Depressionen und Angststörungen: Risikofaktor Diabetes?

25.05.2015 | Medizin

Rund eine halbe Million Österreicher leidet an Diabetes mellitus Typ 2. Jährlich werden rund 47.000 Patienten neu diagnostiziert. Zusätzlich zu den unmittelbaren Folgen der Erkrankung und der Medikation können depressive Reaktionen bis hin zur klinisch manifesten Depression sowie Angststörungen auftreten.
Von Verena Isak

Die Diagnose Diabetes mellitus stellt oft eine Stresssituation für den Patienten dar“, erklärt Heidemarie Abrahamian vom internistischen Zentrum am Sozialmedizinischen Zentrum Baumgartner Höhe/Otto-Wagner-Spital. „Die Patienten meinen, sie hätten ihr bisheriges Leben verloren. Auch die Spontaneität ist vor allem bei insulinpflichtigen Diabetikern eingeschränkt.“ Dadurch kann es zu einer depressiven Reaktion kommen, da Patienten erst ihre persönliche Bewältigungsstrategie entwickeln müssen, um die Krankheit in ihr Leben zu integrieren. „Bei schlechtem Coping entwickelt sich aus der depressiven Reaktion eine klinisch manifeste Depression“, sagt Abrahamian.

Doch auch bei einer erfolgreichen Bewältigung der anfänglichen depressiven Verstimmung haben Diabetiker ein erhöhtes Risiko, unter einer Depression oder Angststörung zu leiden. „Diabetes beeinflusst die Psyche auf drei Ebenen: durch die direkten Auswirkungen der Medikation, die Spätkomplikationen und die diabetische Neuropathie“, zählt Univ. Prof. Thomas Pieber von der Medizinischen Universität Graz auf. Sowohl bei Sulfonylharnstoffen als auch bei Insulin können Hypoglykämien als Nebenwirkung auftreten. Diese werden subjektiv als sehr unangenehm erlebt: „Neben dem Realitäts- und Kontrollverlust über den eigenen Körper haben Hypoglykämien soziale Auswirkungen wie etwa auf den Beruf, das Privatleben oder das Autofahren“, erklärt Abrahamian. Dadurch wird eine Unterzuckerung zu einem angstbesetzten Erlebnis, von welchem Patienten sich erst nach längerer Zeit erholen und welches zu einer Angststörung führen kann. „Oft kommt es nach wiederholten Hypoglykämien zu einem Vermeidungsverhalten der Patienten, indem die Insulindosis entweder reduziert wird, Injektionen komplett ausgelassen werden oder auch mehr Kohlenhydrate zugeführt werden, wodurch auch das Gewicht steigt.“ Diese Assoziation von Hypoglykämien und Angststörungen sowie Adipositas und Depression zeigten unter anderem auch Labad et al. anhand der Patientengruppe der Edinburgh Type 2-Diabetes Study.

Ein weiteres Problem von vermehrt auftretenden Hypoglykämien ist, dass die Wahrnehmung der Patienten für diese Warnhinweise des Körpers sinkt. Abrahamian dazu: „In diesem Fall ist ein Training notwendig, um die Symptome wieder zu spüren. Dabei werden die Patienten vorübergehend etwas höher eingestellt, um sie so wieder für Hypoglykämie-Anzeichen zu sensibilisieren.“ Manche Patienten haben außerdem Angst davor, insulinpflichtig zu werden: „Patienten assoziieren die Notwendigkeit, Insulin spritzen zu müssen, oft mit ihrem eigenen Versagen“, erklärt sie. Besteht also Angst vor Unterzuckerungen, sollte eine Therapie ohne Hypoglykämie als Nebenwirkung eingesetzt werden – sofern dies möglich ist. „Orale Antidiabetika mit Ausnahme von Sulfonylharnstoffen sind dafür gut geeignet“, sagt Abrahamian. Bei insulinpflichtigen Patienten hingegen müsse eine intensivere Schulung erfolgen, um Unterzuckerungen zu vermeiden. „Die Patienten müssen lernen, regelmäßig selbst Blutzucker zu messen, die besonderen Symptome einer Hypoglykämie wie etwa ein Taubheitsgefühl um den Mund richtig deuten zu können und dürfen keine Mahlzeiten auslassen.“ Die zweite häufige Nebenwirkung der Diabetestherapie ist die Gewichtszunahme: bei Insulin oder Sulfonylharnstoffen liegt sie etwa zwischen zwei und vier Kilogramm pro Jahr. Dadurch kann es leicht zu Depressionen kommen. „Es gibt mehrere Erklärungsmodelle für diese Assoziation. Eine mögliche Ursache könnte eine gemeinsame Pathophysiologie sein“, erklärt Pieber. Bei Typ 2-Diabetes finden sich amyloide Ablagerungen in den Beta-Zellen des Pankreas, wie auch etwa bei Demenz oder Alzheimer im Gehirn. Durch Amyloidablagerungen kommt es zur Schädigung der Nervenzellen und einer dadurch veränderten Funktion; das gleiche Phänomen gibt es bei den Langerhans’schen Inseln im Pankreas.

Auch Medikamente könnten Auslöser sein, wenn es zusätzlich zum Diabetes zu einer Depression kommt. So leiden viele Diabetiker auch unter sekundären Erkrankungen wie etwa Adipositas oder Herzkreislauferkrankungen. „Dadurch sinkt die Lebensqualität, was zu Depressionen führen kann“, wie Abrahamian weiter ausführt. Deshalb bewegen sich die Betroffenen weniger bei eventuell gleicher Nährstoffzufuhr. Außerdem führen manche Antidepressiva zu einer weiteren Gewichtszunahme, wodurch sich ein Teufelskreis entwickelt. Dem kann man mit bestimmten Antidiabetika entgegenwirken, wie die Internistin weiß: „Vor allem GLP1-Analoga oder SGLT2-Hemmer als Teil der Therapie führen zu einer Gewichtsabnahme.“

Schwere Sensibilitätsverluste

Neben Adipositas stellt auch die diabetische Neuropathie einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Depression dar. „Durch die mangelnde Sensibilität an Händen und Füßen geht das Raumgefühl verloren. Es kommt zu einem Verlust der motorischen Funktion und einem unsicheren Gang. Durch diese teilweise schweren Sensibilitätsverluste können schwere Depressionen resultieren“, erklärt Pieber. Darüber hinaus könne die diabetische Neuropathie bei manchen Patienten auch zu starken Schmerzen und in weiterer Folge zu Schlafstörungen und in manchen Fällen sogar bis hin zum Suizid führen. Daher ist die Prävention besonders wichtig: „In der Praxis muss nach einem diabetischen Fuß gescreent werden und eine Schlafanamnese erhoben werden“, betont der Experte. Durch die richtige Fußpflege und die passenden Schuhe kann so dem Fortschreiten eines diabetischen Fußes entgegengewirkt werden. Auch nach den Symptomen einer Depression kann leicht gescreent werden, wie die Expertin ausführt: „Ich frage Patienten, was ihnen Freude bereitet. Wenn sie sehr lange über eine Antwort nachdenken müssen, ist ein Test zur Depressionsdiagnostik indiziert“, erzählt Abrahamian.

Damit es aber erst gar nicht zu Depressionen oder Angststörungen kommt, ist eine sichere Stoffwechseleinstellung wichtig. „Das Nebenwirkungsprofil muss bei jedem Patienten abgeschätzt werden“, sagt Pieber. Des Weiteren muss eine Zieldefinition erfolgen. „Patienten haben gewisse Erwartungen an die Therapie wie etwa eine verlässliche Wirkung, die Vermeidung von Hypoglykämien und Spätschäden, einen geringen Aufwand oder eine Gewichtsreduktion“, weiß Abrahamian. Werden diese Erwartungen jedoch nicht erfüllt, sinkt das Vertrauen in die Therapie und somit die Compliance, was wiederum zu einer Gewichtszunahme, häufigeren Hypoglykämien und mehr Spätkomplikationen führt. „Nicht bei jedem Patienten ist ein Hba1c von unter 6,5 Prozent als Ziel sinnvoll. Vor allem bei Älteren kann ein Hba1c von 7,5 Prozent besser sein, da schwere Hypoglykämien mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert sind“, fasst die Expertin zusammen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2015