E-Health: Boomender Markt braucht Regeln

10.11.2015 | Politik

E-Health, mobile Health und Big Data – ein Markt, der immer mehr boomt. Wie aber kann man das Potential von E-Health ausschöpfen und gleichzeitig Patientensicherheit, Datenschutz und ethische Aspekte wahren? Eine Kontrollinstanz, ein E-Health-Gesetz und eine nationale digitale Agenda – wie sie etwa Deutschland hat – könnten Ansätze sein.
Von Marion Huber

E-Health – ein Begriff, beim dem man in Österreich oft gleich an die umstrittene elektronische Gesundheitsakte ELGA denkt. Aber E-Health ist viel mehr. E-Health umfasst den gesamten Einsatz von elektronischen Medien im Gesundheitswesen wie etwa bei der elektronischen Fallakte oder dem elektronischen Arztbrief; auch die Telemedizin fällt unter diesen Begriff. Die digitale Dokumenta-tion zählt ebenso dazu wie digitale Kommunikation, Archivierung, Datenbanken, telemedizinische Apps etc. „E-Health ist jedes einzelne Bit im Gesundheits- und Sozialwesen“, erklärt Dietmar Bayer, ÖÄK-Referent für Telemedizin und medizinische Information.

Gesundheits-Apps & Co.

Verschiedenste Gesundheits-Apps und neue Bewegungen wie „Quantified Self“ – auch das ist E-Health. Bei „Quantified Self“ messen die User über Sensoren ihre Vitalitätswerte im Alltag. Mittels Software können die Werte anschließend visualisiert werden. So kann die persönliche Entwicklung – sei es durch Blutdruckwerte, Herzfrequenz etc. – nachvollzogen werden. Ganz nach dem Motto: „self-knowledge through numbers“. Gespeichert werden alle diese sensiblen persönlichen Daten „Cloud“-basiert auf Servern irgendwo auf der ganzen Welt.

„Seit es die mobile Technik gibt, gehen User immer leichtfertiger mit ihren Daten um“, zeigt sich Bayer besorgt. Die Frage, die sich hier ganz besonders stellt: Was ist mit dem Datenschutz? Können kommerzielle Interessen an den Daten ausgeschlossen werden? Wie sicher sind die sensiblen Daten, wenn sie in einer Cloud gespeichert sind? Big Player aus der IT wie Apple, Google oder IBM orten hier einen großen Markt. So hat etwa IBM erst Mitte dieses Jahres bekannt gegeben, Daten, die Nutzer über spezielle Apps oder Tools sammeln, in seiner „Watson Health Cloud“ sammeln zu wollen. Mit der Watson-Technologie sollen die Daten anonymisiert ausgewertet und die Ergebnisse Forschungseinrichtungen, Kliniken und Ärzten angeboten werden. Neben einem großen US-amerikanischen IT-Unternehmen sind auch ein Pharma- sowie ein Medizinprodukte-Konzern Partner von IBM für die „Watson Health Cloud“.

So bieten mobile Health (mHealth)-Dienste auch die Möglichkeit, enorme Mengen an Gesundheitsdaten für die Forschung auszuwerten. Stichwort: Big Data. Cloud-Computing kann dafür die entsprechenden Kapazitäten bieten. „Man steht vor der Herausforderung, riesige gesammelte Datenmengen effizient zu nutzen und dabei gleichzeitig Datenschutz, Datensicherheit und Ethik nicht zu verletzen“, gibt Bayer zu bedenken.

Gerade in der schnelllebigen Welt der Apps boomen mHealth-Anwendungen (mobile Health): täglich kommen neue Gesundheits- und Fitness-Apps von wieder neuen Start-up-Unternehmen auf den Markt. Bayer: „Wie man da die Sicherheit und Qualität der Anwendungen wahren kann, ist eine Frage, mit der man sich ganz grundsätzlich auseinandersetzen muss.“ Vieles ist auf diesem neuen Gebiet noch ungeregelt. Daher besteht Bayer darauf, dass eine nationale Zertifizierungsinstanz für mHealth-Apps generell eingerichtet wird, die die Anforderungen an Datenschutz, Patientensicherheit, Bedienerfreundlichkeit, Qualität, Reliabilität etc. prüft. Auch mHealth-Apps müssten – analog zum Medizinproduktegesetz – gesetzlichen Bestimmungen unterliegen.

Für Bayer steht fest, dass E-Health in all seinen Formen weiter wachsen wird: „Bis 2017 wird eine globale Wachstumsrate von plus 26 Prozent erwartet.“ Vor allem US-amerikanische IT-Großkonzerne erwarten sich viel von der Digitalisierung der Gesundheit und sehen darin „the next big thing“, erklärt Bayer. Umso mehr müsse man eine nationale „digitale Agenda“ mit einem eigenen Netz umsetzen – abseits vom öffentlichen Internet als eigenes Gesundheitsnetz.

Deutschland: digitale Agenda

In Deutschland etwa ist die „digitale Agenda“ im Koalitionsvertrag als digitaler Fahrplan der Bundesregierung festgeschrieben. Im Zuge dessen hat das deutsche Gesundheitsministerium einen Entwurf für ein E-Health-Gesetz erarbeitet, das nach Durchlaufen des parlamentarischen Verfahrens voraussichtlich 2016 in Kraft treten soll. Ziel ist es unter anderem, die Chancen der Digitalisierung für die Gesundheitsversorgung zu nutzen und schneller nutzbringende Anwendungen zu ermöglichen. Gemeint ist damit etwa die elektronische Gesundheitskarte: Sie löst die Krankenversichertenkarte ab und beinhaltet Notfalldaten, den Medikationsplan, elektronische Arzt- und Entlassungsbriefe, etc.

Gesetz schafft Anreize

Damit diese Anwendungen schneller eingeführt werden, sollen durch das E-Health-Gesetz Anreize geschaffen werden: So erhalten etwa Ärzte und Krankenhäuser Vergütungen, wenn sie die Anwendungen nutzen. Das E-Health-Gesetz sieht auch vor, dass die Telematik-Infrastruktur als die zentrale Infrastruktur für eine sichere Kommunikation im Gesundheitswesen etabliert wird und telemedizinische Lösungen gefördert werden. Auch wenn in Deutschland bereits jetzt ein Drittel der Leistungen im Gesundheitswesen digitale Leistungen sind, soll die Telemedizin noch stärker ausgeweitet werden.

Bei der Umsetzung der digitalen Agenda achte die deutsche Regierung nicht nur darauf, dass sie Arbeitserleichterungen für die Gesundheitsdienste-Anbieter bringt, erklärt Bayer: „Die Regierung sucht sogar aktiv die Unterstützung der Ärzte, um die Zauderer zurückzudrängen.“ Daher könne man in Sachen E-Health durchaus nach Deutschland blicken; auch Österreich müsse eine nationale „digitale Agenda“ und ein Telematikregister nach diesem Vorbild erstellen, ist Bayer überzeugt. Außerdem brauche es neben einem E-Health-Gesetz (Gesundheitstelematikgesetz) auch eine nationale Institution, welche die Rahmenbedingungen und die Anwendung von E-Health überwacht. In der Entwicklung von E-Health stellt die ÖÄK jedenfalls eines an erste Stelle, sagt Bayer: „E-Health hat sich der Patientensicherheit zu unterwerfen.“

Mobile Health, „Quantified Self“ & Co

mHealth (Mobile Health) definiert Anwendungen aus dem Gesundheitsbereich, die über mobile Lösungen wie Smartphones, Tablets etc laufen. Apps (mHealth-Apps) spielen dabei eine große Rolle. Unter mHealth fallen etwa die Ermittlung von Vitalwerten wie Blutzucker oder Herzfrequenz, aber auch Kommunikations- oder Motivationsanwendungen, die u.a. an die Einnahme von Medikamenten oder Impfungen erinnern sollen. Ein großes Einsatzgebiet ist auch das „Home Monitoring“ – die Fernüberwachung von Patienten. Lösungen zur Fernüberwachung von Behandlungen machen etwa 60 Prozent der in Europa verwendeten Mobile-Health-Systeme aus.

Der weltweite Markt für mHealth soll laut einer Analyse von GSMA (Groupe Speciale Mobile Association)und PwC (PricewaterhouseCoopers) im Jahr 2017 ein Volumen von 23 Milliarden US-Dollar erreichen, wobei auf Europa 6,9 Milliarden US-Dollar entfallen. Man geht davon aus, dass bis 2017 rund 3,4 Milliarden Menschen weltweit ein Smartphone besitzen werden und jeder zweite von ihnen auch mHealth-Apps verwenden wird. Laut Schätzungen sind aktuell insgesamt rund 97.000 mHealth-Apps über verschiedene Plattformen auf dem weltweiten Markt erhältlich.

„Quantified Self“ wiederum ist ein Netzwerk von Anwendern und Anbietern von Methoden sowie Hard- und Softwarelösungen, mit denen Sportler, chronische Kranke oder Interessierte personenbezogene Daten aufzeichnen, in der Cloud speichern und auswerten können. Dabei kann man von Blutzucker über Atemfrequenz bis hin zum Body-Mass-Index alle möglichen Werte analysieren.

Die Bewegung wurde 2007 in den USA in der San Francisco Bay Area ins Leben gerufen. In Europa wurden die ersten Gruppen in Amsterdam und London im Jahr 2010 gegründet; in Deutschland gibt es mittlerweile Gruppen in Aachen, Berlin, Hamburg, Köln, München und Stuttgart.

Quellen: GSMA und PwC (2012), „Touching lives through mobile health – Assessment of the global market opportunity“
Research2Guidance (2013), „The mobile health global market report 2013–2017: the commercialisation of mHealth apps“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2015