Erektile Dysfunktion: Therapie individuell anpassen

10.04.2015 | Medizin

Bis zu 63 Prozent aller Männer mit kardiovaskulären Erkrankungen leiden an einer erektilen Dysfunktion. Aus kardiologischer Sicht gilt der Einsatz von PDE5-Hemmern prinzipiell als sicher. Dennoch sollte den betroffenen Männern die Möglichkeit gegeben werden, alle zur Verfügung stehenden PDE5-Hemmer auszuprobieren, um individuell das jeweils optimale Präparat zu finden. Von Irene Mlekusch

Kardiovaskuläre Erkrankungen und erektile Dysfunktion stehen in einem engen Zusammenhang, da sie eine gemeinsame Ätiologie und gemeinsame Risikofaktoren haben. Derzeit wird von einer funktionellen endothelialen, einer strukturellen, arteriosklerotischen oder einer kombinierten vaskulären Genese ausgegangen. „Die penilen Arterien sind aufgrund ihres geringen Durchmessers als erste betroffen und weisen bereits bei minimalen Endothelveränderungen Funktionsstörungen auf“, erklärt Univ. Prof. Karl Pummer von der Universitätsklinik für Urologie der Medizinischen Universität Graz. Geht man von dieser Pathophysiologie aus, ist es nicht weiter verwunderlich, dass die erektile Dysfunktion anderen kardiovaskulären Erkrankungen um bis zu fünf Jahre vorausgehen kann. Auch Univ. Prof. Irene Lang von der Universitätsklinik für Innere Medizin II der Medizinischen Universität Wien sieht die erektile Dysfunktion als Prodrom einer Herzkreislauferkrankung. Vor allem dann, wenn bei jüngeren Patienten eine erektile Dysfunktion erstmalig auftritt und weitere Komorbiditäten und Risikofaktoren vorliegen, ist von einem erhöhten Risiko für nachfolgende kardiovaskuläre Ereignisse auszugehen.

Asymptomatische KHK bei einem Fünftel

In einer prospektiven Studie konnte gezeigt werden, dass bis zu 19 Prozent der Patienten mit einer erektilen Dysfunktion angiographisch an einer asymptomatischen KHK leiden. Sowohl der Schweregrad als auch die Dauer der erektilen Dysfunktion waren prädiktiv für eine schwere koronare Beteiligung in der Angiographie. Pummer sieht die erektile Dysfunktion in diesem Kontext eindeutig als Alarmsymptom: „Der Körper schützt sein Herz und opfert dafür die Fähigkeit zur Erektion.“ Bezugnehmend auf die Risikofaktoren stellten sich rauchende im Vergleich zu nichtrauchenden kardiologischen Patienten mit einem signifikant erhöhten Risiko für eine schwere erektile Dysfunktion dar. Im Gegensatz dazu scheint eine erektile Dysfunktion bei älteren Männern prognostisch weniger von Wert zu sein.

Trotz dieser Erkenntnisse ist es nicht sinnvoll, jeden Patienten mit einer erektilen Dysfunktion einem kardiovaskulären Screening zu unterziehen. „Bei allgemein eingeschränkter Leistungsfähigkeit ist eine internistisch kardiologische Abklärung sinnvoll“, empfiehlt Pummer und weist darauf hin, dass der Patient sein übliches Leistungsniveau kennen sollte. Zeigt sich eine erektile Dysfunktion als Folge einer generalisierten Erkrankung des Gefäß- und Endothelsystems, steht das Management der Risikofaktoren an erster Stelle. „Hypertonie ist eine häufige Ursache für erektile Dysfunktion“, ergänzt Lang. Beim Hypertoniker tritt die erektile Dysfunktion doppelt so häufig auf wie bei normotensiven Männern; außerdem weist sie einen höheren Schweregrad auf.

Andererseits kann die pharmakologische Therapie einer möglichen Grunderkrankung wie der Hypertonie wiederum das Auftreten einer erektilen Dysfunktion begünstigen. „Die Medikamenten-induzierte erektile Dysfunktion steht der organischen gegenüber“, bestätigt Lang. Bei diversen antihypertensiven Medikamenten wurde ein potentiell negativer Einfluss auf die sexuelle Funktion diskutiert, allen voran bei Beta-Blockern und Diuretika. Bisher konnte aber in Studien nur gezeigt werden, dass Thiazide und ältere Beta-Blocker an der Entstehung einer erektilen Dysfunktion ursächlich beteiligt sein können. Bei einigen Vasodilatatoren, ACE-Inhibitoren, Angiotensin-Rezeptorblockern und Kalziumkanalblockern stellt sich entweder kein Einfluss oder sogar ein leicht positiver Effekt auf die erektile Funktion dar. Negative Effekte zeigten sich bei der Einnahme von hohen Statin-Dosen, die wahrscheinlich auf der Senkung des Testosteronlevels beruhen.

Verschlüsselte Symptomatik

Primäres Ziel bei der Behandlung der erektilen Dysfunktion sollte es sein, die Ursache zu finden. Pummer dazu: „Die Erhebung einer umfassenden Anamnese ist essentiell für die Diagnostik und kann bereits Hinweise auf die Genese geben.“ Er rät Patienten – falls angebracht – zur Änderung der Lebensgewohnheiten im Hinblick auf gesunde Ernährung, körperliche Aktivität sowie Reduktion von Stress, Rauchen und Übergewicht. Eine medikamentöse Therapie sollte dagegen niemals kommentarlos verordnet werden. Lang entgegnet: „Patienten mit erektiler Dysfunktion gehen primär zum Internisten und beschreiben ihre Symptomatik zunächst eher verschlüsselt als Müdigkeit und eingeschränkte Leistungsfähigkeit.“ Hier gilt es für den Internisten, die angesprochenen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit zuerst allgemein und dann im Speziellen einfühlsam zu hinterfragen. Unter Umständen besteht beim kardiologischen Patienten auch eine gewisse Angst vor sexueller und körperlicher Aktivität, da diese akute koronare Ereignisse auslösen könnten.

Für die orale Pharmakotherapie der erektilen Dysfunktion stellt der Einsatz der PDE5-Hemmer die erste Wahl dar. Auch Lang bezeichnet die PDE5-Hemmer aus kardiologischer Sicht als prinzipiell sicher. Trotzdem besteht vor allem von Seiten der Patienten eine große Unsicherheit gegenüber dieser Medikamentengruppe. „Die Erwartungshaltung der Patienten ist oft größer als das, was die Medikamente leisten“, warnt Pummer. Denn je nach Ursache und eingesetztem Präparat ergeben sich Unterschiede in Bezug auf den Wirkungseintritt – zwischen 15 und 60 Minuten – sowie bei der Halbwertszeit – zwischen drei und 17 Stunden. Auch mögliche Nebenwirkungen wie Kopf- und Muskelschmerzen, Schwindel oder Sehstörungen müssen mit dem Patienten vorab besprochen werden. Lang empfiehlt die Einnahme der PDE5-Hemmer in jedem Fall nur nach Absprache mit dem Arzt. „Die Patienten kommen sehr unterschiedlich mit den Präparaten zurecht“, weiß Pummer. Und weiter: „Präferenzen in Bezug auf die Handhabung und Nahrungsaufnahme müssen vorab besprochen werden.“

Präparat individuell anpassen

Prinzipiell sollte den betroffenen Männern die Möglichkeit gegeben werden, alle zur Verfügung stehenden PDE5-Hemmer auszuprobieren, um individuell das jeweils optimale Präparat zu finden. „Länger aktive Substanzen wie beispielsweise Cialis nehmen den zeitlichen Druck und können als Dauermedikation verabreicht werden“, gibt Pummer zu bedenken. Er bezieht damit eine zusätzliche psychogene Ursache mit in die Behandlung ein, welche oft schwer abzugrenzen ist, da eine gewisse psychische Überlagerung immer stattfindet. Die Therapie mit PDE5-Hemmern ist in jedem Fall einen Versuch wert, denn so kann unter Umständen bei einer reinen oder überwiegenden psychogenen Genese der Teufelskreis der Versagensangst unterbrochen werden.

Die Experten warnen jedoch vor dem Einsatz der PDE5-Hemmer in Kombination mit anderen Vasodilatatoren wie Nitraten oder NO-Donatoren, da sich diese in ihrer blutdrucksenkenden Wirkung gegenseitig verstärken können. Somit stellt eine Therapie mit NO-Donatoren die einzige absolute Kontraindikation für die Behandlung mit PDE5-Hemmern dar. Lang sieht den Einsatz der PDE5-Hemmer bei erektiler Dysfunktion sowieso nur dann als sinnvoll, wenn zuvor keine medikamentöse Vasodilatation vorhanden war. „Patienten, die bereits langfristig eine Vasodilatation erhalten haben, profitieren weniger von PDE5-Hemmern“, berichtet Lang aus der Praxis. „Bei jungen Patienten, die wegen pulmonalem Hochdruck mit PDE5-Hemmern behandelt werden, bessert sich dagegen als Nebeneffekt eine vorhandene erektile Dysfunktion.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2015