Medikamente in der Schwangerschaft: Was? Wann? Wieviel?

10.06.2015 | Medizin

Zu den häufigsten Beschwerden in der Schwangerschaft zählen Übelkeit, grippaler Infekt, Kopf- oder Kreuzschmerzen. Sollte eine medikamentöse Therapie erforderlich sein, sind die Wahl des Mittels sowie die Dosis entscheidend.
Von Verena Isak

Speziell in der Frühschwangerschaft werden viele Frauen von Übelkeit geplagt. „In schweren Fällen kann Metoclopramid verschrieben werden“, sagt Univ. Prof. Dagmar Bancher-Todesca von der Abteilung für Geburtshilfe der Medizinischen Universität Wien. Ansonsten empfiehlt sie Ingwerwurzel als Antiemetikum. In der Spätschwangerschaft hingegen leiden viele Schwangere an geschwollenen Beinen und Lymphstau. „Durch eine Salzreduktion und das Hochlagern der Beine oder Kompressionsstrümpfe können sich die Beschwerden bessern. Mit Medikamenten kann man dagegen allerdings nicht so viel machen“, erklärt sie.

Auch Beschwerden mit dem Bewegungsapparat beziehungsweise mit der Wirbelsäule stehen gegen Ende der Schwangerschaft im Vordergrund. „Der ganze Bandapparat ist aufgelockert. Dadurch sind die Geburtswege flexibler, jedoch kommt es so auch leichter zu Schmerzen“, ergänzt Univ. Prof. Gernot Tews. Bei Schmerzen oder Fieber ist Paracetamol das Mittel der Wahl, so Bancher-Todesca. Die Tageshöchstdosis beträgt zwei Gramm. Erst ab der 30. Schwangerschaftswoche wird die Einnahme von NSARs problematisch, da dies in seltenen Fällen zum Verschluss des Ductus Botalli führen kann. „Hin und wieder eine Tablette ist kein Problem. Die regelmäßige Einnahme von etwa drei bis vier Tabletten pro Tag über zwei Wochen hingegen schon. Schmerzmittel in dieser Zeit sollten auf das absolute Minimum reduziert werden“, betont Tews.

Kommt es zu einem bakteriellen Infekt, muss dieser unbedingt behandelt werden. „Altbewährte Antibiotika wie etwa Penicillin G oder Ampicillin, können problemlos verschrieben werden“, sagt er. Wichtige Informationen zu in der Schwangerschaft verträglichen Antibiotika sowie Berichte über Fehlbildungen findet man in der Datenbank von ENTIS, den European Network of Teratology Information Services. Alternativ dazu – etwa bei einem Penicillin-resistenten Bakterium oder einer Allergie – können Cephalosporine verabreicht werden. Außerdem wird bei einer Resistenz ein Antibiogramm erstellt. Nicht immer ist auch eine systemische Gabe notwendig: „Bei einer bakteriellen Vaginose werden vor allem in der Frühschwangerschaft Antibiotika lokal eingesetzt“, erläutert Bancher-Todesca.

Es gibt einen allgemeinen Konsens darüber, ob und welche Präparate in der Schwangerschaft eingenommen werden dürfen. Tews dazu: „Es gibt zwei Extrempositionen, was die Medikamenteneinnahme von Schwangeren betrifft – nämlich, dass jedes Medikament eingenommen werden kann oder dass jedes schädlich ist.“ Letztere Variante „führt zu Abbrüchen, die nicht notwendig wären“, während erstere „meistens, aber nicht immer, ok ist. Allerdings ist es wichtig, nur so wenig als notwendig zu nehmen.“ „Die Hemmschwelle ist oft höher als notwendig. Man kann mehr geben, als man denkt“, führt Bancher-Todesca aus. Zwar steht im Beipackzettel oft, dass das jeweilige Medikament nicht für Schwangere empfohlen ist, doch das liegt daran, dass es diesbezüglich keine Daten gibt, da keine Studien an Schwangeren gemacht werden. Dennoch sei es wichtig, „der Frau klar zu machen, nur nach Rücksprache mit dem Arzt ein Medikament zu nehmen“, so die Expertin.

In den ersten vier Schwangerschaftswochen, also in der Zeit, in der Frauen oft noch nichts von ihrer Schwangerschaft wissen, gilt das Alles-oder-Nichts-Prinzip, wie Tews erläutert. „Entweder es kommt zu einem unbemerkten Abort oder der Embryo erleidet keinen Schaden durch das Medikament.“ Problematisch wird es allerdings, wenn das eingenommene Medikament eine lange Halbwertszeit hat, wie das zum Beispiel bei Retinoiden der Fall ist. Hier kann es zu einem teratogenen Effekt auf den Embryo kommen, da das Präparat länger wirkt. Da sämtliche Organanlagen ausgebildet werden, ist der Organismus in der Embryonalzeit sehr sensibel für Fehlbildungen. Kommt es in dieser Zeit zur Einnahme eines potentiell teratogenen Medikaments, so ist die Überweisung an eine auf Reproduktionstoxikologie spezialisierte Ambulanz indiziert, um die möglichen Risiken abzuklären, rät Bancher-Todesca. Eines der bekanntesten Beispiele ist der VEGF-Hemmer Thalidomid, besser bekannt unter seinem Handelsnamen Contergan, der zu schweren Fehlbildungen der Gliedmaßen oder inneren Organe führt. Auch Retinoide, die etwa zur Behandlung von Akne eingesetzt werden, sind in der Schwangerschaft kontraindiziert. Nach der 12. Schwangerschaftswoche kann es zwar nicht mehr zu Organschäden kommen, aber zu funktionellen Fehlbildungen wie etwa zu Zahnschäden durch Tetrazykline.

50 Prozent ungeplant

Nimmt eine Frau, die ein Kind bekommen möchte, ein teratogenes Medikament als Dauermedikation ein, sollte schon vor der Schwangerschaft der Wechsel auf ein anderes Medikament erfolgen. Außerdem ist etwa die Hälfte der Schwangerschaften ungeplant. „Valproinsäure, Carbamazepin und Lithium sind in der Schwangerschaft kontraindiziert, andere Phasenprohylaktika und Antiepileptika hingegen nicht. Auch bei Antidepressiva gibt es gut verträgliche wie beispielsweise Amitryptilin, Citalopram, Sertralin, Nortriptylin oder Imipramin“, nennt Bancher-Todesca einige Beispiele. Es ist immer wichtig, eine Nutzen-Risiko-Abwägung zu machen. „Frauen haben oft Angst, sie könnten ihrem Kind durch das Medikament schaden. Bei Frauen mit Diabetes mellitus etwa profitiert das Kind durch die Insulingabe, da die Hyperinsulinämie so gehemmt wird.“

Anders ist das hingegen in der onkologischen Therapie. Wird die Diagnose erst während der Schwangerschaft gestellt, gibt es zwei Möglichkeiten: „Entweder es erfolgt ein Abbruch, oder man wartet, bis das Kind nicht mehr embryonalempfindlich ist, und beginnt dann mit der Chemotherapie. Danach kann es noch zu funktionellen Schädigungen kommen, zum Beispiel durch Strahlentherapie, aber das ist sehr selten“, erläutert er. Dennoch: „Die Entscheidung liegt bei der Mutter“, betont der Experte.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2015