Implantat: Nickel-Allergie: kein Ausschlusskriterium

10.03.2015 | Medizin

Während etwa zehn Prozent der Bevölkerung gegen Nickel allergisch sind, steigt die Prävalenz bei Patienten mit Gelenk-Implantaten auf rund 25 Prozent. Allerdings bedeutet eine bestehende Nickelallergie allein nicht zwingend, dass eine herkömmliche Endoprothese nicht vertragen wird.
Von Verena Isak

Eine dünne Membran zwischen Implantat und Knochen sei intraoperativ bei einem Patienten zu sehen gewesen. „Das ließ nach dem histologischen Befund eine Implantat-Allergie vermuten“, berichtet Univ. Prof. Peter Ritschl, Vorstand und ärztlicher Direktor des Orthopädischen Krankenhauses Gersthof in Wien, von einem Patienten. Der Betreffende hatte nach einer Knieendoprothese über massive Schmerzen im Bereich des Femurs geklagt; das Röntgen war unauffällig, die Prothese hatte sich nicht gelockert. Erst ein Wechsel auf ein hypoallergenes Implantat beendete die acht Monate lang andauernden Schmerzen „schlagartig“, so Ritschl.

Bei Allergie-bedingten Implantat-Unverträglichkeiten handelt es sich vermutlich um eine Allergie vom Typ IV, also eine T-Zellvermittelte verzögerte Reaktion (DTH = delayed T-cell hypersensitivity). Durch Korrosion freigesetzte Metallionen verbinden sich mit Proteinen zu Komplexen, da sie allein als sogenannte Haptene das Immunsystem nicht aktivieren können. Sensibilisierte T-Lymphozyten setzen in weiterer Folge Zytokine, wie etwa Interferon-γ, TNF-α und Interleukin-1 frei und initiieren so den Allergieprozess. Während in der Haut die Langerhans-Zellen als antigenpräsentierende Zellen identifiziert sind, ist es bei Implantat-Allergien, welche sich zumeist in tieferen Schichten abspielen, unklar. Mögliche antigenpräsentierende Zellen in der periprothetischen Region inkludieren Makrophagen, Endothelzellen, Lymphozyten, follikuläre oder dendritische Zellen.

Neben den persistierenden Schmerzen können weitere unspezifische Symptome wie etwa Schwellungen, Rötungen oder Ergüsse und Allgemeinsymptome wie chronische Müdigkeit, Konzentrationsverlust, Depressionen etc. auftreten. Außerdem kann sich ein Ekzem ausbilden – vor allem bei einem Nahverhältnis des Implantats zur Haut. „Prädispositionsstellen dafür sind etwa der Außenknöchel, das Kniegelenk und die Umgebung der Clavicula“, sagt Ritschl. Letztgenannte findet man gehäuft nach Schrittmacher oder Port-a-Cath-Implantationen.

Während etwa zehn Prozent der Bevölkerung gegen Nickel allergisch sind, steigt die Prävalenz bei Patienten mit Gelenk-Implantaten auf rund 25 Prozent. Lockert sich ein derartiges Implantat, steigt diese auf bis zu 60 Prozent. Allerdings lässt sich hier bis dato kein kausaler Zusammenhang zur Implantatlockerung erkennen. Es ist also weiterhin unklar, ob eine bestehende Unverträglichkeit für die Lockerung verantwortlich ist oder ob andere Mechanismen wie etwa genetisch bedingte immunologische Vorgänge ausschlaggebend für den Verlust der ossären Integration sind. Auch der Umstand, warum es zu solch unterschiedlichen Reaktionen kommt und welche Co-Faktoren eine Rolle spielen, muss noch erforscht werden. „Es werden gewisse Genpolymorphismen für Interleukin-1 und TNF-α für eine erhöhte Neigung zu Implantat-Allergien vermutet“, erläutert Nicolas Haffner, Assistenzarzt im Orthopädischen Krankenhaus Gersthof in Wien. Eine bestehende Nickelallergie allein bedeutet nicht zwingend, dass der Betreffende eine herkömmliche Endoprothese nicht verträgt. „Es gibt in der Literatur genügend Beispiele von Patienten, die bei bekannter Nickelallergie trotz eines herkömmlichen Implantats keine Reaktion oder Lockerung zeigten“, so Haffner weiter.

Diagnose mittels Ausschlussverfahren

Man könne eine Implantat-Allergie noch nicht genau nachweisen, erklärt Univ. Prof. Peter Thomas vom dermatologischen Klinikum der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Thomas leitet die Arbeitsgruppe AllergoMat, die sich mit Unverträglichkeitsreaktionen gegenüber Implantaten beschäftigt. Thomas weiter: „Daher wird die Diagnose mittels Ausschlussdiagnostik gestellt.“ Erst wenn sowohl eine Fehlpositionierung der Prothese, ein Infekt – etwa mit dem auf der Haut vorkommenden Staphylococcus epidermidis – als auch andere Ursachen für die Beschwerden ausgeschlossen werden können, sollte man an eine allergische Reaktion denken. Hinsichtlich des Auftretens der Allergie kann man zeitlich zwischen zwei Gruppen unterscheiden. Bei den einen tritt die Unverträglichkeit bereits in den ersten Monaten auf. „Hier ist der Schmerz als vorherrschendes Symptom oft schwer vom natürlichen Heilungsprozess abgrenzbar“, so Thomas. Andere hingegen zeigen erst nach ein paar Jahren Beschwerden, die auf eine Allergie schließen lassen.

Weitere Vorgangsweise

Besteht also der Verdacht auf eine allergische Reaktion auf das Implantat, erfolgt die Diagnostik stufenweise. Zuerst sollte ein standardisierter Epikutantest gemacht werden. Hierfür sollten nur Reinmaterialien und nicht – wie von manchen Herstellern empfohlen – Legierungsplättchen auf die Haut appliziert werden, um klare Aussagen tätigen zu können, betont Haffner. „Die Wahrscheinlichkeit eines positiven Epikutantests sinkt drastisch, wenn der Patient kein Ekzem aufweist“, erklärt Ritschl. Nächster Schritt ist ein Lymphozyten-Transformationstest. Dabei wird der Lymphozytenkultur radioaktives Thymin und das zu testende Antigen beigefügt und einige Tage inkubiert. Die gemessene Radioaktivität gibt Auskunft darüber, ob in der Blutprobe für das Antigen sensibilisierte Lymphozyten vorhanden sind. „Dieser Test ist noch nicht breit evaluiert. Alternativ dazu sollte man eine Gewebeprobe aus Implantatnähe nehmen, um anhand des Entzündungsmusters zu erkennen, ob es sich eher um einen Infekt oder eine Unverträglichkeitsreaktion handelt“, sagt Thomas. Die gebräuchlichen Implantate setzen sich aus verschiedenen Substanzen zusammen: Nickel, Kobalt, Chrom und Molybdän.

Auch Titan-Implantate bestehen nicht ausschließlich aus Titan, da dies zu weich wäre. Zwar ist kein Nickel in der Legierung, dafür aber andere Metalle wie etwa Vanadium und Aluminium. Daher ist es wichtig, bei der Anamnese nach bekannten Metallallergien zu fragen. Speziell eine Unverträglichkeit gegenüber Nickel ist oft bekannt, da es auch in Modeschmuck enthalten ist. Betroffene Patienten berichten daher über Kontaktekzeme im Bereich von Jeansknöpfen oder über Granulome auf den Ohrläppchen. „Bei diesen Patienten wird in unserem Haus a priori ein hypoallergenes Implantat verwendet“, betont Ritschl. Bei Atopikern – Personen mit atopischer Dermatitis, Heuschnupfen oder allergischem Asthma wie auch Verdacht auf eine vorbestehende Metallallergie – wird präoperativ ein Epikutantest empfohlen.

Bei einer Allergie-bedingten Unverträglichkeitsreaktion gegenüber einer Endoprothese wird im Rahmen der Revision auf ein hypoallergenes Implantat gewechselt, welches entweder oberflächenverändert (zum Beispiel Zirkoniumoxid) oder mehrfach antiallergisch beschichtet ist (Nitridbeschichtungen). Zirkoniumoxid stellt eine Keramisierung durch Oxidation an der Oberfläche des Metalls unter Erhitzung des Materials auf über 500°C dar. Ritschl dazu: „Der große Vorteil dieser Oberflächenveränderung oder Modifikation ist, dass es im Unterschied zu Mehrfachbeschichtungen zu keiner Delamination oder Ablösung von Partikeln, sogenannte Abplatzer, kommen kann.“ Denn diese Abplatzer sind es, die im weiteren Verlauf einen Dreikörperverschleiß verursachen können.

Auch wenn es bei der Erforschung der Vorgänge rund um Implantat-Allergien noch viel zu tun gibt, betonen Ritschl und Haffner, dass bei Patienten mit bevorstehendem Gelenkersatz und bekannten Metall-Allergien hypoallergene Implantate Verwendung finden sollten.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2015