Recht: Das Disziplinarrecht der Ärzte

10.11.2015 | Politik

Zu den rechtlichen Grundlagen eines freien Berufes zählen typischerweise auch eigene disziplinarrechtliche Regelungen. Diese sollen dazu beitragen, eine sachbezogene Aufgabenerfüllung durch die Angehörigen der betroffenen Berufsgruppe zu gewährleisten. Dieser Beitrag widmet sich überblicksartig den disziplinarrechtlichen Bestimmungen, die für die Ausübung des Arztberufes zur Anwendung gelangen und vermittelt zusammenfassend einen Einblick in die bisherige Rechtsprechung.
Von Melanie Hinterbauer-Tiefenbrunner und Johannes Zahrl*

A. Die Disziplinartatbestände des ÄrzteG 1998

Gemäß § 136 Abs 1 ÄrzteG machen sich Ärzte eines Disziplinarvergehens grundsätzlich dann schuldig, wenn sie im In- oder Ausland

  1. das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft durch ihr Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigen oder
  2. ihre ärztlichen Berufspflichten verletzen.

Eine „Beeinträchtigung des Standesansehens“ kann dabei sowohl durch ein Verhalten bewirkt werden, das unmittelbar während der Ausübung des Berufs gesetzt wird (wie etwa eine sexuelle Belästigung von Patienten anlässlich der Untersuchung) als auch im Wege eines außerberuflichen Verhaltens (so etwa durch das Lenken eines Fahrzeuges unter erheblichem Alkoholeinfluss und anschließender Bedrohung und Verletzung der amtshandelnden Polizeibeamten).

Die „Berufspflichten“ des Arztes (wie zum Beispiel die Pflicht, jede in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommene Person gewissenhaft und ohne Unterschied zu betreuen) ergeben sich insbesondere aus den Bestimmungen des ÄrzteG 1998, aber auch aus anderen berufsrechtlich relevanten Regelungen, wie etwa aus § 363 Abs 2 ASVG (Unfallmeldung), einzelnen Vorschriften des Suchtmittelgesetzes, des Arzneimittelgesetzes, des Epidemiegesetzes und anderen mehr.

In bestimmten Fällen sieht das Disziplinarrecht außerdem vor, dass ein konkretes Verhalten eines Arztes jedenfalls ein Disziplinarvergehen darstellt. Bei diesen Fällen handelt es sich gemäß § 136 Abs 2 ÄrzteG um:

  1. die Ausübung des ärztlichen Berufs, obwohl für den betreffenden Zeitraum rechtskräftig die Disziplinarstrafe der befristeten Untersagung der Berufsausübung (§ 139 Abs 1 Z 3 ÄrzteG) verhängt wurde und
  2. die vorsätzliche Begehung einer oder mehrerer strafbarer Handlungen und eine damit verbundene Verurteilung vor einem in- oder ausländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder zu einer Geldstrafe von zumindest 360 Tagessätzen bzw. zu einer Geldstrafe von mehr als 36.340 Euro.

B. Der Disziplinarrat der ÖÄK

Über Disziplinarvergehen erkennt gemäß § 140 Abs 1 ÄrzteG 1998 der Disziplinarrat der ÖÄK. Dieser setzt sich aus mehreren „Disziplinarkommissionen“ sowie rechtskundigen „Untersuchungsführern“ zusammen. Letztere haben im Auftrag einer Disziplinarkommission konkrete Erhebungen (insbesondere Zeugenbefragungen) durchzuführen, sofern die Kommission dies für die Beurteilung einer Disziplinaranzeige als notwendig erachtet. Jede Disziplinarkommission besteht aus einem Vorsitzenden, der rechtskundig sein muss, sowie aus zwei ärztlichen Beisitzern.

Die Vertretung der Anzeige im Disziplinarverfahren erfolgt durch den Disziplinaranwalt, bei dem es sich ebenso wie im Falle der Kommissionsvorsitzenden und der Untersuchungsführer um einen Juristen handeln muss. Sämtliche Mitteilungen, die bei den Ärztekammern in den Bundesländern oder bei der ÖÄK einlangen und einen vermeintlichen Verstoß gegen ärztliche Berufspflichten oder ein Verhalten zum Gegenstand haben, durch das das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft Schaden genommen haben könnte, sind zunächst dem Disziplinaranwalt zur Prüfung zuzuleiten. Ist dieser der Ansicht, dass es sich im Falle eines konkreten Sachverhalts nicht um ein Disziplinarvergehen im Sinne der ausgeführten Tatbestände handelt, oder dass eine disziplinarrechtliche Verfolgung aus bestimmten Gründen (wie etwa wegen Verjährung) ausgeschlossen ist, hat er die Anzeige zurückzulegen.

Ist der Disziplinaranwalt aber der Ansicht, dass das angezeigte Verhalten eine Beeinträchtigung des Standesansehens oder eine Verletzung von Berufspflichten darstellen könnte, so hat er bei der zuständigen Disziplinarkommission die Durchführung von Erhebungen durch den Untersuchungsführer oder – wenn solche nicht erforderlich sind – die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zu beantragen. Wird hierfür im konkreten Einzelfall eine entsprechende Weisung der Bundesministerin für Gesundheit oder des Präsidenten der ÖÄK erteilt, ist der Disziplinaranwalt zur Stellung diesbezüglicher Anträge jedenfalls verpflichtet.

C. Neuerungen im Rechtschutz

Bis einschließlich 31.12.2013 war zur Entscheidung über Rechtsmittel, die gegen Erkenntnisse und Beschlüsse des Disziplinarrates erhoben wurden, der „Disziplinarsenat“ der ÖÄK berufen. Mit 1.1.2014 sind an diese Stelle die in den einzelnen Bundesländern neu eingerichteten Landesverwaltungsgerichte getreten. Erledigungen des Disziplinarrates können seither im Wege einer „Beschwerde“ an das örtlich zuständige Landesverwaltungsgericht bekämpft werden. Das Verwaltungsgericht entscheidet – anders als die Disziplinarkommissionen – im Wege eines Einzelrichters ohne ärztliche Laienbeteiligung. Disziplinarstrafen, die mit Erkenntnis eines Landesverwaltungsgerichts verhängt werden, sind ab dem Zeitpunkt ihrer Zustellung an den Disziplinarbeschuldigten grundsätzlich verbindlich und im Verwaltungsweg vollstreckbar. Gegen eine Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts wäre allenfalls noch eine an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde bzw. eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof denkbar.

D. Auszugsweise Darstellung rechtskräftiger Erkenntnisse

1. Die Beeinträchtigung des Ansehens der in Österreich tätigen Ärzteschaft (§ 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG)

Die Disziplinarbehörden bzw. die nunmehr zuständigen Verwaltungsgerichte sahen eine Verletzung des Ansehens der in Österreich tätigen Ärzteschaft beispielsweise in folgenden Fällen verwirklicht:

  • Herabwürdigung anderer Gutachter vor Gericht oder im Rahmen eigener Gutachten durch abfällige Bezeichnung eines anderen Gutachtens als „Elaborat“ sowie durch Bezeichnung der gutachterlichen Schlussfolgerungen als „theoretische Phantastereien, die jede praxisnahe Erfahrung vermissen lassen“, sowie als „schwammige hyperthetische Formulierungen“.
  • Posten eines Fotos auf Facebook, das einen Arzt im OP zeigt, mit der Erklärung: „Es ist 0:30 Uhr, nur für die, die glauben, wir schlafen in der Nacht“, wobei zusätzlich auf dem Foto der Patient auf dem OP-Tisch zu sehen war.
  • Einbringen einer Anregung an das zuständige Gericht, es möge die Einleitung einer Sachwalterschaft für den ehemaligen Schwiegervater prüfen, obwohl kein persönlicher Kontakt mehr bestand und sich auch keinerlei Anhaltspunkte für psychische Erkrankung oder geistige Behinderung zeigten.
  • Sexuelle Belästigung einer Patientin, die im Ausland außerdem zu einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung geführt hat.
  • Werbeeinschaltung in Form von Abbildungen in ärztlicher Berufskleidung in Kombination mit Skibrille und in Kombination mit Tiroler Hut samt Wanderrucksack und Skistöcken. Die neben diesen Abbildungen enthaltenen allgemeinen Informationen über den Fachbereich Chirurgie und Sporttraumatologie und die Kontaktadresse der Ordination vermögen nichts daran zu ändern, dass die Aufmerksamkeit des Betrachters ausschließlich durch die Abbildung des Arztes in „Kostümierung“ erweckt wurde, sodass damit der Zweck zulässiger Werbung, nämlich eine sachliche Information über angebotene Dienstleistungen, nicht erfüllt wurde.
  • Störung einer wissenschaftlichen Tagung in einem Ausmaß, dass der Beschuldigte von der Polizei aus dem Tagungsraum entfernt werden muss.
  • Verwendung des Götz-Zitats.
  • Anbieten einer ästhetischen Behandlung auf einer Internetseite, die dabei behilflich sein soll, die Kosten privatärztlicher Leistungen zu vergleichen, um 2.600,- statt 5.600,- Euro, da die Gewährung eines derartig hohen Rabatts als aufdringliche und marktschreierische Selbstanpreisung im Sinne der Bestimmungen der Verordnung der ÖÄK über die Art und Form zulässiger ärztlicher Information in der Öffentlichkeit (Arzt und Öffentlichkeit 2014) zu qualifizieren ist.
  • Bewerben der angebotenen ärztlichen Leistungen, insbesondere ästhetischer Behandlungen, im Rahmen des beruflichen Internetauftritts unter dem Titel „Happy hour. Nimm 2 zahle 1.“
  • Werbeaussage des Beschuldigten, er verfüge über langjährige Erfahrung mit Schwangerschaftsabbrüchen; er sei in den frühen 1970er Jahren ein Pionier gewesen, der bereits Abbrüche durchführte, als es gesetzlich noch nicht erlaubt war.
  • Versuchter „Handel“ mit einer Anwartschaft auf eine Kassenplanstelle.
  • Herabsetzung der in Österreich tätigen Zahnärzte in einem Leserbrief durch die Behauptung, diese hätten nur eine zweijährige Lehre absolviert.
  • Ausübung der ärztlichen Tätigkeit unter erkennbarem Alkoholeinfluss einschließlich der Beschimpfung von Patienten und Berufskollegen.
  • Werbeinitiative für eine ärztliche Leistung (hier: Botox-Behandlung) unter wiederholter Einschaltung von Lichtbildern der eigenen Person, noch häufigerer Anführung des eigenen Namens und Anbieten eines „Sensationspreises für die ersten 100 Interessenten.
  • Das Aufrufen pornographischer Seiten im Internet während der Ordinationszeiten – unabhängig davon, ob dieses Verhalten an die Öffentlichkeit gelangt oder (nur) vom Ordinationspersonal wahrgenommen wird.
  • Öffentliche Äußerung der Vermutung, dass die Ablehnung der eigenen Behandlungsmethode durch Berufskollegen aus Neid geschehe.
  • Verursachen einer schweren Körperverletzung an einer Fußgängerin beim Lenken eines PKW und anschließender Fahrerflucht.

2. Verletzung von Berufspflichten (§ 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998)

Folgende Verhaltensweisen waren nach Ansicht der Disziplinarbehörde bzw. der Verwaltungsgerichte als Verletzung von Berufspflichten zu qualifizieren:

  • Verwendung des Titels „Oberarzt“ auf dem Ordinationsschild, im aktuellen Telefonbuch und auf diversen Formularen, ohne tatsächlich die Funktion eines Oberarztes auszuüben.
  • Unterlassen einer grundsätzlich notwendigen Spitalseinweisung eines Kleinkindes auf Wunsch der Eltern, die den Entzug der Obsorgeberechtigung befürchteten, wobei das Kind in häuslicher Pflege schließlich verstarb.
  • Führung des Berufstitels eines Gastprofessors an einer ausländischen Einrichtung in folgender zur Verwechslung mit inländischen Amts- oder Berufstiteln geeigneter Form wie „Prof.“ oder „Prof. invit. UAG“ ohne Genehmigung des zuständigen österreichischen Bundesministers.
  • Verstoß gegen die Umlagenordnung der Ärztekammer.
  • Ausführlicher Hinweis im Rahmen des eigenen Internetauftritts, dass die angebotene ästhetische Behandlungsmethode von „angesehenen Wissenschaftlern“ einer renommierten US-amerikanischen Universität entwickelt wurde und die Lizenzvergabe exklusiv durch eine Lehreinrichtung dieser Universität erfolge (Verstoß gegen die Werbebeschränkung des ÄsthOpG).
  • Betrauung von Nicht-Ärzten (Ordinationsgehilfinnen) mit Behandlungen, die ausschließlich Ärzten vorbehalten sind.
  • Verweigerung der Herausgabe einer Krankengeschichte trotz gerichtlichen Auftrags.
  • Systematische Abrechnung nicht erbrachter Leistungen gegenüber dem zuständigen Versicherungsträger.
  • Ausstellen von Arbeitsunfähigkeitsbestätigungen ohne vorherige Durchführung der notwendigen Untersuchungen.
  • Ausübung einer freiberuflichen ärztlichen Tätigkeit ohne Abschluss und Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung, die den gesetzlichen Vorgaben (§ 52d ÄrzteG) entspricht.
  • Ungerechtfertigte Verweigerung eines spezifischen „Vor-Ort-Besuches“ in den Räumlichkeiten der ärztlichen Ordination durch die ÖQmed gemäß § 38 der Verordnung der ÖÄK zur Qualitätssicherung der ärztlichen Versorgung durch niedergelassene Ärzte und Ärztinnen sowie Gruppenpraxen (Qualitätssicherungsverordnung 2012 – QS-VO 2012).

Über aktuelle Judikate wird in den nächsten Ausgaben der ÖÄZ laufend berichtet.

*) Mag. Melanie Hinterbauer-Tiefenbrunner ist Juristin in der ÖÄK; Dr. Johannes Zahrl ist Kammeramtsdirektor der ÖÄK

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2015