Deutscher Expressionismus: Ein Feuerwerk der Farben

10.11.2015 | Horizonte

Was sie gemacht haben, war neu, modern – und hat provoziert. Die deutschen Expressionisten, die völlig neue Wege, Formen und Farben des Ausdrucks gefunden haben, haben um 1900 die dortige Kunstwelt auf den Kopf gestellt. Das Leopold Museum in Wien zeigt nun Werke von allen Hauptvertretern – teilweise erstmals in Österreich. Von Marion Huber

Selbst vor strahlend grüner, roter oder gelber Wand im Hintergrund stechen sie immer noch hervor: die farbenprächtigen, imposanten Bilder des deutschen Expressionismus, die zurzeit die Ausstellungsräume des Leopold Museum in Wien zieren. Wie im „Farbenrausch“ fühlt sich der Betrachter bei dieser gleichnamigen Schau.

Aus der bedeutenden Expressionisten-Sammlung des deutschen Osthaus Museum Hagen in Nordrhein-Westfalen hat man sich eine Auswahl von 30 Gemälden und rund 80 Papierarbeiten geliehen – dazu kommen weitere 30 Werke aus dem eigenen Bestand des Leopold Museum und der Privatsammlung Leopold. So ist es gelungen, alle Hauptvertreter des deutschen Expressionismus in einer Schau zu vereinen. Viele der nun gezeigten Werke sind überhaupt zum ersten Mal in Österreich zu sehen. Die Meisterwerke von Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Alexej von Jawlensky, Franz Marc und Christian Rohlfs bringen eine unbändige Farbenpracht und Dynamik in die Räume des Leopold Museum. Sie zeigen die radikale Kunstwende, den Aufbruch in die Moderne, den die deutschen Expressionisten um 1900 auslösten.

Es war im Juni 1905, als vier Architekturstudenten in Dresden die Künstlergruppe „Brücke“ gründeten. Neben Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Fritz Bleyl und Erich Heckel – dem Kern – waren unter anderen auch Max Pechstein und Emil Nolde Teil der Gruppierung. Sie alle sind mit Werken in der aktuellen Ausstellung des Leopold Museum vertreten. „Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt“, hieß es 1906 im kurzen Manifest der Gruppe.

Ähnlich wie die „Brücke“ in Dresden waren auch die im Umfeld des „Blauen Reiters“ in München tätigen Künstler wichtige Wegbereiter der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts. Wassily Kandinsky, Alfred Kubin, August Macke und Franz Marc… – um nur einige zu nennen. „Die Brücke“ löste sich 1913 aufgrund von Differenzen zwischen Kirchner und anderen Mitgliedern wieder auf. Kurz darauf – zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 – war auch „Der Blaue Reiter“ Geschichte.

Zeit des Umbruchs

Wie die Expressionisten gearbeitet haben, zeugt von einer Zeit des Umbruchs, von einem individuellen Lebensgefühl der Künstler. Keine Form, keine Farbe und keine Kunsttradition waren vor ihnen sicher. Entstanden ist so eine völlig neue, auffällige und expressive Bildsprache: Sie zündeten ein Feuerwerk der Farben. Vom traditionellen Kunstbegriff ließen sie sich nicht einschränken; sie verzerrten Formen und Gesichter, interpretierten die Perspektive ganz neu und eigenwillig – kurz: die Expressionisten provozierten das Publikum mit ihrer völlig neuen Anschauung der Kunst.

In ihrem Mut zu Neuem, ihrer Dynamik und ihrem Geist für Veränderung haben sie auch die Gattung des Porträts radikal umgestaltet und ganz neu interpretiert. Plötzlich ist es nicht mehr im Vordergrund gestanden, das Optische, das offensichtliche Äußere der Erscheinung festzuhalten. Ob schonungslos verzerrt oder auf simple Zeichen reduziert: Gesichter waren vor allem Ausdruck der inneren Gefühle der Künstler.

Mit dem Leben in der Großstadt haben sich die deutschen Expressionisten ebenso auseinandergesetzt wie mit der Natur. So haben sie sich einerseits von den Vergnügungen der Stadt inspirieren lassen; andererseits machten sie auch die Schattenseiten, die Armut, die schlechten Verhältnisse in den Arbeitervierteln zum Thema. Als Ausgleich sehnten sie sich nach einem Rückzug an ruhige Orte, in die Natur: Motive fanden sie an den Moritzburger Seen oder in den deutschen Kolonien in Mikronesien.

So sehr sie ihr Publikum provoziert haben: Ein aufgeschlossener Kreis von Sammlern, Mäzenen, Kunsthändlern und Museumsleitern unterstützte die progressiven deutschen Künstler dennoch. So auch der Kunstmäzen Karl Ernst Osthaus (1874-1921). Seine berühmte Sammlung ist seit 1902 im Folkwang Museum in Hagen zu sehen. Das Museum wurde damals als weltweit erstes Museum für Zeitgenössische Kunst gegründet und war bald eine bedeutende Adresse des deutschen Kunstlebens. Es war auch das Folkwang Museum, das 1912 als erstes Museum ein Gemälde von Egon Schiele erwarb – nämlich „Die kleine Stadt I (Tote Stadt IV)“. Nach zahlreichen Umbenennungen heißt das Haus seit 2009 Osthaus Museum Hagen. Der heutige Kunstbestand mit Schwerpunkt auf dem Deutschen Expressionismus und zeitgenössische Kunst zählt in Deutschland zu den besten seiner Art.

Ein besonderes Highlight: Für die Ausstellung „Farbenrausch“ konnten auch zahlreiche Werke von Christian Rohlfs gewonnen werden. Er hat jahrelang unter der Schirmherrschaft genau jenes Mäzens gearbeitet, dem das Osthaus Museum seine Sammlung des Deutschen Expressionismus verdankt: Karl Ernst Osthaus. Im Osthaus Museum befinden sich heute das Rohlfs-Archiv und eine umfangreiche Sammlung von Rohlfs‘ Werken. Im Leopold Museum geben nun Stickarbeiten, schaurig-groteske Grafiken sowie späte koloristische Experimente einen Einblick in sein facettenreiches Oeuvre.

Was den deutschen Expressionismus ausgemacht hat, beschreibt ein Text von Franz Marc aus dem Jahr 1910 besonders gut: „Die Kunst geht heute Wege, von denen unsere Väter sich nichts träumen ließen; man steht vor den neuen Werken wie im Traum…“

„Farbenrausch. Meisterwerke des deutschen Expressionismus“

Bis 11. Jänner 2016
Leopold Museum

MuseumsQuartier Wien,
Museumsplatz 1, 1070 Wien

www.leopoldmuseum.org

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2015