Gene­ra­li­sierte Angst­stö­rung: Angst behin­dert Compliance

25.04.2015 | Medizin

Durch das über­stei­gert angst­volle Erle­ben kann bei Pati­en­ten mit einer Gene­ra­li­sier­ten Angst­stö­rung die Com­pli­ance auch im Hin­blick auf the­ra­peu­ti­sche Maß­nah­men ein­ge­schränkt sein. Sorg­fäl­tige Auf­klä­rung über die Wir­kung und mög­li­che Neben­wir­kun­gen der medi­ka­men­tö­sen The­ra­pie kann dem entgegenwirken.Von Verena Ulrich

Psy­chi­sche Stö­run­gen wer­den vom Pati­en­ten meist nicht direkt the­ma­ti­siert bezie­hungs­weise andere Pro­bleme ste­hen im Vor­der­grund. Dies gilt beson­ders für die Gene­ra­li­sierte Angst­stö­rung (GAD), die in der haus­ärzt­li­chen Pra­xis nach­weis­lich unter­dia­gnos­ti­ziert ist. Dabei zäh­len Angst­stö­run­gen zu den häu­figs­ten psy­chi­schen Erkran­kun­gen in Europa. Circa 15 Pro­zent der Gesamt­be­völ­ke­rung erkran­ken zumin­dest ein­mal im Laufe ihres Lebens an einer Angst­stö­rung, wobei Frauen etwa dop­pelt so häu­fig betrof­fen sind wie Männer.

Kör­per­li­che Sym­ptome im Vordergrund

Die Dia­gnose der Gene­ra­li­sier­ten Angst­stö­rung wird dadurch erschwert, dass Angst­pro­bleme in der Regel nicht als Kon­sul­ta­ti­ons­grund beim Haus­arzt genannt wer­den. „Meist sind wir zunächst mit kör­per­li­chen Sym­pto­men wie Herz­ra­sen, Schwin­del, Schlaf­lo­sig­keit, Durch­fall oder Befin­dens­stö­run­gen kon­fron­tiert“, berich­tet Bar­bara Hasiba, Ärz­tin für All­ge­mein­me­di­zin in Birk­feld (Stei­er­mark), sowie ÖÄK-Lehr­the­ra­peu­tin für die PSY-Diplome. Laut Hasiba könne sich der Haus­arzt durch früh­zei­ti­ges Fra­gen­stel­len und durch die Ver­knüp­fung der Sym­ptome mit dem Vor­wis­sen, das er durch die Lang­zeit­be­zie­hung über den Pati­en­ten hat, dem eigent­li­chen Pro­blem nähern. Durch Fra­gen wie ‚Wie viel Ihrer Tages­zeit bean­spru­chen ängst­li­che Gedan­ken?’ oder ‚Was wür­den Sie mit der Zeit tun, wenn Sie sich nicht mit Ihrer Angst beschäf­ti­gen wür­den?’ wird die ein­schrän­kende Aus­wir­kung der Angst deut­lich. Die All­ge­mein­me­di­zi­ne­rin betont: „Es gilt zu beach­ten, dass Angst an sich zunächst noch keine Krank­heit ist, son­dern ein Warn­si­gnal. Erst wenn sie zu Ein­schrän­kun­gen des Pati­en­ten in sei­nem täg­li­chen Leben, im sozia­len Umfeld oder im Arbeits­um­feld führt, ist eine Behand­lung erforderlich.“

Bei der kli­nisch rele­van­ten Angst sollte zwi­schen objekt- oder situa­ti­ons­un­ab­hän­gi­gen Angst­zu­stän­den und sol­chen, die nur in spe­zi­fi­schen Situa­tio­nen oder in Ver­bin­dung mit bestimm­ten Gegen­stän­den auf­tre­ten, unter­schie­den wer­den. Objekt- bezie­hungs­weise situa­ti­ons­un­ab­hän­gige Angst kann wie­derum in chro­ni­sche und akute, anfalls­ar­tige Zustände unter­teilt wer­den. „Die Unter­schei­dung ist wich­tig, da sich dar­aus unter­schied­li­che the­ra­peu­ti­sche Gesichts­punkte ablei­ten las­sen“, erklärt o.Univ. Prof. Sieg­fried Kas­per, Vor­stand der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie am AKH Wien. Die Gene­ra­li­sierte Angst­stö­rung ist durch eine objekt- und situa­ti­ons­un­ab­hän­gige Angst gekenn­zeich­net, die im Gegen­satz zur Panik­stö­rung eher kon­ti­nu­ier­lich als epi­so­disch auf­tritt und eine hohe Ten­denz zur Chro­ni­fi­zie­rung zeigt. Die Pati­en­ten lei­den an kör­per­li­chen Angst­sym­pto­men wie Ruhe­lo­sig­keit, Reiz­bar­keit, Kon­zen­tra­ti­ons­schwie­rig­kei­ten, Mus­kel­ver­span­nun­gen, Schlaf­stö­run­gen und leich­ter Ermüdbarkeit.

Der Ver­dacht auf das Vor­lie­gen einer Gene­ra­li­sier­ten Angst­stö­rung besteht laut Kas­per ins­be­son­dere dann, wenn fol­gende Fra­gen zur Früh­erken­nung posi­tiv beant­wor­tet werden:

  • Gibt es für Sie lang­an­dau­ernde Ängste, Sor­gen und Befürchtungen?
  • Lei­den Sie unter kör­per­li­cher Unruhe, Schlaf­stö­run­gen und der Unfä­hig­keit, sich zu entspannen?
  • Lei­den Sie unter kör­per­li­chen Beschwer­den wie zum Bei­spiel Schwit­zen, Herz­ra­sen, Magen­be­schwer­den, Übel­keit, Ersti­ckungs­ge­fühle oder Schwindel?

Gemäß ICD-10 sind die Dia­gno­se­kri­te­rien erfüllt, wenn der Pati­ent pri­märe Sym­ptome von Angst an den meis­ten Tagen über meh­rere Wochen lang aufweist.

Die The­ra­pie der Gene­ra­li­sier­ten Angst­stö­rung umfasst neben phar­ma­ko­lo­gi­schen und psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Ansät­zen auch Psy­cho­edu­ka­tion mit aus­führ­li­cher Infor­ma­tion über die Erkran­kung und ihre Behand­lung. „Sehr viel ist schon damit getan, wenn man dem Pati­en­ten sagt, dass seine Krank­heit gut bekannt ist, dass man weiß, wie man sie behan­delt und dass sie weg­ge­hen wird“, erklärt Kas­per. Als Medi­ka­mente zur Behand­lung der Gene­ra­li­sier­ten Angst­stö­rung nennt der Experte moderne Anxio­ly­tika wie selek­tive Sero­to­nin-Wie­der­auf­nah­me­hem­mer (SSRIs), Sero­to­nin-Nor­ad­re­na­lin-Wie­der­auf­nah­me­hem­mer (SNRIs) sowie den Kal­zi­um­ka­nal­mo­du­la­tor Pre­ga­ba­lin. Da bei Pati­en­ten mit einer Gene­ra­li­sier­ten Angst­stö­rung die Com­pli­ance durch das über­stei­gert angst­volle Erle­ben auch im Hin­blick auf the­ra­peu­ti­sche Maß­nah­men nach­hal­tig ein­ge­schränkt sein kann, rät Kas­per, die Pati­en­ten sorg­fäl­tig über die Wir­kun­gen und poten­zi­el­len Neben­wir­kun­gen einer medi­ka­men­tö­sen The­ra­pie auf­zu­klä­ren. Hasiba erläu­tert ihre Her­an­ge­hens­weise wie folgt: „Ich frage Pati­en­ten, ob sie selbst bereits an eine Medi­ka­tion gedacht haben. ‚Was sind erwünschte Wir­kun­gen, was soll dadurch mög­lich wer­den?’; ‚Was sind Ihre Befürch­tun­gen?’ und eröffne somit ein erwei­tern­des Gespräch. So wird dem Pati­en­ten klar, was ein Medi­ka­ment ihm ermög­li­chen könnte.“ Die All­ge­mein­me­di­zi­ne­rin weist auf die Wich­tig­keit hin, sich an das Tempo des Pati­en­ten anzu­pas­sen und die­sen dort abzu­ho­len, wo er in sei­nem inne­ren Erle­ben steht. „Es geht nicht darum, die Angst von heute auf mor­gen weg­zu­ma­chen, son­dern dem Pati­en­ten zu hel­fen, im Moment bes­ser damit umzugehen.“

Hel­fer­netz erweitern

All­ge­mein­me­di­zi­ner sind meist die erste Anlauf­stelle für Men­schen mit Angst­sym­pto­men. Grund­sätz­lich kön­nen Angst­stö­run­gen auch in der haus­ärzt­li­chen Pra­xis behan­delt wer­den. „Psy­cho­phar­maka kann auch der Haus­arzt ver­schrei­ben. Wer einen hohen Blut­druck behan­deln kann, kann auch die Angst­er­kran­kung behan­deln. Man darf aus der Krank­heit nicht so einen Mythos machen“, meint Kasper.

Der Zeit­punkt für eine Über­wei­sung zum Psych­ia­ter oder in ein sta­tio­nä­res Set­ting ist nach Ansicht von Hasiba dann gekom­men, wenn es zur Erwei­te­rung der Mög­lich­kei­ten für den Pati­en­ten oder der eige­nen Mög­lich­kei­ten dient. „Mir ist wich­tig, dass eine Über­wei­sung zum Fach­arzt nicht als Abwei­sung, son­dern als Erwei­te­rung des Hel­fer­net­zes emp­fun­den wird. Wer­den diese Über­le­gun­gen dem Pati­en­ten trans­pa­rent kom­mu­ni­ziert, erlebt er zusätz­li­che Sicher­heit und Kom­pe­tenz“, ergänzt die Exper­tin. Effi­zi­en­tes Schnitt­stel­len­ma­nage­ment und Behand­lungs­kon­ti­nui­tät bedin­gen jedoch auch, dass die Wir­kung des ärzt­li­chen Gesprächs bei der Rück­über­wei­sung vom Fach­arzt zum All­ge­mein­me­di­zi­ner beach­tet wird. Die Rolle des Haus­arz­tes muss laut Hasiba gut in das pro­fes­sio­nelle Hel­fer­netz ein­ge­bet­tet sein. Erfah­rungs­ge­mäß akzep­tiert der Pati­ent die Über­wei­sung zu einem Psych­ia­ter auch bes­ser, wenn sich der Haus­arzt für die Wei­ter­be­hand­lung zustän­dig zeigt.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 8 /​25.04.2015