Risikofaktoren bei TIA: Ursachenforschung

25.01.2015 | Medizin

Bis zu 30 Prozent aller Betroffenen entwickeln erst kurz vor einem Insult eine TIA. Das Wissen um die Risikofaktoren ist nicht nur im Hinblick auf die Primärprävention entscheidend, sondern auch für die Identifizierung der Pathogenese und entsprechende Strategien bei der Sekundärprävention.
Von Irene Mlekusch

Rund 25 Prozent aller akuten zerebrovaskulären Erkrankungen sind TIAs. „Die Symptome per se unterscheiden sich nicht von jenen bei einem tatsächlichen Schlaganfall“, erklärt Univ. Doz. Hans-Peter Haring von der Abteilung für Neurologie der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in Linz. Haring – er ist auch Präsident der Österreichischen Schlaganfallgesellschaft – macht jedoch darauf aufmerksam, dass eine TIA in der Regel nur wenige Augenblicke dauert und sich gänzlich zurückbildet. „Die Akutbehandlung muss sich am Vorgehen beim Schlaganfall orientieren. Insbesondere ist eine rasche Diagnose zwingend“, empfiehlt Allgemeinmediziner Reinhold Glehr, Präsident der ÖGAM (Österreichische Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin). Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass etwa zwölf bis 30 Prozent der Patienten erst kurz vor einem Insult eine TIA entwickeln.

Beide Experten fordern zur Abklärung unter anderem eine neurologische Begutachtung und ein bildgebendes Verfahren. „Die TIA wirft differentialdiagnostische Fragen auf“, weiß Haring und verweist auf die moderne funktionelle Bildgebung wie das diffusionsgewichtete MRI, die gezeigt hat, dass eine TIA mit einer Diffusionsstörung entsprechend einer Hirnischämie einhergehen kann. Ungefähr ein Drittel aller TIAs geht mit einem irreversiblen ischämischen Gewebeschaden einher, wobei 96 Prozent aller TIA-assoziierten Infarkte ein Areal von weniger als einen Milliliter betreffen. Patienten mit einer positiven TIA in der Bildgebung weisen allerdings ein 20-mal höheres Insultrisiko auf, also solche mit einer TIA ohne Diffusionsstörung. Haring sieht somit in der Differenzierung zwischen TIA mit und ohne Diffusionsstörungen einen wesentlichen Beitrag zur Risikoeinschätzung.

Das Wissen um die Risikofaktoren der TIA ist nicht nur in Bezug auf die Primärprävention entscheidend, sondern auch im Hinblick auf die Identifizierung der Pathogenese, denn sie ermöglicht individuell angepasste Strategien in der Sekundärprävention. Trotz aller Bemühungen und Untersuchungen bleiben aber bis zu 30 Prozent aller zerebralen Ischämien ungeklärt. „Klinische Risikostratifizierungstools wie beispielsweise der ABCD2-Score liefern bei einer sorgfältigen Anamnese keine zusätzlichen Informationen“, betont Haring.

Differentialdiagnostisch sollte man sich bewusst sein, dass einige Erkrankungen das klinische Bild einer TIA oder eines Schlaganfalls überlagern oder imitieren können. Hierzu zählen Hypo- und Hyperglykämie, Hypotonie und hypertone Krise, Fieber – vor allem im Zustand der Dehydration, Epilepsie, durch Hirntumore oder Hirnmetastasen bedingte neurologische Ausfälle, Subarachnoidalblutung, Enzephalitis und Meningitis, Sinus- oder Hirnvenenthrombosen, Migräne, diverse spinale Erkrankungen oder Läsionen peripherer Nerven, Commotio oder Contusio cerebri nach einem Trauma, Intoxikationen, Elektrolytentgleisungen und psychogene Lähmung.

Effizienteste Prävention: Blutdruckmessung

Glehr sieht in der Senkung des Blutdrucks die effektivste Einzelmaßnahme zur Primär- und Sekundärprävention. Eine antihypertensive Therapie reduziert das Rezidivrisiko nach einem ischämischen Insult um ungefähr 30 Prozent. Der therapeutische Korridor des Zielblutdrucks sollte unter Berücksichtigung der Komorbiditäten zwischen 120/70 mmHg und 140/90 mmHg liegen, wobei Werte über 140/90 mmHg mit einem erhöhten Risiko für einen Rezidivinsult, Werte unter 120/70 mmHg mit einem etwas erhöhten Mortalitätsrisiko einhergehen. Die beste wissenschaftliche Evidenz liegt für die Behandlung mit ACE-Hemmern vor.

Die Hyperlipidämie gilt ebenfalls als Risikofaktor für eine TIA und einen Insult. Die Sterblichkeit kann bei Patienten mit vaskulären Erkrankungen durch eine Behandlung mit Statinen um zehn Prozent reduziert werden; die kardiovaskuläre Sterblichkeit um 20 Prozent sowie die Insulthäufigkeit um 14 Prozent. Grundsätzlich gilt: Je höher das vaskuläre Risiko eines Patienten ist, umso höher ist der therapeutische Nutzen der Statine. Als Sekundärprävention wird die Statinbehandlung bei einem LDL-Cholesterinwert von 100 mg/dl oder mehr empfohlen. Ziel ist die Senkung des Ausgangswertes um mindestens 50 Prozent oder bis zu einem Wert von weniger als 70 mg/dl. „Der erste Schritt ist immer eine Statintherapie“, weiß Univ. Prof. Thomas Wascher, Leiter der Diabetologie an der 1. Medizinischen Abteilung am Hanusch Krankenhaus in Wien, sowie Vorsitzender der österreichischen Diabetesgesellschaft. Wascher macht jedoch darauf aufmerksam, dass diese Therapie nicht für alle Patienten geeignet ist, weil sich diese nur schwer oder zum Teil gar nicht einstellen lassen. Auch nach einer Hirnblutung ist der Einsatz von Statinen nicht empfehlenswert. „Als zweiter Schritt kann eine Behandlung mit Ezetimib versucht werden“, so Wascher.

Bisher gibt es keine Evidenz aus randomisierten Studien, dass Nicotinsäurederivate oder Ezetimib bei Patienten nach einem ischämischen Insult oder einer TIA wirksam sind. Als dritte Behandlungsoption werden in Zukunft voraussichtlich PCSK-9-Hemmer verfügbar sein. Diese monoklonalen Antikörper führen zur vermehrten Expression von LDL-Rezeptoren und senken somit den LDL-Spiegel dramatisch. „Bei einer subkutanen Verabreichung alle vier Wochen wird eine 50-prozentige Senkung des LDL-Cholesterins erreicht“, erklärt Wascher. Wie der Experte weiter ausführt, ist diese Therapie jedoch einerseits nicht für alle Patienten geeignet und andererseits sehr kostenintensiv.

Vorhofflimmern bei Diabetes

Auch Diabetes mellitus wird als einer der wichtigen Risikofaktoren für TIA und Schlaganfall angesehen. Wascher sieht die Gefahr aber nicht im Diabetes an sich, sondern im erhöhten atherothrombotischen Risiko der Diabetiker. Des Weiteren ist das Risiko für Vorhofflimmern bei Diabetikern um ein Zwei- bis Vierfaches erhöht. „Leider steht das Vorhofflimmern beim Diabetiker noch wenig im Blickfeld“, bedauert Wascher. Aktuelle Studien konnten zeigen, dass nicht die Hyperglykämie und damit im Zusammenhang stehend ein aggressives Management der Glucose einen Einfluss auf ischämische zerebrale Ereignisse haben, sondern die mit dem Diabetes einhergehenden Veränderungen des Lipidstoffwechsels. Vor allem bei nicht Insulinabhängigen Diabetikern finden sich signifikant erhöhte Triglyceride und ein erniedrigtes HDL-Cholesterin. Derzeit geht man davon aus, dass sich vor allem Diabetiker, die jünger als 70 Jahre sind, für ein niedriges HDL-Cholesterin prädestinieren, was wiederum mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko assoziiert ist. Bis zu 53 Prozent aller Personen mit einem rezenten ischämischen Insult oder einer TIA leiden an Prädiabetes. Somit reicht die Abklärung des Nüchternblutzuckers allein nicht aus, um den Risikofaktor Diabetes abzuklären. Ein oraler Glucose-Toleranztest und die Bestimmung des HbA1c können helfen, Prädiabetes aufzudecken und auf diese Weise einen wesentlichen Beitrag zur Primär- und Sekundärprävention zu leisten.

Embolien: Ursache für zwei Drittel aller Insulte

Etwa 60 Prozent aller Schlaganfälle werden durch Embolien verursacht, wobei bis zu 30 Prozent dieser Ereignisse kardiogenen Ursprungs sind. Vorhofflimmern gilt ganz allgemein als größter Risikofaktor für einen ischämischen Insult und wird für mindestens 15 Prozent der Schlaganfälle verantwortlich gemacht. Vor allem Menschen über 75 Jahre haben – wenn sie an Vorhofflimmern leiden – ein erhöhtes Insultrisiko. Sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprävention ist bei Vorhofflimmern eine orale Antikoagulation angezeigt, da sich dadurch das Schlaganfallrisiko um bis zu 60 Prozent senken lässt. Andere kardiogene Risikofaktoren sind ein Myokardinfarkt mit linksventrikulärem Thrombus, eine dilatative Kardiomyopathie, eine rheumatische Klappenerkrankung, Herzklappenprothesen, eine infektiöse Endokarditis, ein rezenter Myokardinfarkt bei Hochrisikopatienten sowie ein offenes Foramen ovale oder atriale Septum-Abnormitäten. Zeigt ein Patient zusätzlich zu den für eine TIA typischen Symptomen außerdem noch Fieber und Herzgeräusche, muss in jedem Fall eine Endokarditis ausgeschlossen werden. Die Makro- und Mikroangiopathie stellt in Form einer Aortensklerose, Stenose der extra- und intrakraniellen Carotiden oder auch Vertebralisstenosen einen weiteren Risikofaktor dar. In mehreren Studien zeigte sich ein erhöhtes Risiko für wiederkehrende Insulte beim Vorliegen einer komplexen Aortensklerose – vor allem bei Aortenplaques, die mehr als vier Millimeter messen und als mobil imponieren. Liegt eine asymptomatische Carotisstenose vor, sollten trotzdem andere Risikofaktoren eruiert und nötigenfalls behandelt werden. Die Indikation zur Endarteriektomie sollte bei höchstgradigen asymptomatischen Stenosen dem individuellen Insultrisiko entsprechend gestellt und mit dem Patienten besprochen werden. Bereits symptomatische mittel- bis höchstgradige Carotisstenosen sind in jedem Fall einer operativen Sanierung zuzuführen. Bisweilen wird eine frühzeitige Intervention – am besten innerhalb von zwei Wochen nach Einsetzen der Symptome – empfohlen, um einen bestmöglichen Operationsnutzen zu erzielen. Einige hämatologische Erkrankungen können das Risiko für eine TIA oder einen Schlaganfall erhöhen. Dazu gehören das Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom, genetisch fixierte Thrombophilien und die Sichelzellanämie. Angeborene Thrombophilien sind eher seltene Ursachen für ischämische Schlaganfälle bei Erwachsenen, können aber beim Insult im Kindesalter eine wesentliche Rolle spielen. Liegt eine Sichelzellanämie vor, so stellen TIA und Schlaganfall eine häufige Komplikation bei Kindern und Erwachsenen dar. Das Schlaganfallrisiko kann in diesem Fall durch eine Transfusionstherapie oder eine Behandlung mit Hydroxyurea reduziert werden.

Modifikation von Risikofaktoren

Nicht modifizierbare Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, ethnische Prädispositionen oder die Familienanamnese stehen den modifizierbaren Lebensstilfaktoren gegenüber. Man geht davon aus, dass ungefähr 80 Prozent aller Rezidive durch eine Kombination aus Bewegung, Ernährungsumstellung, Rauchentwöhnung, Antikoagulation sowie Blutdruck- und Cholesterinsenkung verhindert werden können. Ein körperlich aktiver Lebensstil korreliert umgekehrt proportional mit kardiovaskulären Erkrankungen und Schlaganfällen, wobei vor allem Männer von hoher bis moderater körperlicher Betätigung in Bezug auf ihr Schlaganfallrisiko profitieren. Eine Rauchentwöhnung sollte sowohl primär- als auch sekundärpräventiv empfohlen werden, da das Rauchen das Insultrisiko relativ um den Faktor 1,5 erhöht. Das Risiko ist für Frauen vergleichsweise höher und steigt mit dem Alter und der Anzahl der gerauchten Zigaretten. Frauen, die ein erhöhtes Schlaganfallrisiko aufweisen, sollte grundsätzlich von einer Hormonersatztherapie oder oraler Kontrazeption abgeraten werden.

Glehr zur Rolle des Allgemeinmediziners bei der Abklärung der Risikofaktoren für eine TIA: Im Fall der Erstinformation über die Symptome an den Hausarzt (telefonisch oder in der Ordination) ist unmittelbar eine stationäre Einweisung zu organisieren. Die Mitarbeiter sollten darauf geschult sein, bei Verdacht auf ein akutes zerebrales Geschehen – beispielsweise bei einem Anruf oder bei der Anmeldung in der Ordination – unmittelbar den Arzt zu informieren. Nach erfolgter notfallsmäßiger Abklärung liegt die Sekundärprävention mit Medikation, Lebensstiländerung und Kontrollen wesentlich in den Händen der Hausärzte. Liegen die beschriebenen Symptome schon einige Tage zurück, ist es meist notwendig, ein Problembewusstsein zu schaffen und dem Betroffenen die Bedrohung durch einen schweren Schlaganfall zu vermitteln. Dies sei nicht immer leicht, da bei älteren Patienten häufig bereits beginnende dementielle Veränderungen vorliegen, weiß Glehr. Wenn eine halbseitige Gefühlsstörung oder Lähmung, Sprachstörung oder kurzzeitige Sehstörung berichtet wird – auch wenn sie bereits einige Tage zurückliegt – sollte eine neurologische Abklärung durch einen Facharzt erfolgen. Weiters sind eine kardiologische Abklärung von eventuellen Rhythmusstörungen sowie eine Echokardiographie sinnvoll.

Typische Symptome einer TIA

  • Hängender Mundwinkel
  • Sprach- oder Sprechstörung (Aphasie oder Dysarthrie)
  • Schwäche/Ungeschicklichkeit in Arm und/oder Bein
  • Halbseitiges Taubheitsgefühl in Arm und/oder Bein
  • Flüchtige Sehstörung an einem Auge (Amaurosis fugax) oder einer Gesichtsfeldhälfte (Hemianopsie)
  • Schwindel und/oder Doppelbilder

Quelle: Univ. Doz. Hans-Peter Haring

Hilfreiche Untersuchungen bei Verdacht auf TIA

  • CT – besser MRI/MRA
  • EKG, eventuell 24-Stunden-EKG
  • Duplexsonographie der extracraniellen Carotiden und/oder TCD
  • Blutdruck
  • TTE und/oder TEE
  • Labor mit Glucose- und Lipidstatus
  • Internistische Abklärung
  • Neurologische Abklärung
  • Ophthalmologische Abklärung bei Amaurosis fugax

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2015