Kommentar – Giovanni Maio: Ethische Grenzen der späten Mutterschaft – Ein Kind nur für mich

25.05.2015 | Politik

Ethik: Ein Kind nur für mich

Von Giovanni Maio*

Es sind immer Extremvarianten, die in ihrer Schrillheit auf subtilere Schieflagen verweisen. So ist der Aufschrei gegen die Berliner Grundschullehrerin groß, die mit 65 Jahren Vierlinge erwartet. Und bei diesem Aufschrei wird selbst von Ethikern allein auf die Risiken verwiesen, die mit dieser Schwangerschaft einhergehen – aber bei näherer Betrachtung verweist die nur mittels technischer Unterstützung ermöglichte Schwangerschaft einer 65-Jährigen auf tiefer liegende Probleme.

Ein Grundproblem liegt in der phänomenologischen Paradoxie, die man sich klar machen muss: Da ist eine Schwangerschaft, die als Symbol für die Lebendigkeit, Fruchtbarkeit, für den Neuanfang, für den Aufbruch gilt – und zugleich ein weiblicher Körper, der rein äußerlich Zeichen des Alters manifestiert, Alter als Symbol für den Abbau, die Rücknahme, das Abschließen, den Abschied. Diese beiden Signale in einem zu sehen, bereitet uns Schwierigkeiten. Hinter dieser Paradoxie steckt ja nicht nur Äußerliches, sondern primär Lebensweltliches. Denn diese Paradoxie verweist darauf, dass das Kind nicht nur in einem alten Körper ausgetragen wird, sondern zugleich auch in eine vergleichsweise alte Umgebung hineingeboren wird. Sicher fühlen sich 60-Jährige heute jünger als früher, und doch führt kein Weg daran vorbei, dass der Abstand des Kindes zur Mutter ein großer sein wird, und damit auch der Abstand zum sozialen Umfeld der Mutter, vielleicht gar zu den Geschwistern, Onkeln, Tanten. Wir haben es hier daher unweigerlich mit einer lebensweltlichen Distanz zum Kind zu tun, und da kann man noch so sehr darauf abheben, dass gut situierte Eltern mehr Zeit haben könnten und mehr guten Willens wären etc. All das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lebenswelt der alten Eltern weiter weg ist als die Lebenswelt der jungen.

Im Grunde handelt es sich um nichts anderes als um das Überspringen fast einer Generationenfolge, und dieses Überspringen darf man nicht bagatellisieren. Eine Konsequenz dieses Überspringens besteht darin, dass man mit der späten Mutterschaft dem Kind die Erfahrung, eigene Großeltern zu haben, ganz bewusst versperrt. Nun könnte man einwenden, dass viele Kinder keine Großeltern haben, aus den verschiedensten Gründen, aber man darf den Unterschied nicht verkennen zwischen einem schicksalhaften Verzichten müssen und einem ganz bewusst auferlegten Entsagen durch eigene freie Entscheidung.

Etwas Grundlegendes wird hier deutlich: die Abwehr, sie bezieht sich letzten Endes auf eine offenkundig werdende Hybris. Der moderne Mensch ist unfähig geworden, seine eigenen Wünsche dem zyklischen Verlauf des Lebens anzupassen und unterwirft seine eigene Biologie dem Diktat des eigenen Anspruchs auf ein Kind, das jederzeit machbar erscheint. Im Grunde also geht es um die verbissene Klammerung an den Grundsatz: „Alles zu meiner Zeit“ und der damit verbundenen Abwehr der alten Lebensweisheit „Alles zu seiner Zeit“.

Und weil man den existierenden Rhythmus negiert und ihm den eigenen Takt aufdiktieren möchte, hat dies zur Folge, dass man auch den existierenden Körper negiert und auch ihn einem fremden Regime unterwirft. Durch die Technisierung wird die Frau selbst in den Zustand gebracht, den eigenen Körper als Vehikel zu sehen, als Biokapital, das man ausbeuten muss, um die eigenen Wünsche damit zu erfüllen. Nur vor dem Hintergrund einer Kapitalisierung des eigenen Körpers lässt sich begreifen, warum viele Frauen heute dem menopausalen Körper etwas abtrotzen, worauf er nicht mehr eingestellt ist.

Dieser Verwertungsgedanke lässt das Hinhören auf den Körper verkümmern; man möchte den Körper so weit optimieren, dass er alles leistet, alles zu jeder Zeit, aber man möchte nicht mehr auf ihn hören, auf seine Signale, auf seinen ihm eigenen Modus. Es findet damit nicht weniger als eine Entfremdung vom eigenen Leib statt. Im Grunde handelt es sich um eine Fixierung, um eine Fixierung auf die Erfüllung eines eigenen Wunsches, ganz ohne Rücksicht darauf, in welch körperlicher Verfassung man sich befindet. Der Körper wird einer Steigerungslogik unterworfen und damit letzten Endes von einem selbst abgespalten. Daher ließe sich die postmenopausale Schwangerschaft im Grunde als ein Resultat der Entkörperlichung der Frau betrachten; sie musste den eigenen Körper erst als etwas nicht zu ihr Gehöriges interpretieren, um ihm etwas abzutrotzen, was in ihm gar nicht mehr steckte.

Der Körper als Instrument, das wir benutzen und nicht als etwas, worauf wir hören. Genau vor diesem Hintergrund wird die gesamte Fortpflanzung nunmehr als technisch anzugehendes Problem angesehen und alles andere, was nicht technisch ist, vollkommen ausgeblendet. Das Wesentlichste Nicht-Technische, das vollkommen aus dem Blick gerät, ist die Beziehungshaftigkeit der Fortpflanzung. Fortpflanzung hat unweigerlich mit Beziehung zu tun. Wenn wir aber nun von der 67-jährigen Berlinerin hören, die ihre Schwangerschaft mittels Eizellspende und Samenspende herbeiführen ließ, so wird gerade an diesem Beispiel deutlich, dass hier eine Schwangerschaft technisch herbeigeführt wurde, ohne dass irgendwo eine Beziehung zwischen zwei Menschen überhaupt irgendeinen Raum hatte. Die Eizellspenderin bleibt fremd, der Samenspender erst recht; die Kinder werden genetische Eltern haben, die ihnen vollkommen fremd bleiben werden; es bleibt lediglich die Beziehung zur sie austragenden Mutter, die in Interviews betont „Jeder darf allein für sich entscheiden, wie er leben möchte“ – wo bleibt aber der Gedanke an das Leben ihrer Kinder? Gerade dies zeigt eben die letzte Konsequenz einer technisierten Fortpflanzung auf: Je weiter sie voranschreitet, desto mehr werden Kinder zu bestellbaren Produkten, die man sich je nach eigenem Gutdünken einfach liefern lässt, ohne sich je darüber Gedanken zu machen, dass die Kinder nicht zur Erfüllung eigener Wünsche da sind, sondern primär nur für sich. Daher mag der tiefere Grund für die moralische Ächtung darin liegen, dass man in ihnen einen Ausdruck von Selbstbezogenheit erkennt, der in ein Spannungsverhältnis tritt zur unweigerlich auf Beziehung ausgerichteten Mutterschaft.

*) Univ. Prof. Dr. Giovanni Maio
Leiter des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2015