Kinderorthopädie: Weniger Therapie ist oft mehr

25.03.2015 | Medizin

Während in der Erwachsenenorthopädie hauptsächlich degenerative Veränderungen des Bewegungsapparates behandelt werden, ist die Kinderorthopädie hingegen mit Problemen konfrontiert, die das Wachstum und die normale Entwicklung des Kindes nachteilig beeinflussen. In der Kinderorthopädie sind es eher die seltenen Probleme, die eine Therapie erfordern. Von Verena Ulrich

Postnatal sind durch intrauterinen Platzmangel verursachte Fußfehlhaltungen sowie Körper- und Schädelasymmetrien nicht selten. Diese sind jedoch innerhalb von Tagen bis Wochen reversibel“, erklärt Univ. Prof. Gerhardt Steinwender von der Klinischen Abteilung für Kinderorthopädie an der Medizinischen Universität Graz.

Bei den Fußdeformitäten im Säuglingsalter handelt es sich meist um Hacken- und Sichelfüße. Die Korrektur dieser Fehlstellung kann durch massageartige Bewegungen langsam und durch kurzzeitige Gips-Redressierung rasch beschleunigt werden. Eine operative Lösung ist nur in seltenen Fällen erforderlich. Hüftreifungsstörungen kommen häufig vor. „Dank des Hüftultraschalls im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung sind die Hüftdysplasie und Hüftluxation als Folge der Hüftreifungsstörung zum Glück selten geworden. Dennoch ist eine Abklärung durch den Kinderorthopäden ratsam“, empfiehlt Steinwender. Bestimmte Hüftreifungsstörungen können durch eine Abspreizbehandlung mittels Schiene therapiert werden. Andere wiederum erfordern eine Abspreizung mittels Gipsverbandes, der manchmal auch einer Extensionbehandlung vorangeht.

Klumpfuß: Therapie ohne OP

Eine der häufigsten angeborenen Extremitäten-Fehlbildungen ist der kongenitale Klumpfuß. Pro 1.000 Neugeborene kommen ein bis zwei Kinder mit diesem Krankheitsbild zur Welt. Beim Klumpfuß handelt sich um eine komplexe dreidimensionale Fußfehlstellung, die meist mit einer Einwärtsdrehung des Fußes und Anomalien der Unterschenkelmuskulaturb einhergeht. Zum Krankheitsbild gehört der Spitzfuß mit verkürzter Achillessehne. „Die korrekte Frühbehandlung gleich nach der Geburt ist wichtig, um spätere Gehbehinderungen zu vermeiden“, betont Univ. Doz. Rudolf Ganger von der Abteilung für Kinderorthopädie und Fußchirurgie im Orthopädischen Spital Speising in Wien. Laut dem Experten habe sich der Therapieansatz beim Klumpfuß in den vergangenen Jahren komplett geändert. Wurden früher 80 bis 90 Prozent der Kinder „mit einer mittelgroßen Operation behandelt, ist mit der neuen Ponseti-Methode lediglich eine Gipsredression verbunden mit einem minimalen Eingriff nötig“, erläutert Ganger. Die Technik nach Ignacio Ponseti sieht nach vier bis fünf Gipsen, die wöchentlich gewechselt werden, eine Durchtrennung der Achillessehne zum Ausgleich des Spitzfußes vor. Nach erfolgreicher Gipsbehandlung und perkutaner Achillotomie wird eine konsequente Schienenbehandlung bis zum vierten Lebensjahr empfohlen. Um etwaige Restdeformitäten rechtzeitig zu behandeln, sind laut Ganger regelmäßige Kontrollen von großer Wichtigkeit.

Hinken: ernst nehmen

Jede Asymmetrie der Fortbewegung weist auf eine Störung hin. Auffällige Gangbilder können sowohl orthopädische als auch neurologische Ursachen haben, die eine sorgfältige Differentialdiagnose erfordern. Hinken bei Kindern sollte jedenfalls immer ernst genommen werden. „Die häufigste Ursache für Hinken bei Kindern zwischen drei und acht Jahren ist die Coxitis fugax, auch transiente Synovitis oder umgangssprachlich ‚Hüftschnupfen’ genannt“, weiß Steinwender. Dabei handelt es sich um eine abakterielle entzündliche Reizarthritis des Hüftgelenkes, der meist ein viraler Infekt vorausgeht. Eine spontane Heilung tritt meist innerhalb weniger Tage ohne Behandlung ein. Empfehlenswert sind rund fünf bis sieben Tage und die Gabe von nichtsteroidalen Antirheumatika. „Aufgrund der klinischen Symptome sollten die septische oder rheumatoide Arthritis und die Osteomyelitis differentialdiagnostisch abgegrenzt werden. Ebenso sollten anatomische Ursachen wie Frakturen oder Beinlängendifferenzen bedacht werden“, so Steinwender. Kommt es zur Verzögerung der motorischen Meilensteine sowie bei andauerndem Hinken muss an eine neuromuskuläre Ursache wie Zerebralparese, Tumore des zentralen Nervensystems oder an eine Muskeldystrophie gedacht werden. „Während die transiente Synovitis durch den niedergelassenen Arzt behandelt werden kann, sind die übrigen Ursachen dem Kinderorthopäden vorzustellen“, rät Steinwender.

Knick-Senkfuß wächst sich aus

Eine weitere kinderorthopädische Fehlbildung ist der Knick-Senkfuß. Ganger dazu: „Der Knick-Senkfuß wird in der Regel zu häufig behandelt. Es ist physiologisch bedingt, dass Kinder ab Gehbeginn bis zum Alter von zehn Jahren zumindest einen mittelgradigen Knick-Senkfuß haben, der sich mit der Zeit auswächst.“ Ebenso verhält es sich laut dem Kinderorthopäden mit Beinachsen-Fehlstellungen. „Kinder haben im Alter von vier bis sechs Jahren meistens betonte X-Knie, die ebenfalls keiner Behandlung bedürfen. Auch Beinlängendifferenzen bis zu einem Zentimeter müssen nicht ausgeglichen werden.“ Der Experte erachtet es für wichtig, dass diese Diagnosen nicht in zu viel Röntgen, Kontrollen und Therapie ausarten. „Wir müssen das Bewusstsein schaffen, welche Fehlstellungen in welchem Alter normal sind und wann weitere Behandlungen indiziert sind. In der Kinderorthopädie sind es eher die seltenen Probleme, die eine Therapie nötig machen“, betont Ganger.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2015