Lee Miller: Eine Frau an der Front

10.06.2015 | Horizonte

Vom Fotomodell zur Kriegsberichterstatterin und „der Frau in Hitlers Badewanne“: Die US-amerikanische Künstlerin Lee Miller ist für ihre Mode-, Landschafts- und Portraitfotos ebenso bekannt wie für ihre ungeschönten Fotoreportagen von der Kriegsfront. 100 ihrer Werke sind derzeit in der Albertina in Wien zu sehen.
Von Marion Huber

Wenn man das Schwarz-Weiß-Foto einer Frau sieht, die 1945 nackt in der Badewanne von Adolf Hitler sitzt, denkt man an sie: Lee Miller. Und man denkt an eine von wenigen Frauen, die seinerzeit direkt von Kriegsschauplätzen berichteten; man denkt an Fotoreportagen von der Kriegsfront, von der Befreiung aus den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald und vom Elend des Krieges…

Von Krieg, Reisen und Mode

Täuschen lassen darf man sich davon aber nicht; denn das Werk von Miller ist viel vielfältiger als ihre Kriegsreportagen vermuten lassen. Von surrealistischen Bildern über Mode- und Reisefotos bis hin zu Portraitfotos umfasst es verschiedenste Genres. In ihren „Galleries for Photography“ zeigt die Albertina in Wien erstmals in Österreich die ganze Bandbreite einer der herausragendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. 100 Objekte sind es, mit denen sich der Betrachter auf die Spuren von Lee Miller begibt.

1907 im – für US-amerikanische Verhältnisse – beschaulichen Poughkeepsie (US-Bundesstaat New York) geboren, wird Miller 1927 durch einen Zufall zunächst Fotomodell für das Mode-Magazin „Vogue“. Verleger Condé Nast stolpert quasi über sie, als sie auf den Straßen Manhattans fast vor ein Auto läuft. Zwei Jahre später trifft sie auf einer Reise nach Paris den US-amerikanischen Maler, Filmemacher und Fotografen Man Ray. Privat wie künstlerisch sind die beiden bald eng verbunden. Ihre surrealistischen Werke und Experimente mit der Solarisation stammen aus dieser Zeit. Sie verfremdet Motive, indem sie enge Bildausschnitte und experimentelle Techniken wählt und damit eine paradoxe Wirklichkeit schafft.Frisch von Man Ray getrennt, macht sie sich als Fotografin mit ihrem eigenen Studio in Frankreich selbstständig, bevor sie 1932 nach New York zurückkehrt. Auch dort hält es die freiheitsliebende Künstlerin nicht lange – mit ihrem neuen Partner, dem ägyptischen Geschäftsmann Aziz Eloui Bey, zieht sie schon drei Jahre später nach Kairo.

Werke aus der Wüste

Dort, inmitten der ägyptischen Wüste, entstehen einige ihrer beeindruckendsten Werke wie „Portrait of Space” und „The Shadow of the Great Pyramid” (beide 1937), für das Miller auf die Cheops-Pyramide in Gizeh steigt, um ihren Schatten als Ganzes einzufangen. In Dörfern hält sie die Architektur von Klöstern, Häusern und Tempeln fest; das Rote Meer, Dünen und Szenen aus dem Alltag, auf der Straße, mit Kamelen zeichnen ein Bild des damaligen Ägypten. Nachdem ihre Ehe mit Bey scheitert und sie den englischen Surrealisten Roland Penrose kennenlernt – auf ihren gemeinsamen Reisen durch Europa trifft Miller auch Pablo Picasso und schafft viele weitere Fotoarbeiten –, zieht sie kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nach London. Erneut kehrt sie bald darauf nach New York zurück, wo sie von der US-Army als Militärkorrespondentin akkreditiert wird. Als eine von ganz wenigen Frauen ist sie an vorderster Kriegsfront und fotografiert u.a. einen der ersten Einsätze von Napalm in der Schlacht um Saint-Malo und die Befreiung von Paris. Auch bei der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau ist sie vor Ort und bildet sie in all ihrer grausamen Wahrheit ab: Baracken, Leichen, Gefangene… – aus der Nähe, ungeschönt zeigen sie das unermessliche Leid des Holocaust. Der Time-Life Fotograf David E. Scherman, mit dem sie eng zusammenarbeitet, ist es, der jenes Foto von Miller macht, das um die Welt geht: Nackt sitzt sie kurz nach der Einnahme Münchens 1945 in Hitlers Badewanne in dessen Münchener Residenz. Vor der Wanne stehen ihre Militärstiefel, auf einem Hocker daneben ihre Kleidung, am Wannenrand dahinter steht ein Portrait von Hitler. Bei diesem Foto ist Miller einmal mehr nicht Fotografin, sondern selbst Modell.

Nach Kriegsende zieht Miller sich vom aktiven Bildjournalismus zurück und heiratet Roland Penrose. Nur noch gelegentlich arbeitet sie nach der Geburt ihres Sohnes freiberuflich für Magazine wie „Vogue“. Die Arbeit an der Kriegsfront kann Miller dennoch nicht hinter sich lassen; traumatisiert von den Erlebnissen leidet sie an Kriegsneurose und Depressionen. 1977 verstirbt die Kriegsreporterin, Fotografin und „die Frau in Hitlers Badewanne“ auf ihrem Anwesen in East Sussex (England) an Krebs.

Was, Wann, Wo:

„Lee Miller“
Bis 16. August 2015, Albertina
Albertinaplatz 1, 1010 Wien
www.albertina.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2015