Antibiotika in der Nutztierhaltung: Tierschutz gegen Resistenzen

15.12.2015 | Medizin

In Österreich wurden 2013 knapp 55 Tonnen Antibiotika an Tierärzte für den Einsatz an Nutztieren verkauft. So ist beispielsweise die Verwendung von Enrofloxacin in der Geflügelproduktion eine der Ursachen für das Auftreten von Ciprofloxacin-resistentem Campylobacter. Eines der wichtigsten Ziele in der EU: der angemessene Einsatz von Antibiotika, um Resistenzen zu bekämpfen. Von Irene Mlekusch

Grundsätzlich handelt es sich bei der Resistenzentwicklung um ein globales Phänomen, wobei vor allem in den USA mehr Antibiotika in der Viehzucht und Viehmast verabreicht werden; vorwiegend deshalb, um das Wachstum der Nutztiere zu beschleunigen. Im asiatischen Raum wiederum werden Fischkulturen prophylaktisch mit Antibiotika angereichert, da die Fische durch die industrielle Zucht und Haltung anfälliger für Infektionen werden. Berechnungen zufolge werden in der Nutztierhaltung weltweit innerhalb der nächsten fünfzehn Jahre um zwei Drittel mehr Antibiotika eingesetzt werden als noch im Jahr 2010.

Obwohl die Bekämpfung der Antibiotikaresistenz auf internationaler Ebene durchgeführt werden muss, bedarf es auch nationaler Kampagnen und Informationen an die Bevölkerung. Der angemessene Einsatz von Antibiotika sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin ist aktuell eine der wichtigsten Zielsetzungen der EU-Politik zur Bekämpfung der Antibiotikaresistenz, welche durch eine Anzahl von Bestimmungen und EURechtsvorschriften verbindlich einzuhalten sind. Beispielsweise ist die Antibiotikagabe in der Nutztierhaltung zur Wachstumsbeschleunigung in der EU im Sinn des Verbraucherschutzes bereits seit 2006 verboten. Das Auftreten der Vancomycinresistenten Enterokokken beim Menschen wurde unter anderem dem Einsatz des Glykopeptids Avoparcin zugeschrieben und dessen Verwendung als Futterzusatz in der EU schon 1997 untersagt. Insgesamt wurden in den letzten fünf Jahren die Zulassungen von mehr als 80 antimikrobiellen Veterinär-Arzneimitteln für Nutztiere nach einer Nutzen-Risiko-Abwägung aufgehoben.

In Österreich werden im Veterinärbereich seit 2004 verpflichtend Monitoring-Programme zur Prävalenz von Zoonosen und bestimmten Zoonose-Erregern mitsamt deren Resistenzen gegenüber Antibiotika durchgeführt. „Zoonosen und Zoonosen-Erreger werden dabei nicht nur anhand von Proben geschlachteter Tiere überwacht, sondern müssen im Rahmen diverser Gesetze wie Epidemiegesetz, Zoonosengesetz, Lebensmittelsicherheitsgesetz und Verbraucherschutzgesetz an die Referenzlabore gemeldet werden“, berichtet Martine Trauffler vom Institut für Öffentliches Veterinärwesen an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien. „Die Proben kommen dabei zum Beispiel auch aus humanmedizinischem Untersuchungsmaterial, die Resistenzüberwachung bei Tieren erfolgt aufgrund von Stichproben bei geschlachteten Tieren.“ Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden einmal im Jahr zusammen mit den Daten aus der Humanmedizin im österreichischen Resistenzbericht AURES veröffentlicht. „Der jährliche AURES-Bericht ist in diesem Zusammenhang für Österreich eine ganz wesentliche Publikation, da er aufweist, wo unsere Probleme liegen“, erklärt Univ. Prof. Florian Thalhammer, interimistischer Leiter der klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin an der Universitätsklinik für Innere Medizin I am AKH Wien.

So ergab beispielsweise die Untersuchung bei Campylobacter jejuni und Campylobacter coli im Jahr 2013 eine konstant hohe bis sehr hohe Resistenzrate für Tetrazykline und Fluorchinolone. Eine der Ursachen für das Auftreten von Ciprofloxacin-resistentem Campylobacter ist der Einsatz von Enrofloxacin in der Geflügelproduktion. 2011 wurde Hühnerfleisch als Quelle für Campylobacteriose beim Menschen von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bestätigt. „Resistenzdaten müssen sorgsam interpretiert werden. In der Humanmedizin ist es nicht ohne weiteres möglich, mit Resistenzdaten eines Krankenhauses antimikrobielle Therapieempfehlungen für ein anderes Krankenhaus abzugeben“, warnt Thalhammer.

Der Antibiotika-Einsatz in Österreich wird seit 2010 mit Hilfe eines von der European Medical Agency (EMA) entwickelten Verfahrens von der AGES im Auftrag des Gesundheitsministeriums quantitativ erfasst. Dabei wird die Anzahl der verkauften Tierarzneimittel für die Nutztierpopulation bei allen in Österreich tätigen Arzneimittelfirmen dokumentiert. „Flächendeckende Daten zum Antibiotikaeinsatz bei den einzelnen Tierarten liegen derzeit in Österreich noch nicht vor“, sagt Trauffler. Demnach sei „der relative Antibiotikaeinsatz“ am höchsten in der Schweinehaltung, gefolgt von Geflügel und Rind. Innerhalb der Geflügelsparten gibt es dann allerdings wieder Unterschiede: Hier nimmt der Antibiotikaeinsatz von den Puten über die Masthühner, die Elterntiere, die Junghennen bis zu den Legehennen hin ab.

Reduktion des Antibiotikaverbrauchs

Laut den Daten der AGES wurden 2013 in Österreich Tierärzten 54,98 Tonnen Antibiotika für den Einsatz an Nutztieren verkauft; das sind einem Bericht der EMA (European Medicines Agency – Europäische Arzneimittel-Agentur) zufolge um 13 Prozent weniger als im Jahr 2010. Auch beim Einsatz von Antibiotika in der heimischen Geflügelhaltung konnte laut des Antibiotika Monitoring Reports 2015 der Österreichischen Qualitätsgeflügelvereinigung eine Reduktion des Antibiotikaverbrauchs um 44 Prozent zwischen 2011 und 2014 registriert werden.

Österreich verfügt über eines der dichtesten Kontrollsysteme in der Geflügelhaltung, da in der Poultry Health Data alle Impfungen und Antibiotikaverschreibungen aufgezeichnet werden müssen. „Betrachtet man den europäischen Antibiotikaverbrauch, zählt Österreich zu den Vorzeigekandidaten“, sagt Thalhammer und fügt hinzu, dass es Verbesserungspotential gäbe. In Deutschland ist der Verbrauch der Antibiotika im veterinärmedizinischen Bereich acht Mal so groß wie in Österreich. Im unserem Nachbarland wurde die 2008 ins Leben gerufene Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) kürzlich reformiert und soll nun als DART 2020 interdisziplinär den One-Health-Ansatz umsetzen, indem Erkenntnisse und Maßnahmen aus Humanmedizin, Veterinärmedizin, Landwirtschaft und Forschung in die Antibiotika-Minimierungsstrategie einfließen.

Tierprodukte wie Fleisch, Milch, Eier und Honig werden jährlich im Rahmen des Nationalen Rückstandskontrollplanes auf Rückstände von Tierarzneimitteln und Hormonen untersucht. „Ziel ist die Einhaltung von festgelegten Rückstandshöchstmengen zu überprüfen sowie die Ursachen von Rückstandsbelastungen aufzuklären“, so Trauffler. Die Probenahme erfolgt zielorientiert. Das Untersuchungsspektrum umfasst auch für die Humanmedizin wesentliche Wirkstoffe wie Cephalosporine der 3. und 4. Generation. Im Jahr 2014 wiesen 69 von 6.016 untersuchten Proben Rückstände von Antibiotika in Fleisch, Innereien und Eiern auf. Nicht zugelassene oder verbotene Stoffe sowie Überschreitungen der Grenzwerte fanden sich dagegen bei 20 von 9.961 untersuchten Proben. Die Wartezeit – der Zeitpunkt zwischen der letzten Verabreichung eines Arzneimittels an ein Tier und dem Zeitpunkt, bis das Tier zur Gewinnung von Lebensmitteln herangezogen werden darf – spielt dabei eine wesentliche Rolle. Entsprechende Wartezeiten sind ausschließlich für essbares Gewebe, Milch und Eier, nicht jedoch für Dung oder andere Tierprodukte festgelegt.

Bisher war kaum eine Aussage darüber möglich, wie stark der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung die Umwelt einer bestimmten Region belastet. Durch die Dokumentation der Antibiotikagabe an Nutztiere können demnächst mit Hilfe eines in Deutschland entwickelten Verfahrens detaillierte Risikoeinschätzungen abgegeben werden. Hier gilt es zu klären, inwieweit durch das Ausbringen von Gülle oder die durch Weidehaltung in Böden, Oberflächengewässer und Grundwasser eingedrungenen medizinischen Substanzen die natürlich vorkommende mikrobielle Fauna schädigen und zur Reduktion der Bodenfruchtbarkeit beitragen.

Greenpeace macht in seiner aktuellen Kampagne auf die Problematik der steigenden Antibiotika-Resistenzen aufmerksam und fordert die Verantwortlichen zum Handeln auf: Ein erster wichtiger Schritt ist die Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung. Derzeit wird in der EU ein Tierarzneimittel-Verordnungspaket behandelt, das den Einsatz von Antibiotika drastisch reduzieren könnte.

Plakate für die aktuelle Kampagne von Greenpeace können per E-Mail kostenlos angefordert werden: presse@greenpeace.at

Medikamenteneinsatz bei Nutztieren

Jeder Medikamenteneinsatz bei Nutztieren ist in Österreich geregelt. „Der Einsatz von Antibiotika nimmt dabei insofern eine Sonderrolle ein, als hierbei von Veterinären bei der Anwendung und Abgabe ein besonders strenger Maßstab entsprechend den Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit antibakteriell wirksamen Tierarzneimitteln anzulegen ist“, erklärt Martine Trauffler vom Institut für Öffentliches Veterinärwesen an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien. So verpflichtet etwa die österreichische Veterinär-Antibiotika-Mengenströme-Verordnung von 2014 Vertriebe und tierärztliche Hausapotheken, die jährlichen Antibiotikaverkaufs- beziehungsweise Abgabemengen an die AGES zu melden.

Die Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit antibakteriell wirksamen Substanzen sollen der Resistenzbildung von Antibiotika auf mehreren Ebenen entgegenwirken. So dürfen Antibiotika nur nach eingehender veterinärmedizinischer Untersuchung bei Hinweisen auf eine bakterielle Infektion eingesetzt werden; der prophylaktische Einsatz ist dagegen nur bei besonders begründeten Ausnahmefällen vertretbar. Eine mikrobiologische Untersuchung sollte nach Möglichkeit durchgeführt werden; vor allem dann, wenn aufgrund des Krankheitsbildes nicht auf einen bestimmten Erreger geschlossen werden kann oder im Verlauf der Therapie ein Wechsel des Antibiotikums wegen ausbleibendem Therapieerfolgs stattfindet. Um eine metaphylaktische Anwendung von Antibiotika zu rechtfertigen, muss eine Streuung des Erregers auf noch symptomlose Tiere zu erwarten sein. Trauffler dazu: „In einer nicht repräsentativen Studie zum Antibiotikaeinsatz in österreichischen Schweinebetrieben konnte ein Metaphylaxe-Anteil von 29 bis 46 Prozent am Gesamt-Antibiotikaeinsatz ermittelt werden.“ Der Antibiotikaeinsatz im Allgemeinen und damit auch die metaphylaktische Behandlung verstärke – so Trauffler – den selektiven Druck für die Verbreitung von resistenten Bakterien. Die Anwendung muss den Zulassungsbedingungen entsprechen und die Dosis ausreichend hoch sein. Jeder Tierarzt ist verpflichtet, unerwünschte Arzneimittelwirkungen – dazu gehört auch der Wirksamkeitsverlust eines Antibiotikums – zu melden. Der Einsatz von Reserve-Antibiotika („kritische Antibiotika“) bei Tieren ist ebenfalls in den Leitlinien für Tierärzte reglementiert. So sollten Cephalosporine der 3. und 4. Generation sowie Fluorchinolone nur nach strenger Indikationsstellung zur Therapie von schweren Erkrankungen bei Einzeltieren angewendet werden, wenn nachweislich mit anderen Antibiotika kein entsprechender Behandlungserfolg erzielt werden kann. Auch die Abgabe von kritischen Antibiotika an den Tierhalter ist gesetzlich eingeschränkt, um eine missbräuchliche Verwendung zu vermeiden. In der Geflügelhaltung ist der Einsatz von Cephalosporinen der 3. und 4. Generation aufgrund einer Empfehlung der EMA generell nicht erlaubt. Trauffler wünscht sich als längerfristiges Ziel eine generelle Verringerung des Einsatzes von Antibiotika, sieht es aber durchaus als sinnvoll an, sich prioritär auf die kritischen Wirkstoffe zu konzentrieren.

Antibiotika sollten nicht eingesetzt werden, um Mängel in der Haltung, im Management oder bei der Hygiene zu kompensieren. Die Europäische Kommission empfiehlt zwar eine niedrigere Tierdichte als Präventionsmaßnahme zur Minimierung des Antibiotikaeinsatzes. Allerdings gebe es hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen der Anzahl der Tiere im Betrieb und dem Antibiotikaeinsatz unterschiedliche Ergebnisse, wie Trauffler betont. So wurden beispielsweise in Dänemark im Rahmen einer Studie in kleineren Betrieben höhere Resistenzraten festgestellt. In einem Bericht der EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) hingegen wird eine hohe Anzahl an Tieren in Schweinebetrieben als ein Risikofaktor für eine erhöhte Resistenzrate für MRSA dargestellt. „Diese gegensätzlichen Studien verdeutlichen, wie komplex das Resistenzgeschehen ist und wie gefährlich es ist, die Ursache auf einen oder zwei Faktoren zu beschränken“, so Trauffler. Trotzdem führt eine Verbesserung der Tierhaltung durch geeignet große Unterkünfte, Belüftungsanlagen, angemessene Umweltbedingungen, hochwertiges Futter und die Vermeidung von stressreichen Situationen wie Transport, Überbelegung und dergleichen auf lange Sicht zu einer Vorbeugung von Infektionen und somit zu weniger Antibiotikaverbrauch. Auch die Prävention von Infektionskrankheiten durch entsprechende Hygienemaßnamen und Impfungen tragen zu einer Reduktion der Antibiotikagabe bei.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2015