Stand­punkt – Präs. Artur Wech­sel­ber­ger: Alte Bauernregel

10.06.2014 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Vom Wie­gen allein wird die Sau nicht fett“, warnte der Prä­si­dent der Ärz­te­kam­mer Nord­rhein, Rudolf Henke, am 117. Deut­schen Ärz­te­tag in sei­ner Eröff­nungs­rede. Damit wies der Kam­mer­prä­si­dent und Bun­des­tags­ab­ge­ord­nete auf fal­sche Hoff­nun­gen und Fehl­ent­wick­lun­gen in der Qua­li­täts­dis­kus­sion im Gesund­heits­we­sen hin. Qua­li­tät werde nicht vom Mes­sen, vom Kon­trol­lie­ren oder von der Admi­nis­tra­tion son­dern von enga­gier­ten Ange­hö­ri­gen der Gesund­heits­be­rufe sowie der Zeit und der Auf­merk­sam­keit, die sie den Pati­en­ten wid­men, beein­flusst, prä­zi­sierte er seine auf die geplante Grün­dung eines Insti­tuts für Qua­li­täts­si­che­rung und Trans­pa­renz im Gesund­heits­we­sen gemünzte Aussage.

In das glei­che Horn stieß die Grün­po­li­ti­ke­rin und Minis­te­rin für Gesund­heit, Eman­zi­pa­tion, Pflege und Alter, Bar­bara Stef­fens, in ihrer Bot­schaft an die anwe­sen­den Ärz­te­ver­tre­ter. Sie defi­nierte Out­come-Qua­li­tät als Gesamt­zu­stand des Pati­en­ten nach der Behand­lung. Das Gesamt­ergeb­nis des Behand­lungs­pro­zes­ses sei ent­schei­dend und nicht das Wie­gen und Mes­sen von ein­zel­nen Fak­ten wäh­rend der Behand­lungs­schritte. Für das Gesamt­ergeb­nis sind die Ver­net­zung der Sys­teme, die Gestal­tung der Schnitt­stel­len und die Rück­sicht­nahme auf gesell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen maß­geb­lich, unter­strich sie die gesell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung für Gesundheit.

Klar und prä­gnant waren auch die Aus­sa­gen von Gesund­heits­mi­nis­ter Her­mann Gröhe, der den frei­be­ruf­li­chen Arzt als Rück­grat der ambu­lan­ten Ver­sor­gung bezeich­nete und deut­lich machte, dass es Qua­li­tät nicht zum Null­ta­rif gibt. Auch for­derte er eine ange­mes­sene Feh­ler­kul­tur, um aus Feh­lern zu ler­nen. Denn „einen Gene­ral­ver­dacht hat unser Gesund­heits­sys­tem wahr­lich nicht ver­dient“, so der Bun­des­mi­nis­ter wörtlich.

Und wie lebt man diese The­men in Öster­reich? Kaum ein­ein­halb Flug­stun­den von Düs­sel­dorf, dem Aus­tra­gungs­ort des 117. Deut­schen Ärz­te­ta­ges, ent­fernt, glau­ben etwa die Sozi­al­ver­si­che­run­gen ernst­haft, mit dem Manage­men­tin­stru­ment der Balan­ced Score­card und den darin abge­bil­de­ten Ziel­vor­ga­ben, Kenn­zah­len und Mess­wer­ten die Ver­sor­gungs­qua­li­tät ver­bes­sern zu kön­nen. Auf der Stra­te­gie des Zäh­lens, Mes­sens und Kon­trol­lie­rens baut auch die Gesund­heits­re­form auf, in der die bun­des­weite Fest­le­gung von Qua­li­täts­pa­ra­me­tern, dazu­ge­hö­rige Doku­men­ta­tion und das Moni­to­ring ein­heit­li­cher Mess­grö­ßen und Ziel­werte maß­geb­lich sind. Zusätz­li­che Admi­nis­tra­tion wie etwa zehn Ziel­steue­rungs­kom­mis­sio­nen sol­len – so die Vor­stel­lung des Öster­rei­chi­schen Gesetz­ge­bers – die Qua­li­tät ver­bes­sern. Selbst das der Bevöl­ke­rung oktroy­ierte, elek­tro­ni­sche Befund­ver­wal­tungs­sys­tem ELGA fir­miert unter der Fahne der Qualitätssteigerung.

Bei all den Stra­te­gien zur Qua­li­täts­ver­bes­se­rung sucht man ver­geb­lich die Aus­sa­gen, dass Qua­li­tät kos­tet und dass es diese nicht zum Null­ta­rif gibt. Im Gegen­teil: Den Bür­gern wird vor­ge­gau­kelt, dass selbst Ein­spa­run­gen ohne Qua­li­täts­ver­lust spie­lend mög­lich sind.

Und als Feh­ler­kul­tur leben in unse­rem Land gar nicht wenige tat­säch­lich den Gene­ral­ver­dacht gegen­über der Ärz­te­schaft. Von der media­len Vor­ver­ur­tei­lung ein­zel­ner bis zur pau­scha­len Unter­stel­lung von Qua­li­täts­män­geln aller Ärz­tin­nen und Ärzte rei­chen die unre­flek­tier­ten und unhalt­ba­ren Vor­würfe. Dass die Feh­ler im Sys­tem lie­gen könn­ten, wird ebenso aus­ge­blen­det wie die Bin­sen­weis­heit, dass mit Schuld­zu­wei­sun­gen und ver­stärk­ten Kon­trol­len nur Defen­siv­me­di­zin und nicht Qua­li­tät erzeugt wird. Groß­zü­gig bli­cken unsere Staats­kon­trol­leure über den zuneh­men­den Ver­wal­tungs­auf­wand hin­weg und mes­sen nie die damit dem direk­ten Pati­en­ten­kon­takt ent­zo­gene Zeit und die ver­geu­de­ten Ressourcen.

Die Refor­men der letz­ten Jahre haben gezeigt, dass unsere Gesund­heits­po­li­tik mehr zur Buch­hal­tung ten­diert als zu einer Ver­sor­gung, die lebens­nah die Bedürf­nisse der Kran­ken und der im Sys­tem Täti­gen im Auge hat. Mes­sen, Kon­trol­lie­ren und Admi­nis­trie­ren sind die der­zei­ti­gen Para­dig­men der öster­rei­chi­schen Sys­tem­theo­re­ti­ker. Dabei bräuch­ten wir statt Zah­len­spie­len Moti­va­tion und Frei­raum, um ein aus­ge­zeich­ne­tes Sys­tem wei­ter zu ent­wi­ckeln und zukunfts­si­cher zu gestalten.

Artur Wech­sel­ber­ger
Prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Ärztekammer

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.06.2014