Interview – Katharina Pils: Alterstraumatologie: Österreich ist Vorreiter

25.02.2015 | Medizin

In der Alterstraumatologie ist Österreich im Vergleich zu den Nachbarländern voraus: Die Betreuung nach einem Trauma erfolgt ganzheitlich. Details dazu erläutert im Vorfeld des 10. Gemeinsamen Österreichisch-Deutschen Geriatriekongresses dessen Präsidentin, Katharina Pils, im Gespräch mit Verena Ulrich.

ÖÄZ: Das Motto des diesjährigen Kongresses lautet „Public Health für eine alternde Gesellschaft“. Warum?
Pils: Der Kongress widmet sich dem breiten Spektrum von Grundlagenforschung über klinische Diagnostik, Therapie und Rehabilitation bis hin zur Bedeutung von sozialen Strukturen und qualitätssichernden Maßnahmen. Wir wollen alle Vertreter und beteiligten Berufsgruppen der Geriatrie zusammenbringen und den Austausch fördern. Daher haben wir das sehr breite Motto „Public Health für eine alternde Gesellschaft“ gewählt, unter dem wir die Gerontologie und Geriatrie ganzheitlich betrachten wollen. Nur wenn wir uns um die Vernetzung zwischen allen Bereichen bemühen, werden wir den Herausforderungen, vor die uns der demografische Wandel stellt, begegnen können.

Welchen inhaltlichen Schwerpunkten wird sich der Kongress widmen?
Neben den klassischen Themen wie zum Beispiel Diabetes, Demenz, Rheumatologie, Schmerz und Polypharmazie bekommen Grenzgebiete zwischen Medizin und Betreuung mehr Raum. Beispielsweise werden wir uns mit der Betreuung von pflegenden Angehörigen beschäftigen. Dieser Gruppe hat man lange nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Wenn wir nachhaltige Gesundheitsförderung betreiben wollen, müssen wir von Anfang an nicht nur den Patienten, sondern auch sein Umfeld wahrnehmen.

Durch welche Maßnahmen können pflegende Angehörige besser betreut werden?
Die Maßnahmen reichen von psychologischer Betreuung bis hin zu Ersatzangeboten. Wir wissen vor allem aus dem Bereich der Betreuung demenzkranker Personen, dass pflegende Angehörige immer mehr in ein Pflegekontinuum geraten, sich zurückziehen und so aus ihren sozialen Netzwerken herausfallen. Um das zu verhindern, müssen wir in Zukunft frühzeitig an diese Personengruppe herantreten und ihr Entlastungsangebote machen. Ob die Zukunft auch im Bereich „Ambiant Assisted Living“ bis hin zur Robotik liegen könnte, werden wir gemeinsam diskutieren.

Der Kongress ist der größte Geriatrie-Kongress im deutschsprachigen Raum mit Beteiligung der deutschen, schweizerischen und österreichischen Geriatrie-Gesellschaften. Auf welchem Gebiet der geriatrischen Versorgung ist Österreich den Partnerländern voraus?
Österreich ist sehr stark auf dem Gebiet der Alterstraumatologie. Wir haben Strukturen geschaffen, damit ältere Menschen nach einem Trauma ganzheitlich betreut werden. Unfallchirurgen, Geriater und Anästhesisten übernehmen von Anfang an gemeinsam Verantwortung für den Patienten und tauschen sich aus. In einigen Unfallchirurgien ist ein Geriater bereits ständig präsent. So können viele Probleme von Anfang an fachgerecht betreut beziehungsweise auch verhindert werden. Die Konzepte der geriatrischen Frührehabilitation, der klinischen Anwendung des ICF, also der International Classification of Functioning, Disability and Health und die Qualitätsarbeit in Abteilungen für Akutgeriatrie/Remobilisation sowie in Pflegeheimen sind innovativ und regen zum länderübergreifenden Erfahrungsaustausch an.

Welche neuen Erkenntnisse aus der Forschung gibt es?
Ein Schwerpunkt ist dieses Jahr die Haut als Schutzbarriere. Wenn die Haut eines alten Menschen nicht mehr gut durchblutet ist und er wundliegt, mindert das nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Lebenserwartung. Ursache ist nicht immer ein Pflegedefizit. Oft funktioniert die Haut als Schutzbarriere aufgrund des Alterungsprozesses einfach nicht mehr. Diese Prozesse müssen wir besser verstehen lernen, damit wir auch aus Schuldzuweisungen herauskommen. Dabei können uns die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung helfen. Wir hoffen, dass so Risikofaktoren bald früher erkennbar sind und wir diese durch Lebensstilveränderungen positiv beeinflussen können.

10. Österreichisch-Deutscher Geriatriekongress

„Public Health für eine alternde Gesellschaft“
26. bis 28. März 2015
Congress Center, Messe Wien
Nähere Informationen: www.geriatriekongress.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2015