hatte, zog diese einige Konsequenzen nach sich: Zum einen waren nach den Aussagen von Rodriguez ihre Angehörigen in der Heimat in der Folge Schikanen ausgesetzt; zum anderen erlangte das zwischen Kuba und Brasilien abgeschlossene Abkommen durch diesen Schritt an die Öffentlichkeit erstmals internationale Beachtung.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2015