Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: Prozessversagen

25.06.2014 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Am 30.6.2014 soll die Bundeszielsteuerungskommission ein Konzept zur multiprofessionellen und interdisziplinären Primärversorgung in Österreich beschließen. Selbst wenn nach Kritik durch die ÖÄK in Überschrift und Einleitung von einem „Team rund um den Hausarzt“ gesprochen wird, können damit nicht die grundsätzlichen Fehler im Prozess der Konzepterstellung und die Mängel des Konzeptes übertüncht werden.

Dass Österreich eine Verbesserung der medizinischen Primärversorgung braucht, ist seit Jahren offensichtlich. Allein die chronisch überfüllten Krankenhausambulanzen zeugen vom Versorgungsdefizit im niedergelassenen Bereich. 2013 wurde deshalb auf Initiative des Gesundheitsministeriums ein Projekt zur Stärkung der Primärversorgung gestartet. Die Ergebnisse zweier Expertenworkshops legten den Grundstein für ein Papier zur Erstellung eines Konzeptes zur Primärversorgung dem Bundeszielsteuerungsvertrag entsprechend. Zu den Workshops hatte man – so die Autoren – die maßgeblichen Stakeholder und Vertreter aller betroffenen Berufsgruppen eingeladen. Dass dabei bewusst die Österreichische Ärztekammer „vergessen“ wurde, zeigen die Anwesenheitslisten. Dafür diskutierten Vertreter des Gesundheitsministeriums, des Hauptverbandes und der Länder unter anderem mit Repräsentanten der Patientenanwaltschaft und des Österreichischen Apothekerverbandes die Primärversorgung in Österreich. Als internationalen Hintergrund der Diskussion bot man Erfahrungen aus England und Dänemark – also aus zwei staatlichen Gesundheitssystemen.

Nach mageren Darstellungen des heimischen Status quo und Allgemeinplätzen zur Primärversorgung schlägt das verschriftlichte Elaborat der Experten neue Organisationsstrukturen vor. Zum Einstieg in das Versorgungssystem soll ein fix installiertes multiprofessionelles Versorgungsteam den einzelkämpfenden Hausarzt ersetzen. Obwohl sogar die zitierte Fachliteratur den Hausarzt zusammen mit einigen anderen Arztgruppen als die üblicherweise verfügbaren Erstansprechpartner in der Primärversorgung definiert, wurde diese international übliche Versorgungsform zugunsten eines organisationsgebundenen Teamgedankens zurückgestellt.

Was als biedere Diplomarbeit ohne Anspruch auf Umsetzbarkeit noch durchginge, lief allerdings als Konzeptgrundlage einer realen Systemreform aus dem Ruder. Denn aufbauend auf das Expertenpapier wurde ein Konzept erstellt, in dem der liberale Netzwerkgedanke, wie er dem Österreichischen Gesundheitssystem entsprechen würde, zugunsten starrer Organisationsvorgaben mit multidisziplinärer Zentralisierung zurückstehen musste.

Dass es derzeit ausschließlich die niedergelassene Ärzteschaft ist, die durch vertragliche Bindungen flächendeckend Versorgung anbietet, dabei strenge Qualitätsvorgaben zu erfüllen hat und dringend politische Initiativen zur Weiterentwicklung bräuchte, wurde dabei ebenso ausgeblendet wie die Versorgungsmängel bei den ambulanten nicht-ärztlichen Berufen. Denn trotz der gesetzlichen Verpflichtung der Krankenkassen im ASVG hinken diese in der Erfüllung ihres breiten Versorgungsauftrages weit nach.

Mit einem organisationslastigen – mangels verfügbarer Personal- und Sachressourcen – bestenfalls theoretischen Konzept, könne man – so glaubten jedenfalls die Projektbetreiber – reale Versorgungsmängel beheben. Sitzungen von mehr oder weniger Betroffenen in sogenannten PHC-Boards dienten deshalb auch mehr der Präsentation dieser Theorien als dem ernsthaften Bemühen, Diskussionsbeiträge in das Konzept einfließen zu lassen. Was letztendlich blieb, waren gesellschafts-, macht-, klientel- und finanzpolitische Visionen als Affront gegen die Ärzte, die unser – oftmals als eines der weltbesten apostrophiertes – Versorgungssystem seit Jahrzehnten tragen. Was ausblieb, waren konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Verfügbarkeit von ambulanter, extramuraler Versorgung rund um die Uhr. Ebenso blieben viele Fragen offen: Wie sollen Ärztinnen und Ärzte, aber auch Pflegepersonal motiviert werden, sich in der ambulanten Versorgung zu engagieren? Wie können einheitlich hohe Qualitätsstandards der nicht-ärztlichen Leistungserbringer sichergestellt werden? Wie und durch wen werden Netzwerke organisiert, Behandlungsschritte koordiniert? Welche finanziellen Mittel ist man bereit, dafür einzusetzen?

Das Patentrezept, die Lösung den neuen multidisziplinären Teams zu überlassen, hat jedenfalls zu massiven Irritationen derer geführt, die sich tagtäglich in ihrer realen Welt ernsthaft bemühen, eine funktionierende Primärversorgung aufrecht zu erhalten.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2014